Deutschland im Winter 2016: Liebe, Freude, Eierkuchen

Kessel_Stinkieselfie
(Foto: Bernd Beweglich, AP/Heslach, „Stinkieselfie“)

Manchmal scheint die Natur einfach stärker. Da kapituliere ich zum Beispiel vor der Kälte. Es ist schlichtweg zu kalt, um in der Wilhelma den Schimpansen dabei zuzusehen, wie sie sich gegenseitig mit ihren Exkrementen bewerfen. Mein Internet ist da hochgerechnet und selbst über den – hahalolrofl – Daumen wesentlich kostengünstiger und effizienter. Das Ergebnis ist ähnlich.

Das Prinzip „Lügenpresse“ habe ich mittlerweile auch verstanden. Das ist, wenn ich anderer Meinung bin oder wenn die „Gesteuerten da oben“ behaupten, etwas hätte in den sozialen Netzwerken „eine Diskussion entfacht“. Diskutieren ist mir zu 1998, ich verteile längst meine Meinung auf Tattoo-Schablonen, und jeder macht besser gleich einen Termin klar.

Must-Have-Accessoire des Winters: Mistgabel und Scheiterhaufen. Ein Schimpanse zeigt mir gerade den Facie-Daumen und sagt: „Alles richtig gemacht“ – gleich wirft er trotzdem mit Scheiße nach mir. So macht man das heute.

Aber: Alles besser, als da draußen unter die Räder zu kommen. Momentan scheinen die Chancen recht gut, noch vor dem Mittagessen von einer irgendeiner „Meute“ totgeschlagen zu werden, die sich währenddessen auch noch gegenseitig verprügelt. Alle gegen Alle. Immer. Der Zentralrat der israelkritischen Islamkritiker, Hand in Hand mit irgendeiner Bürgerwehr und den Idioten, die plötzlich  „unsere Frauen beschützen“ – gegen den Rest. Alle gegen Alle. Immer schön draufhauen, es wird schon den Richtigen erwischen. „War so ein Bauchgefühl, Herr Wachtmeister“.

Die Behörden „befürchten Selbstjustiz“ und nicht nur in Köln häufen sich die Anfragen auf den „kleinen Waffenschein“. Ich habe nicht nachgeschaut, was den vom „großen“ unterscheidet. Da bin ich solidarisch mit den Kollateralschäden. Kein Toter hat je gefragt, ob’s denn eine Faust, Eisenstange, Klappmesser, irgendwas von Heckler & Koch oder eine Atombombe war.

Beste Zeiten eigentlich, es sich zwischen Wut und Resignation gemütlich zu machen. Hab mir aber versehentlich einen Ohrwurm eingefangen:

„Als man ankam wollte man werden, die Geschichte schreiben, die Doofen sollen sterben, der Plan als man damals nach Hamburg kam“ (Marcus Wiebusch/ Kettcar. Geil. Nicht nur in Hamburg).

Ein Hoch auf die Doofen. Denn die können sterben, ohne dass man sie totschlägt. Ist doch super. Klingt nach einem nachhaltigen Konzept. Und natürlich hilft es zu wissen, dass man auch selbst immer ein bisschen Idiot ist. Aber der Plan, das alles hier etwas geiler zu verlassen, als man es damals vorgefunden hat, klingt überhaupt nicht blöd. Früher war ja gar nichts besser, nur halt anders und mehr Lametta – wie bei den Hoppenstedts.

Klar kann man derzeit locker den Laden dicht machen und „Scheißwelt“ aus dem Fenster brüllen, aber es würde all die Guten miteinschließen. Die hoffnungslosen Romantiker, die das alles hier auch nicht wollen. Die Trottel, die sich über ein Lächeln freuen. Die Gutmenschenarschlöcher, die naiven Deppen, die Ehrenwerten, die sprachlos sind, weil sie nicht mehr wissen, was sie sagen sollen aber trotzdem nicht schweigen.

Es schließt auch die Idioten ein, die mir beim Reifenwechsel helfen, weil sie von weitem gesehen haben, dass ich zu doof dafür bin. Es würde die Kinder einschließen, die einfach nur furzen, rülpsen, kacken, ein bisschen Mama & Papa und Blödsinn wollen. Die Hunde auch. Und jeden, der sich die Mühe macht, nicht nur auf Bauch und Herz zu hören, sondern auch manchmal kurz nachfragt, ob die Quatsch erzählen.

Es gibt’s Gründe genug, jeden Tag an die Decke zu gehen, völlig durchzudrehen und auf eine gewaltsame Alien-Invasion zu hoffen. Eben war ich beispielsweise kurz sauer, weil das Metal Hammer Sonderheft über Motörhead 9,90 Euro kostet. Man gebe mir zehn Minuten und ich mache daraus eine Hasstirade, die von Springer-Presse bis Ebola reicht. Kein Problem, hab‘ ich drauf.

Denn es ist wichtig, auch immer ein bisschen wütend zu sein. Auch auf die Raketenphysiker, die eine Online-Petition unterschreiben, um eine Kanzlerin ihres Amtes zu entheben. Und besonders auf die Rassisten, die sich lediglich durch die eigene Dummheit legitimiert wissen. Das sind Leute, die am Fahrkartenautomaten Zigaretten ziehen wollen. Das ging noch nie gut. Sackedumm. Echt jetztMist, siehste: es geht schon wieder los.

Geändert habe ich trotzdem nichts, sondern lediglich auf die Straße geschissen, damit rumgeworfen und erwartet, dass es andere bitteschön wegräumen oder wenigstens nach Größe oder Anliegen sortieren. Derzeit steigt lediglich die Annahme, dass es für alles eine einfache Lösung gäbe, die aber von den anderen herbeigezaubert werden soll – und dann halt noch die Resignation oder die Wut.

Die Stimmung mies da draußen, die Ellenbogen sind ausgefahren. Hunde-, Katzen-, Musik- und Spaßvideos auf Facebook – her damit. Ich salutiere euch wie AC/DC denen, die rocken wollen. Und ich freue mich über jeden, der sich nicht mit dem unverblümt zur Schau gestellten Rassismus abfinden will – und trotzdem noch Zeit, Muse oder den Kopf findet, auch mal hart zu chillen und sich nicht runterziehen lassen will. Auf Facie erzählt man sich ja nichtmal mehr, wenn’s gerade schneit.

Neulich, als ich weit nach 22 Uhr aus dem 42er ausgestiegen bin, trällerte ich dem Busfahrer zu: „Tschahau, Dankeh“. Meine Gedanken waren offenkundig irgendwo anders, vielleicht war es ein Reflex, wahrscheinich war ich außerplanmäßig entspannt oder sowas. Und ich fragte mich tatsächlich, wo das denn eben herkam. Ziemlich uncool, ich weiß. Aber das nimmt mir keiner und auch nicht die fast grundlose Freude über irgendwas Freundliches. Komme sie auch aus dem Nichts.

Vielleicht sind da draußen ja mehr potentielle Freunde als Feinde. Sollte es dumm oder naiv sein, weiterhin an das Gute im Menschen zu glauben – schreibt mich bitte trotzdem auf die Liste. Ah Mist, schon wieder der Ohrwurm: „Einsehen zum Schluss, dass man weitermachen muss“ (Marcus Wiebusch/ Kettcar. Immernoch geil).

Hoch die Tassen. Ich trinke auf euch, die sich nicht mürbe machen oder totschlagen lassen von den Dummen. Ja. Den Dummen.

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