Willkommen in der Usability-Hölle

Boah, ich musste grad mal laut in mich rein lachen. Der Nutzen des Abstimmungssimulators kombiniert mit dem Layout der angeblich schlechtesten Website Deutschlands und noch einmal die Barrierefreiheit der Eugensstaffel: „Seit heute ist die neue, interaktive Bürgerinformationsplattform www.biss21.de online.“

Ich zitiere die offizielle Pressemitteilung:

Das Kommunikationsbüro für das Bahnprojekt Stuttgart – Ulm und die Stadt Stuttgart haben das BürgerInformationsSystem zu Stuttgart 21, BISS21, in den vergangenen Monaten gemeinsam auf den Weg gebracht. – Genau so sieht’s aus: Bürohengste schieben sich monatelang die Entscheidungen hin und her.

Es bietet den Bürgerinnen und Bürgern rund um die Uhr praktische Informationen zum Streckenverlauf des Stuttgarter Bahnknotens, der Tunneltiefe oder den Beweissicherungsgrenzen. – Jetzt neu in Stuttgart: Das Internet wird nachts nicht mehr abgeschaltet sondern ist rund um die Uhr verfügbar.

Im BISS21 werden die Gesamtstrecken von Stuttgart 21 abgebildet und Informationen aus über 250 Plänen der Planfeststellungsbeschlüsse verarbeitet. – Und am Anfang stand die Hoffnung: Viel hilft viel.

Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Schuster: „Mit dem Bürgerinformationssystem haben wir die vielen Daten und Fakten zum Bahnprojekt auf ganz praktische Weise aufbereitet. Jeder Bürger kann sich anhand des Streckenverlaufs ganz gezielt und schnell die Informationen holen, die er haben möchte, die für ihn persönlich wichtig sind. Wir schaffen damit weitere Transparenz beim Thema Stuttgart 21, ganz besonders für die Bürger in der Landeshauptstadt.“ – Keine Startseite, kein Informationstext, nicht beschriftete Buttons, ellenlange Mouseover-Texte, fehlerhafte Programmierung, katastrophale Nutzerführung, Gestaltung aus der Grundschule – oder mit Wolfgangs Worten: „gezielt und schnell Informationen holen“.

Unter www.biss21.de erhalten Bürger eine Übersicht der S21-Strecke auf Stadtkarten und Luftbildern in verschiedenen Maßstäben, können über eine Adresseneingabe einen Standort finden und unter anderem die Distanz von Gebäuden zum Tunnel abmessen. Es lassen sich zudem 640 Höhenangaben und 154 Grafiken zur Tunneltiefe abrufen. – Bei Eingabe einer Adresse wird diese zwar im Suchfeld gefunden (Suche abschicken ist Enter, falls jemand den Abschicken-Button sucht), außer dass sich die Karte ein paar Pixel verschiebt passiert aber nichts weiter.

Dirk Thürnau, Technischer Bürgermeister, erklärt die Systematik der Software. „Das BISS21 ist wie ein Baukastensystem konzipiert: Informationen lassen sich einzeln abrufen und bauen aufeinander auf. Technische Inhalte des Projekts werden mit einfachen grafischen Mitteln veranschaulicht“. – Was er eigentlich meint: „Das BISS21 wurde von Fachinformatikern entwickelt, die in ihrem Leben noch nie im Internet waren. Wir haben die Informationen in ein Flashfile gepackt und per Zufallsgenerator mit unverständlichen Buttons verknüpft. Technische Inhalte des Projekts werden mit grafischen Mitteln von Anfang 1994 veranschaulicht“.

Projektsprecher Wolfgang Dietrich sieht in dem BürgerInformationsSystem eine optimal Ergänzung zum bestehenden Informationsangebot: „Unser Ziel ist es, den Bürgern das optimale Werkzeug an die Hand zu geben, damit sie möglichst schnell genau die Informationen zum Bahnprojekt bekommen, die sie brauchen. Es ist weiterer wichtiger Baustein für unseren Dialog mit den Bürgern.“ – Richtig, das BISS passt perfekt ins bestehende Informationsangebot: Es gibt ein unüberschaubares Durcheinander von Zahlen und Fakten verschiedenster Quellen, mit denen man sich weder mit Menschen- noch mit technischem Verstand eine anständige Meinung zum Projekt bilden kann.

Im BISS21 werden ebenfalls Beweissicherungsgrenzen dargestellt, auch die Originalpläne der einzelnen Beschlüsse können heruntergeladen werden. Zum Beweissicherungsverfahren der Deutschen Bahn AG hat das Kommunikationsbüro für das Bahnprojekt Stuttgart – Ulm e.V die Informationen zusätzlich in einer Broschüre zusammengefasst, die im Internet unter www.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de/beweissicherung abrufbar ist. – Super, man kann sich Pläne runterladen. Unter dem Link findet man übrigens folgenden Film, der die Benutzung von BISS erklärt. Ich hätte nicht gedacht, dass man das Ding noch toppen kann: Eine Online-Anwendung, für die man einen knapp 3-minütigen Film braucht, um sie benutzen zu können. Wenigstens weiß ich jetzt ungefähr, was die verschiedenfarbigen Linien bedeuten. Eine Legende gibt es nämlich nicht.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=zsTgIGfR7-o&feature=youtu.be[/youtube]

Das BISS21 wurde von der Bürgerbeauftragten der Stadt Stuttgart für Stuttgart 21, Alice Kaiser, initiiert und in Kooperation mit dem Kommunikationsbüro für das Bahnprojekt Stuttgart – Ulm e.V. erarbeitet. Als Basis dienten Stadtgrundkarten und Luftbilder, die vom Stadtmessungsamt der Landeshauptstadt Stuttgart bereitgestellt wurden. – Das sind dann diese Momente, in denen ich mit Beruhigung feststelle, dass mein Job doch nicht ganz umsonst erfunden wurde. Oder anders gesagt: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut.

www.biss21.de

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24 Comments

  1. says: Frau Doktor

    Und weil Menschen, die noch nicht mal eine vernünftige App hinbekommen, um die planerische Seite von S21 versteh- und benutzbar zu machen, mir erzählen, sie bekämen das alles total korrekt gebaut und es hätte auch voll genau die super-positiven Auswirkungen auf den Bahnverkehr, die ihnen im Stresstest NICHT attestiert wurden – genau wegen dieser überzeugenden technischen und kommunikativen Kompetenz sage ich am 27.11.: JA

  2. says: der felix

    … dann schau ich mir halt mal den Erklärbär-Film dazu an. Wundert mich ja ein bisschen, dass es da keinen Erklärfilm zum Erklärfilm gibt. Was ist denn dieses Jutjuub?

  3. says: kutmaster

    LOL. Kleiner Tipp: Mit Flashblocker sieht’s viel übersichtlicher aus und die überragend vielen „guten Argumente“ werden damit auch sehr gut gefiltert und auf einen einheitlichen Nenner gebracht.

    Und alle so: JA!
    (Haters gonna hate, Kasslers gonna Sauerkraut!)

  4. says: Martin Sp.

    Hmmm… also manchmal ging mir der Geissler während der Schlichtung auf die Nerven, als er immer wieder Fachbegriffe ersetzt durch „einfache Ausdrücke“ haben wollte, auch wenn die Erklärung des Fachbegriffs erst eine Minute her war, aber das hier? Mit dem Fachchinesisch wollen die jetzt noch, 2 Wochen vor der Volksabstimmung, jemand überzeugen?

  5. says: Hugo

    woher nimmt denn eigentlich der Schreiber des Textes (Thorsten W.) sein Wissen in Bezug auf Kartografie, Darstellungsregeln und Co? nur mal so …

  6. says: derNils

    man man man, genau das ist halt auch das problem an der ganzen sache.

    am 27.11. soll nun das volk über ein projekt abstimmen, wobei die mehrheit noch nichtmal im stande ist, einfach aufbereitete (bau)pläne ohne „erklärbär“ vollständig zu durchdringen. die welt ist halt manchmal nicht so einfach wie ne durchgestylte i-phone-app! will meinen, wer sich mit der sache auch nur ein wenig ernsthaft auseinander gesetzt hat, der sollte die informationen auf http://www.biss21.de auch ohne erklärung verstehen können. und thorsten: die umsetzung ist sowas von intuitiv, dass ich deine kritik echt nicht nachvollziehen kann. da frag ich mich echt, ob du schonmal google-maps oder dergleichen benutzt hast….

    und wer begriffe wie „tunneltiefe“ und „plangrenze“ als fachchinesisch deklariert, der ist vielleicht tatsächlich überfordert und sollte sich stattdessen diesen film anschauen:
    http://www.youtube.com/watch?v=XFaJ88w2H5k&feature=related

    da kriegt man alles schön aufbereitet vorgekaut und weiss danach bestens bescheid. wem das immer noch zu viel ist kann vielleicht auf die erklärbärfilme im sendung-mit-der-maus-stil von den gegnern zurückgreifen… man sollte jedoch nicht vergessen, dass sich der informationsgehalt auch auf dem niveau dieser tv-produktion bewegt.

  7. says: der felix

    Tja, Informationsgestaltung is eben nich so einfach. Intuitiv is für mich auch was anders und die Sendung mit der Maus ist was Informationsgehalt (und wie selbiger kommuniziert wird) ziemlich gut. Inhaltlich natürlich komplett auf anderem Level, klar. Ich bin auch dagegen, komplexe Themen auf ein zwei Marketingargumente runterzubrechen, aber man muss es ja auch nicht umständlicher machen, wie es schon ist.
    Ist natürlich bei dem leidigen S21-Thema keine leichte Aufgabe, ganz klar.

  8. says: derNils

    @martin: dann erzähl mir doch bitte mal wie man eine trassierung intuitiver darstellen kann als den geplanten streckenverlauf in eine landkarte zu integrieren und detailinformationen dazu per mausklick auf den steckenabschnitt bereitzustellen?!

  9. says: derNils

    @felix: womit wir wieder beim hauptproblem wären, bei dem das volk mit größtenteils technischem laienwissen über eine komplexe angelegenheit abstimmen muss. vielleicht ist http://www.biss21.de für die mehrheit nicht zur informationsgewinnung geeignet. deshalb gibt es ja genügend filmerische umsetzungen, die wahrscheinlich auch mehr relevanten informationsgehalt liefern.

    wer sich also die filme der befürworter und der gegner anschaut, sollte schon einen guten gesamteindruck bekommen – auch ohne dem studium von biss21. bei den jeweils angegebenen zahlen würde ich jedem ans herz legen, einfach mal den mittelwert zu bilden. beispiel: ausstiegskosten der grünen 350 mio. und befürworter 1.5 mrd. euro; das arithmetisches mittel läge dann bei 925 mio. da es mir so vorkommt, dass jeder seine rechnungn schönt, wäre das für mich ein ingenieurmässiger ansatz die tatsächlichen kosten zu schätzen.

    mir selber fällt es leicht biss21 intuitiv zu nutzen, da ich bauingenieur bin. ich wäre aber ohne thorstens beitrag erst gar nicht darüber gestolpert. deshalb danke nochmals.

  10. says: Martin Sp.

    @Nils: Ach, und was meinst du zu „Beweissicherung“?

    Nachdem was man so liest seit Jahren haben sich weitaus mehr Gegner in die Materie eingearbeitet als Befürworter.

  11. says: martin

    nils, ich weiß es nicht. ich muss es auch nicht wissen. ich weiß nur, dass ich als bürger, der sich informieren will, mit der seite wie schon ganz oben geschrieben „überfordert“ bin. sie „holt“ mich nicht ab, sondern schreckt mich eher ab. und so ist sie für mich halt einfach nicht intuitiv. schon allein dass eine seite einen „erklärfilm“ braucht, sagt doch auch schon etwas darüber aus, dass sich die gestalter nicht ganz sicher waren ob die seite jeder checkt. welche internetseite braucht einen erklärfilm?

    vielleicht ist es bisschen zu viel verlangt: aber internet muss meines erachtens sofort funktionieren. wie eben z.b. dein erwähntes beispiel google maps. sonst bin ich raus.

  12. says: Thorsten W.

    @derNils: Ok, in deinem letzten Beitrag relativierst du deinen ersten Kommentar ja ziemlich. Da hat es sich noch so angehört dass ich (überspitzt formuliert) zu doof bin das Ding zu verstehen. Wobei ich sagen muss dass das natürlich nicht das Argument sein kann: Wenn ich zu doof dafür bin liegt das nicht an mir, würde ich mal behaupten, sondern letztendlich an der Anwendung, die ich bedienen soll.

    Und wo du „durchgestyle iPhone-Apps“ erwähnst: Genau die sollten der Maßstab sein, weil man die (jedenfalls die guten) intuitiv bedienen kann.

    Zudem übersiehst du einen wichtigen Unterschied: Ich habe nicht bestritten, dass biss21 alle nötigen Informationen bereitstellt, die man braucht, um sich umfassend über S21 zu informieren. Mir ging es aber vor allem um die Darbietung bzw. Zurverfügungstellung der Information, und die ist einfach ne definitiv ne Katastrophe.

    „wer begriffe wie “tunneltiefe” und “plangrenze” als fachchinesisch deklariert, der ist vielleicht tatsächlich überfordert“ – definitiv. „Tunneltiefe“ krieg ich noch hin, „Plangrenze“ könnte ich mir wahrscheinlich noch zusammenreimen, aber z.B. bei „Layer-Opazität“ muss ich auch den Wikipedia-Eintrag zweimal lesen.

    Wenn wir eine Sendung beim SWR wären würde ich mal zu unserem OB gehen und mit ihm testen, wie „gezielt und schnell“ ER die Informationen aus der Plattform rauskriegt.

  13. says: derNils

    @martin Sp.: hier liefert google eine schnelle antwort:

    „Beweissicherung dient zur Aufnahme des Zustandes vor Beginn der Bauarbeiten unter Aufnahme von Bauschäden und Baumängel durch einen Gutachter.“

    das dient zur dokumentation des ist-zustandens, damit eventuelle schäden aufgrund der baumassnahme im nachhinein anerkannt werden können. ziemlich essentiell, um den bauherrn später haftbar zu machen. will meinen, wenn dein häusle vorab schon setzungsrisse hatte, sind diese wahrscheinlich nicht auf die baumassnahme zurückzuführen.

    aber wie schon gesagt, man sollte sich vielleicht nicht mit diesen detailfragen rumplagen, denn bei S21 geht es meiner meinung nach um weitaus mehr! deshalb doch lieber mal den sinn und zweck des ganzen projekts durchleuchten und sich vor allen dingen mal die konsequenzen eines ausstiegs klarmachen.

    abgesehen davon denke ich, wenn die alternative der S21-gegner ein ähnliches stadium (inklusive planfeststellung) erreicht, lassen sich da in detailfragen bestimmt äquivalente viele mängel finden.

    deshalb nochmals: für den laien scheinen diese details oft unüberwindbar, da die meisten sich schon mit der fragestellung als solches schwer tun. mit (bautechnischen) problemen konfrontiert zu sein und für diese lösungen zu finden ist für leute im baugewerbe jedoch der alltag!

  14. says: derNils

    @thorsten: sorry, wollte dich nicht als zu doof hinstellen. ich geb dir recht, dass biss21 vielleicht nicht gerade den informationscharakter hat, den sich der bürger vorstellt. die gründe hab ich oben ja genannt.

    auch ein vorabtest mit dem OB wäre vielleicht hilfreich gewesen.

  15. says: Martin Sp.

    @nils: natürlich kann ich die Fachbegriffe nachschlagen. Das konnte der Geissler auch. Hast du dir mal überlegt, warum er das nicht gemacht hat? Warum das viele Häuslebesitzer auch nicht machen werden?

    Ja, über Sinn und Zweck bin ich mir für meinen Teil durchaus klar. Da versuchen einige Spekulanten einen Reibach zu machen, und denen ist es völlig wurscht das eine wichtige Verkehrsinfrastruktur dabei den Bach runter geht.

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