Fuck the Pain away: Nachhilfeunterricht von Peaches in BCN

Wie kann man einen Spanisch-Kurs in Barcelona am besten starten? Mit einem Peaches-Konzert im Razzmatazz. Eine Geschichte über Orientierung, alleine sein und 26-Plastik-Brüste.

Wie ein Kätzchen bewege ich mich seit ein paar Tagen geschmeidig durch Barcelona. Habe das U-Bahn-Netz studiert, die Stadtteile auswendig gelernt, noralgische Punkte analysiert. Wie bei Sherlock Holmes in seiner neuesten BBC-Darstellunn rattern neben meinem Hirn die ganze Zeit Haltestellen runter, Jaume 1, Passeig de Gracia, Barceloneta, ratter, ratter, ratter, um mit der kürzesten Verbindung von A nach B zu gleiten. Je größer die Stadt, desto schneller gleite ich.

Ehrlich gesagt war ich heute nur zu lange in der Sonne. Das genaue Gegenteil ist die Wahrheit. Ich verlaufe mich ständig. Biege falsch ab, weil ich zu geizig bin, Roaming für mein iPhone zu zahlen. Das weiß immer, wo ich hin muss. Zum Beispiel zu dieser einen Tapas-Bar, die Isis mir getippt hat. Metro, dann Ramblas runter, dann links Richtung Jaume 1 getigert, dann kurz gehadert, rechts abgebogen, wieder links, und Zack, stand ich tatsächlich in Born vor dem richtigen Laden und hab vor Freude die Becker-Faust geballt.

Ist der Begriff der Becker-Faust eigentlich noch angebracht, seit Boris sich mit seinen Zeigefingern auf Twitter selbst entzaubert? Und sollte ich diese messerscharfe Beobachtung vielleicht sogar selber gleich twittern? Nein, dieses Feld überlasse ich lieber einem gewissen Dirk B..

Jetzt bloß nicht übermütig werden. Denn Demütigung ist international. Ich hatte die Tapas-Bar zwar gefunden, der Kellner signalisierte mir aber, dass ich nix zu essen bekäme. Zu voll, zu viele warten vor mir, zu viele, die mich jetzt mitleidig anschauen. Einsam ist der hungrig Abgewiesene.

Dann halt nach nebenan. Schließlich wartet heute Abend noch Peaches auf mich, da muss man sich vorher mit Tapas dopen. Alleine essen gehen ist übrigens ein Horst. Mein Freund Fuzzi hatte mich gewarnt: Er war kürzlich alleine in Istanbul. Tagsüber ist es kein Problem, aber abends fühlt es sich komisch an. Die Stadt pulsiert, du willst mitmachen, irgendwie scheint der Puls aber Gruppen ab zwei Personen vorbehalten. Den Tapas-Probierteller? Sorry, nur für zwei. Die Hippster-Gäng am Nebentisch? Sorry, hat ohne dich Spaß.

Also schnell weiter, und diese eine Martini-Bar finden, die Mixeology empfohlen hat. Klappt leider nicht – siehe oben. Naja, ist ja aber auch schon 0:30, kann man locker langsam zum Razzmatazz und schauen, ob Frau Peaches immer noch so spinnt wie früher.

Kürzlich hat sie im Hau 1 in Berlin in einer Oper mitgemacht, demnächst wird sie in ihrem ersten Film zu sehen sein, einem „Anti-Jukebox-Musical“, und zwischendrin hat sie Zeit, in Barcelona eine ihrer verstörenden Gender-wechsel-dich-Shows abzubrennen.

Vor dem Razzmatazz dann eine neuerliche Demonstration der eigenen Provinzialität: Der Club macht erst um 1 Uhr auf. Als erster und einziger an der Presse-Schlange warten, ist keine Option, also einmal um den Block gejoggt auf der Suche nach Klaren und Klarheit. Die einzige Bar, die die es im Umkreis gibt, sieht aus wie die Lange Theke mit mehr Metal-Devotionalien: Manowar-Poster, Pantera-Bild, Napalm-Death-Rahmen, und alles mit Autogrammen versehen: Die Welt ist noch nicht verloren, solange es Läden wie die Pepe Bar gibt.

Es hätte keinen größeren Kontrast zum Razzmatazz geben können, einem Club, der mindestens doppelt so groß ist, wie das gesamte Hans-im-Glück-Viertel, nur noch verwinkelter.

Zweimal verlaufe ich mich in dieser Nacht auf der Suche nach einem Floor, den ich kurz davor noch gut gefunden hatte. Und das liegt nicht am ersten Gin Tonic des Abends, der eindeutig nach Tunfisch schmeckt. Wahrscheinlich eine Karma-Rache dafür, dass ich gerade eine Tuna-Sandwich-Phase durchmache. Sollte man nicht, wegen Überfischung und so. Also steige ich auf Wodka Bull um, ständig in Angst, den Floor zu verpassen, auf dem irgendwann Peaches auftreten wird.

Gegen 3 Uhr ist es dann soweit, hätte man auch selber drauf kommen können, die Kanadierin mit Wahlheimat Berlin tritt im Main Floor auf, wie immer adrett gekleidet: 26 Plastik-Brüste um den Hals drapiert, läutet sie ein Paeches-typisches Varieté ein, bestehend aus jeder Menge übersexualisierten Gesten, Ironie, Frauen, die Schlamm-Catchen ohne Schlamm spielen, Schampus ins Publikum spritzen und allerlei anderem Irrsinn.

In einer Peaches-Show ist die Musik manchmal nur Nebensache, wichtiger sind die Kostüme, die Tänzerinnen, das Beiwerk. Völlig zufrieden tauche ich in der Menge unter, die Peaches huldigt. von der ersten bis zur letzten Minute: Klar ist die Provokation manchmal zu routiniert, das Spiel mit den Geschlechtern etwas zu vorhersehbar, dabei aber so schön grell, dass es keine Sekunde langweilig wird.

Im Gegenteil, manchmal führt Peaches einen auch nach zwölf Jahren auf der Bühne an Grenzen. Wenn sie etwa mit ihren massiven Goldketten um den Hals eine Art Nacken-Hoolahoop vollführt, der aussieht, als würde gleich ein Hund von seinem Halsband stranguliert, schüttelt es mich vor lauter Fremdscham, wie es mir sonst nur bei Larry David passiert oder bei Christian Ulmen in „Mein neuer Freund“, wenn er etwas besonders Unvorstellbares unternimmt.

Immer wieder lässt Peaches ihren Synthie alleine, um sich mit ihren Tänzerinnen in einem S/M-Kindergarten zu vergnügen, sie mit schlimmen Tierkopf-Masken anzusexen oder sonstigen Schabernack zu veranstalten. Zum Ende der Peaches-Messe kniet sie ehrfürchtig vor ihrem Publikum in Dankes-Pose, um als Zugabe noch Fuck the Pain away abzufeuern und jede Menge weiteren Cava rauszuschütteln.

Kann man locker, machen, muss man sogar manchmal zum Abschluss eines perfekten Abends. Ich dagegen muss jetzt ins Bett, hab morgen zum ersten Mal seit Jahren wieder Schule, Spanisch-Kurs, pünktlich sein, was bei meinem Orientierungssinn wie gesagt nicht ganz so leicht ist. Will ja nicht gleich mit Tafel-Dienst starten müssen.
http://peachesrocks.com, http://www.salarazzmatazz.com/

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7 Comments

  1. says: LKTRSNDY

    Ha, du bist gerade in Barcelona? War ich die letzten paar Tage auch. Und ich glaub ich hab auch irgendwo Poster mit Peaches gesehen. Ansonsten war ich ganz schön enttäuscht von der La Ramblas. Dafür im Viertel casc Antic lecker Garnelen gegessen, nen Plattenladen entdeckt, baden am Strand, nen Sonnenbrand geholt, und immer schön locker mit nem Bier in der Hand durch die Stadt gelaufen. Alles in allem Super Stadt.

  2. says: Aussenreporter

    Ramblas ist auf jeden Fall ein bisschen schrottig, der Rest der Stadt aber super zwischen crazy Architektur und Strand. Und klaro, hier kommt man locker ohne Spanisch durch. Ich versuche mich eher an einer Langzeitinvestition in Sachen Sprache. Oder an einer Bruchlandung nach dem Unterrichtstart heute…

  3. says: Whiskydrinker

    In BCN kann man Spanisch lernen?

    (Kühle Geschichte dazu: Am Drehkreuz bei der dortigen „S-Bahn“ konnte die Bahnfahrkarte nicht gelesen werden. Die gerufene Aufsicht unterhielt sich dann lieber auf Französisch wie in dieser Besatzersprache. Ein echter Katalane, der gute Mann!)

  4. says: afro-dieter

    Beckerfaust in einem Atemzug mit S/M Peaches!?
    Kommt mir etwas spanisch vor 😉

    Verlier dich bitte nicht im Moloch, lieber einmal mehr roamen als 2 mal mit nem Messer abgezogen werden…

    Oder halt doch die gute alte Karte/Kompass-Combo 🙂

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