Zombieplattform im neuen re.flect

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(Foto: Jutta Van Teese, N.Y.)

Kleiner Gastbeitrag in der neuen re.flect-Ausgabe: Denn während meine Freunde hier zu Kaufhaus-Eröffnungen eingeladen werden, Kuchen backen oder zum Fußball gehen, hab ich hier ordentlich Rambazamba mit Untoten. „Viola“ (Kelly Bundy), die Plattform im neuen re.flect: „Mensch, toll. Das sieht ja klasse aus“, leicht geremixt.

Leck mich am Arsch, echt. Geduscht, rasiert, das teure Aftershave aufgelegt, mit Elan und zwei Beinen in die gute Unterhose ohne Lommelbündchen reingehüpft, „Oh Yeah!“ gebrüllt – und dann halt doch wieder zu Hause geblieben. Denn ich habe mich glücklicherweise und auch in letzter Sekunde daran erinnert, dass Stuttgart ja tot ist. Das habe ich gehört, gelesen, nicht nachgeprüft, sondern einfach so übernommen.

Clubsterben, Subkultur, Die Röhre, Kultur, Die Lerche, Hirrlinger, Haufler, Rocker 33, Café Scholz, Kimtimjim, enemenemuh und tot bist Du – irgendwas ist ja immer. Noch mal winken und dann tschüss. Deckel drauf, Erde drüber und ein Kreuz in den Boden rammen. Nix da mehr: „to go“. Denn keiner geht gerne auf Beerdigungen und noch viel weniger Leute hängen gerne mit oder bei den Toten ab.

Deswegen war ich zum Beispiel auch nicht bei diesen Rocker 33 Partys, bei der Eröffnung der Urban-Art-Gallery, im Goldmark’s, bei Miaow in der Rakete, im Jugendhaus West, bei der Ebene 0, im Hallschag beim Anti Establishment-Festival, bei Lotte, beim Henkersfest oder gar anderweitig unterwegs. Ich bin zu Hause geblieben und habe auf meinem Mobiltelefon ein Ballerspiel gemacht, in dem es grob und eigentlich ausschließlich um eines geht: Zombies abknallen.

Ich sehe das als Fort- beziehungsweise Weiterbildung: Denn wenn wir hier alle tot sind, ist die Zombieapokalypse vermutlich nicht weit. Und auf einen derartigen Ausnahmezustand möchte ich bitteschön vorbereitet sein. Jugend trainiert für Olympia und ich eben für die Zombieapokalypse. Kopfschuss gibt übrigens mehr Punkte. Spritzt sogar recht ulkig, wenn man so was denn witzig findet.

In meinem Warenkorb liegen derweil Leichen, in meinem iTunes tanzt keine Sau und ich kenne Konzertveranstalter, die sich fragen, weshalb Bands erst dann Liebe entgegenschlägt, wenn die für lau auf dem Marienplatzfest oder beim Freikonzert auftreten. Ich kenne Partyveranstalter und DJs, die ihr Wochenende in halbleeren Clubs verbringen, weil andere Discos um die Ecke auch ein paar DJs gebucht haben.

Und dann gibt’s da die Raketenphysiker, die vor einigen Monaten einen symbolischen Sarg im Feuersee versenken wollten, um die „Stuttgarter Subkultur“ zu Grabe zu tragen. Sie hätten „mein Hirn“ auf die verdammte Kiste schreiben sollen. Anstatt sich gegenseitig auf Facebook für ihre geile Aktion einen wegzudaumen.

Denn auch an diesem Abend haben sich wieder mindestens 30 DJs gefragt, wo denn all die anderen sind, ungefähr neun Bands haben sich überlegt, ob sie wenigstens das Spritgeld zusammen bekommen, um tags darauf in Zürich oder am Arsch der Welt zu spielen und wahrscheinlich stand irgendwo in Stuttgart ein DJ im Club, der sich gewundert hat, weshalb der Laden voll von Menschen ist, die auf ihren Mobiltelefonen nachschauen, wo heute denn noch was geht und sich dann irgendwas von Jay-Z gewünscht haben, weil die 400 Meter Fußweg zum nächsten HipHop-DJ die neuen Schuhe ruiniert hätten.

Am Geilsten wäre aber es eh, wenn die Party gleich selbst vorbeikommt – Wohnzimmerkonzert oder so was in der Art. Amazon und Zalando liefern doch auch direkt an die Tür und das mit REWE bekommen wir auch noch optimiert – zumindest stehe ich irgendwie andauernd direkt vor einer Filiale.

Rein, kaufen, raus, zack, fertig. Das ist wichtig. Denn kurze Wege bringen Zeitersparnis – mit gleichzeitig Zähneputzen und Kacken ist ja heute kaum mehr ein Blumentopf zu gewinnen. Die gewonnene Zeit lege ich natürlich immer sinnvoll an: Instagram, Facebook, Twitter oder ich unterschreibe Petitionen gegen irgendwas.

Manchmal saufe ich auch bloß und habe grundlos gute Laune. Aber wehe, irgendwer hat bessere Laune: dem hau’ ich eine rein, noch bevor er „gefällt mir“ sagen kann. Ich hab da auch eine Kleinigkeit vorbereitet: alles Übel der Welt. Schlachtfabriken, Fracking, Nazis, Israel, Palästina, Chlorhühnchen, Sepp Blatter, Hunde in der Ukraine und natürlich Die Grünen, das dumme Arschloch. Alles zusammengepackt, Schleife drangemacht und dann: „Du mich auch“.

Morgen mach ich trotzdem mal Pause und etwas Wellness: Stehen auf der Rolltreppe. Es ist nicht der Gipfel der Faulheit, aber man hat’s wenigstens bequem auf dem Weg dorthin. Und den Rest des Tages werde ich “Stuttgart ist viel schöner als Schwerin“ singen, obwohl ich noch nie in meinem Leben in Schwerin war und auch nicht vorhabe, diesen Umstand in absehbarer Zeit zu ändern.

Aber eines weiß ich: Wenn alle nur noch twerken, ist Stuttgart echt am Arsch. Vorher eher nicht.

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