!!1!Einself!1!!

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(Foto: Jutta Von Teese, Jung Und Matt/Heslach-West)

Während meine Kollegen hier schon um 10:38 Uhr Bier mit Käse überbacken, #aufthorsten, Stuntman werden oder Bücher schreiben, durfte ich mal wieder einen für die aktuelle re.flect-Ausgabe rausboxen. Last Minute. Hier der Remix. Und bitte nicht vergessen: vor dem Furzen immer „Achtung, Spoiler Alert!“ rufen.
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„!!1!Einself!1!!“

Neulich brüllte ich: „Junge! Leck mich doch, Du dummes Arschloch!“ Dann musste ich lachen. Erstens, weil das irgendwie nicht geht und zweitens, weil ich gerade offensichtlich eine Einkaufstüte beleidigt hatte. Der Henkel war gerissen. Sagen wir wie es ist: ich bin jetzt durch mit dem Hass

Auch weil mich dieser Zwangsindividualismus förmlich dazu nötigt, immer absurderes Zeug zu hassen. Nazis hassen: in gut unterrichteten Kreisen ist das totaler Mainstream. Wasen: gähn. Wiesn: eh klar. Stuttgart 21: laaannngweeillig. Wer heutzutage wirklich punkten will, muss sich mittlerweile schon etwas Besonderes einfallen lassen. Mit Hitler zieht man da wirklich keine Wurst mehr vom Teller. Da muss ein Alleinstellungsmerkmal her. Unique-Selling-Point oder wie das heißt. Individuell aber schnell.

Manchmal warte ich einfach, dass irgendjemandem etwas gefällt und hasse das dann umgehend. Funktioniert immer. Eventuell richte ich auch gleich einen Tumblr dafür ein. Tumblr, das sind Blogs für Leute, die Buchstaben hassen und/oder wahnsinnig gerne onanieren. Hater zum Beispiel. Boh, ich hass’ die voll. Und Fleischesser.

Oder Vegetarier. Denen brülle ich mitten ins Gesicht, dass sie der Bodensatz der Zivilisation sind, weil sie keine Veganer sind. Veganern wiederum werde ich was von „widernatürlich“, mangelndem Wasauchimmer und am Schluss natürlich doch irgendwas mit „Hitler“ vor den Latz knallen.

Darauf läuft’s ja eh immer raus und wenigstens dafür ist der knuffige Drecksack aus Braunau am Inn immer noch gut: als Totschläger-Argument, danach geht nix mehr. Fast so gut wie Kinder, beziehungsweise deren Eltern, die scheinbar immer der Meinung sind, jeder hätte nix anderes zu tun, als ihre Kinder möglichst schnell und qualvoll umzubringen. Durch Chemikalien in Sitzbezügen, Oberbekleidung vom Discounter, Tempo 120 in Spielzonen und die Milchschnitte.

Kommt mir allerdings einer mit „Tempo 40“ im Stadtgebiet, laufe ich zu Höchstleistungen auf. Da kotze ich derart laut, dass sich sogar der Bernd Lucke von der AfD fleißig Notizen macht. Der Mann und seine Partei sind so eine Art Windel für den größten Durchfall, den Deutschland zu bieten hat.

Wer sich über neue Schuhe, was zum Bumsen, Mittagessen oder ein Mobiltelefon freut – oder es wagt, „chill dich mal“ zu sagen, dem springe ich mit dem Arsch voraus ins Gesicht.

Falls danach noch Bedarf herrscht, werde ich erzählen, dass ich unmöglich chillen kann, so lange Hunde in der Ukraine scheiße behandelt werden. Dann schaue ich gleichzeitig Tatort und Twitter, nur um mich darüber aufzuregen, dass Menschen zeitgleich Tatort schauen und twittern. Im Gegenzug hasse ich jeden, der den Tatort Münster kritiklos hinnimmt oder diesen Quatsch gar witzig findet. Wer soll da bitte chillen?

Falls jemand „Warum?“ fragt, brülle ich „WEIL ISRAEL DAS SO WILL WANN KAPIERT IHR ARSCHLÖCHER DASS EENDLICH. IHR SEIT DOCH SCHON TOTAL WEICH IN DER BIRNE VON DEN GESTEURRTEN MEDIEN !1!einself!1!!“

Bin ich etwas kuscheliger drauf, sage ich nur „Da kann ich echt nur sagen: Armes Deutschland. Aber die da oben machen doch eh, was sie wollen. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.“

Ah, jetzt ist’s besser. Danke. An den schlimmen Tagen der Woche habe ich wirklich mehr Hass als Meinung. Völlig surreal ohne Schalldämpfer oder Richtung. Und sollte ich dann mal eine Meinung haben, dauert’s in den seltensten Fällen unmenschlich lange, bis mich ein schnitzelessender israelkritischer Islamkritiker mit Wirtschaftsfetisch und Führerschein für alles Übel dieser Welt verantwortlich macht. Die anderen wollen ja auch immer Recht haben.

Am Schluss sind’s ja doch nie „die da oben“, sondern die, die auch mitspielen wollen und so lange sauer sind oder stillhalten, bis sie das gegen ausreichende Bezahlung auch dürfen.

Ach komm, irgendwie ist er doch toll, dieser Hass der Straße: ein Fass ohne Boden vollkotzen. Ich genieße den Luxus, jemanden zu verteufeln, weil er eine Scheißfrisur hat, doofe Hosen trägt, Nickelback hört oder den falschen Fußballverein unterstützt.

Freuen, ein bisschen lächeln und mal „Yeah!“ sagen wird eh überbewertet. Ich hab’s trotzdem getan. Computer ausgeschaltet, Handy und Fernbedienung versteckt, eine Platte von Bolt Thrower aufgelegt und dabei Hundehaare von der Couch gepickt. Als es endlich dunkel war, sind die Behaarte und ich noch ein letztes Mal um den Block gezogen.

„Schau: ein Vorhängeschloss an einem Mülleimer“, hab ich zu meinem Hund gesagt und draufgezeigt. Stuttgart ist manchmal sehr einfach zu erklären. Sie hat genickt und kurz danach vor eine Kirche gekackt. Ich liebe ihren Humor.

P.S.: Ich war noch immer nicht im neuen Einkaufszentrum, hab‘ aber gesehen wie einer Nachts gegen die Fassade gepinkelt hat. Er trug Lederhosen.

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