Abschieds-Hommage an Stuttgart: Tschüssi, mach’s gut

Da sind sie: die Tränen. Endlich. Die letzten Tage hatte ich Sorge, dass ich unter einer krankhaften Verstopfung meines Tränenkanals leide. Oder ein krankhafter Psychopath bin. Denn es ist so: ich ziehe nach Hamburg und es hat mir gar nichts gemacht.

Während ich in den letzten Wochen alles organisiert habe, Verträge unterschrieben und Halbseligkeiten ausgemistet, war da – nichts. Ruhiger und gleichmäßiger Herzschlag. Gefühle wie Freude und auch Traurigkeit wurden eher gedacht als gefühlt. Weiß jemand, was ich meine?

Und jetzt heute dann also. Der letzte Kram im Auto verstaut und Himmel, hat man viel Kram. Ich möchte mich wirklich als Menschen bezeichnen, der eher mit leichtem Gepäck reist. Trotzdem musste ich 300 Bücher und zehn Pflanzen zurück lassen.

Aber die sind jetzt nicht unbedingt der Grund dafür, dass ich mit ordentlich verquollenen Augen in einem vollgestopften Auto sitze. Es liegt auch nicht an U2, die in meiner Power Balladen Playlist bei Spotify laufen. Auf Meat Loaf verzichte ich heute. Aus Gründen.

Viel eher liegt es vermutlich daran, dass ich statt Taschen voll mit Zeug Sitze in dieses Auto gebaut hätte. Und auf jedem Sitz all die lovely people, die ich nicht mitnehmen kann. Und um die geht es ja eigentlich. Und auch ein bisschen um dich, Stuttgart.

Ich bin mit Unterbrechung so knapp zehn Jahre da gewesen. Obwohl du wirklich in so vielen Facetten scheiße hässlich bist, hast du etwas ganz besonderes. Denn du bist ein Zuhause. Nicht so aufregend wie Berlin, nicht so schön wie Basel und sicher nicht so groß wie New York – aber jeder, der mag, darf bei dir ankommen.

Erste Liebe ja, aber du bist niemand für die schnelle Liebe. Dich darf und muss man kennen lernen. Langsam und ohne Druck. Du bist niemand für den Blitzschlag oder den großen Schlüsselmoment, an den sich dann so gerne zurückerinnert wird: „Ach ja, genau da habe ich mich in die Stadt verliebt“.

Nein, das passiert, ohne dass man es mitbekommt. Und wenn man es checkt, dann ist es zu spät und man will gar nicht mehr weg, weil es jetzt ein Zuhause ist.

Äh Nina, voll paradox. Du gehst ja schließlich grade? Ganz richtig. Hat ja aber auch niemand behauptet, dass Stuttgart perfekt ist. Nicht mal meins. Und ich sage mal so: Mein Stuttgart und mein Zuhause, das ist schon verdammt nah dran an Perfektion. 

Denn perfekt sind die Leute, die meine Tage hier gestalten. Liebeshymnen auf Freunde, das braucht es. Wirklich, mehr davon! Ich sag’s mal recht deutlich: Ich liebe meine Freunde. Sehr. Und ich heule wie ein frisch getrennter Teenager beim Twilight schauen, wenn ich darüber nachdenke, dass ich die jetzt nicht mehr jeden Tag sehen kann. (Selfie Flatrate soll helfen, habe ich mir sagen lassen.)

Auch das ist nicht von der schnelllebigen Sorte. Freundschaften. Die sind echt und tief und authentisch. Und während sich in meiner Abwesenheit sicher einiges ändern wird, weiß ich mit Sicherheit: Die bleiben. Findet eigentlich irgendjemand, dass ich kitschig werde, wenn ich emotional bin?

Aber manchmal muss man einfach mal weg. Eine kleine Beziehungspause vielleicht. Ich weiß nicht, ob es an deiner Topografie liegt oder an deinem Charakter – aber ich hatte das Gefühl, da ist Potenzial, dass sich nicht entfalten darf. Deckel drauf, höher geht nicht.

Deswegen besser mal in den Norden, sich frischen Wind um die Ohren und in die Gehirnwindungen blasen lassen. Und auf das Gefühl vertrauen, das ganz leise im Kopf pocht: Da geht mehr. Du kannst mehr. Fordern, fördern und wachsen.

Dafür muss man halt manchmal Gewohntes verlassen und sich in neuer Umgebung selbst neu kennen lernen. HIMMEL, das hält ja niemand aus mit mir. Wenn das so weiter geht, habe ich bis zur Ankunft den nächsten Rosamunde Pilcher geschrieben. 

Ok, zögern wir es nicht weiter raus. Lieber mal beherzt abziehen das Pflaster. Stuttgart, ich habe dich sehr lieb. Und ich werde dich sehr vermissen, deine Geborgenheit, deine Dörflichkeit und deine unfassbar grummeligen Bewohner. Du bist ganz gut so, wie du bist. Nur an deiner Fahrradtauglichkeit müssen wir noch arbeiten.  

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