Über konservativ Gehobene, Hedonisten und andere Typen

(Blick aus dem Schloss Außenreporter) 

Geh ich mal von meinen Freundeskreis aus und was man so außenrum hört, sucht jeder die gleiche Wohnung. Drei bis vier Zimmer, 90 bis 100 Quadratmeter, Mitte, Süd, West, sanierter Altbau, 25 Meter hohe Decken mit voll schön Stuck, auf gar keinen Fall die Dusche im Bad in der Küche, Zentralheizung, auf jeden Fall Parkett und natürlich (!) ein Balkon (!). Für 800 Euro kalt. So. Denk ich mir öfters: Leute, wo lebt ihr? Die Wohnungen gibt´s natürlich, aber sind, ich sag mal, strenger limitiert als das eine oder andere Nike-Modell am Samstag bei Kicks N Coffee. Über das Thema Wohnungssuche hat sich auch erst kürzlich die Jana ausgelassen.  Haste eigentlich eine mittlerweile?

Nicht nur die Jana sucht – und hat wie geschrieben, im Laufe der Suche ihre Ansprüche heruntergeschraubt – sondern immer mehr Leute zieht es in die Stadt. Gestern verschickte das Rathaus eine städtische Analyse über die Lebensstile und Wohnwünsche der Stuttgarter: „Was reizt die Menschen am innerstädtischen Leben, was sind ihre individuellen Wertvorstellungen und wie wollen die Stuttgarter wohnen? Dies sind zentrale Punkte der städtischen Umfrage „Lebensstile in Stuttgart“, die Teil der strategischen Stadtentwicklung ist.“ Auch die StZ berichtet heute darüber. 

An der Umfrage haben sich circa 7000 Leute beteiligt, mit dem Grundtenor, dass eben die meisten in der Innenstadt wohnen wollen. Aber Stadt ist nicht gleich Stadt, jeder hat da andere Vorstellungen oder eben „Lebensstile und Wohnwünsche“. Deswegen wurde die Bevölkerung in neun so genannte Lebensführungstypen zugeordnet, wie in der Pressemitteilung steht, deren Definitionen das absolute Highlight dieser Analyse ist.

Konservativ Gehobene

Tradition des Besitzbürgertums, Konservatismus, Distinktion durch „Rang“, Exklusivität im Lebensstandard, klassische Hochkultur, Leistungs- und Führungsbereitschaft, Religiosität.

Liberal Gehobene

Tradition des Bildungsbürgertums, Liberalität, berufliche Selbstverwirklichung, Hochkulturkonsum mit „alternativem“ Einschlag, Sinn für Authentizität, Kennerschaft im Konsum.

Reflexive

Kulturelle, akademisch geprägte Avantgarde, Reflexivität, Kreativität und Experimentierfreude, Suche nach eigenverantwortlicher Persönlichkeitsentfaltung, globales Lebensgefühl.

Hedonisten

Jugendkultureller Stilprotest durch Mode und Musik, Innovationsfreude, gegenwartsbezogene Genuss- und Konsumorientierung, modern und offen, gute Schulbildung.

Aufstiegsorientierte

Zentriertheit um solide Berufskarriere, Familie und Partizipation am Mainstream der modernen Freizeitkultur, „Durchschnittlichkeit“ und interne Heterogenität des Typus durch Mittelposition.

Konventionalisten

Tradition des Kleinbürgertums, Pflicht- und Akzeptanzwerte, Sicherheitsorientierung, Hochkulturkonsum mit volkstümlichem Einschlag, konservativ-religiöse Moral, häusliche Idylle.

Traditionelle Arbeiter

Tradition der Facharbeit, Bescheidenheit, Orientierung am Praktischen, Bedeutung sozialer Sicherheit, gewerkschaftliche Nähe, deutsches Liedgut, Vereinsleben. (Deutsches Liedgut? Jan Delay?)

Heimzentrierte

Familienzentriertheit und Häuslichkeit durch Kinder und geringe Ressourcenverfügbarkeit, traditionelle Volksfestszene und moderne Massenkultur wie Popmusik und Fernsehen. (Die traditionelle Volksfestszene also.) 

Unterhaltungssuchende

Erlebniskonsum, materialistische Statussymbolik und außerhäusliche Unterhaltungsorientierung vor dem Hintergrund einer Deklassierungsbedrohung, Depolitisiertheit. (Ganz klar der Thorsten.) 

So. Und was seid ihr?

Die ganze Presseinfo mit ganz vielen Zahlen auf der nächsten Seite

Städtische Analyse zeigt Lebensstile und Wohnwünsche der Stuttgarter

Zentrum als Wohnort immer gefragter

Immer mehr Menschen entscheiden sich, in Städten zu leben. So wuchs Stuttgarts Bevölkerung im vergangenen Jahrzehnt um drei Prozent. Was reizt die Menschen am innerstädtischen Leben, was sind ihre individuellen Wertvorstellungen und wie wollen die Stuttgarter wohnen? Dies sind zentrale Punkte der städtischen Umfrage „Lebensstile in Stuttgart“, die Teil der strategischen Stadtentwicklung ist.

Der Bürgermeister für Städtebau und Umwelt, Matthias Hahn, fasst zusammen: „Fast alle Befragten wollen in der Innenstadt wohnen oder an einem Ort, der gut erreichbar ist. Konfektionierter und damit kostengünstiger Wohnungsbau oder Standardwohnen bleibt wichtig. Qualität und Individualität werden immer gefragter. Daher werden wir Siedlungen und Viertel stärker entsprechend der Nachfrage planen.“

Dafür böten sich zahlreiche Flächen mit Wohnbaukapazitäten in hochwertigen Lagen an Parkrändern an. Hahn nannte als Beispiele das künftige Rosensteinviertel, den NeckarPark und die Klinikareale. Weitere begehrte Lagen in Stuttgart sind die CityPrag/Maybachstraße oder die Bahnhofsumfelder in Feuerbach und Bad Cannstatt.

Weiterer Schluss der Studie: Für neue Stadtquartiere sind Pioniere zu gewinnen, die die Viertel erschließen. „Mit kreativen und innovativen Ansiedlungsstrategien wollen wir Individualität, Dichte und Barrierefreiheit planerisch verbinden, um bei den großstädtischen Milieus anzukommen“, so Hahn weiter. Bei diesen Planungen wird die Stadt die Bürger weiter intensiv beteiligen.

Thomas Schwarz, Leiter des Statistischen Amts: „Die beliebtesten Wohngebiete in Stuttgart sind mit einer Zustimmung von 28 Prozent die Halbhöhenlagen und die Innenstadt mit 20 Prozent. Die Sehnsucht nach einem Wohnort in der Stadt ist eindeutig, doch die damit verbundene urbane Renaissance kein Selbstläufer.“

Das Statistische Amt hat nach den Ergebnissen der repräsentativen Umfrage die Stuttgarter Bevölkerung in neun Lebensführungstypen zugeordnet: Konservativ Gehobene, Liberal Gehobene, Reflexive, Hedonisten, Aufstiegsorientierte, Konventionalisten, Traditionelle Arbeiter, Heimzentrierte und Unterhaltungssuchende. Thomas Schwarz: „7000 Personen haben sich an der Umfrage beteiligt. Der hohe Rücklauf von 50 Prozent zeigt, dass wir mit diesem Ansatz richtig gelegen haben.“

Lebensführungstypen in Stuttgart

Die Aufstiegsorientierten repräsentieren die Mitte der Gesellschaft, mit 26 Prozent bilden sie die größte Gruppe in Stuttgart. Amtsleiter Schwarz erläutert: „Zu den gesellschaftlichen Leitmilieus zählen wir die Konservativ Gehobenen, die Liberal Gehobenen und die Reflexiven. Sie machen zusammen 28 Prozent der Bevölkerung aus.“

Eine weitere Mittelschichtgruppe mit 7 Prozent sind die Konventionalisten. Die untere Mittelschicht/Unterschicht setzt sich aus den Traditionellen Arbeitern (7 Prozent), Heimzentrierten (14 Prozent), und Unterhaltungssuchenden (4 Prozent), zusammen. Eine Sonderstellung nehmen in Stuttgart die Hedonisten mit 14 Prozent ein. Im Gegensatz zu anderen Großstädten gelten sie in Stuttgart als moderne, offene Gruppe mit guter Bildung.

Stuttgart ist eine Stadt mit vielfältigen Stadtbezirken – nirgendwo dominiert eine Gruppe. Dennoch bevorzugen bestimmte Lebensstile einzelne Lagen: Die Innenstadt prägen vor allem die hochurbanen Hedonisten und Teile der Reflexiven, Aufstiegsorientierten und Unterhaltungssuchenden. Die Halbhöhe zieht die drei Leitmilieus an: Die Konservativ Gehobenen sind überdurchschnittlich stark vertreten im Bezirk Stuttgart-Nord, der mit dem Killesberg die exklusivste Wohnlage der Stadt besitzt. Reflexive finden sich im gesamten Innenstadtbereich, aber deutlich weniger im Bezirk Nord.

46 Prozent der Stuttgarter haben sich für das „Standardwohnen“ entschieden, ein Drittel für „Gehobenes, großzügiges Wohnen“, 29 Prozent für „Ökologisches Wohnen“, 21 Prozent für das „Wohnen im Altbau“ und 12 Prozent für „Experimentelles Wohnen“ mit besonderer Architektur.

Interesse an ökologischem Wohnen

Die Aufstiegsorientierten sind besonders interessiert an ökologischem Wohnen (34 Prozent). Bürgermeister Hahn: „Nachhaltiges Bauen und Wohnen stoßen inzwischen auch in der Mittelschicht auf eine breite Akzeptanz.“

Das für Konservativ und Liberal Gehobene so bedeutsame ökologische Wohnen (33 Prozent) ist hingegen für die intellektuelle Avantgarde der Reflexiven inzwischen Standard. Sie interessieren sich mehr für experimentelles Wohnen (31 Prozent) und Wohnen im Altbau (41 Prozent). Ein deutliches Interesse an experimentellem Wohnen zeigen auch die jungen, unkonventionellen Hedonisten (16 Prozent). Traditionelle Arbeiter, Heimzentrierte und Unterhaltungssuchende sind die größten Nachfragegruppen nach Standardwohnungen (60 bis 73 Prozent).

Das frei stehende Einzel-/ Doppelhaus oder Reihenhaus ist der beliebteste Architekturtyp, 40 Prozent nannten dies als Favoriten. Die gesellschaftlichen Leitmilieus bevorzugen dagegen frei stehende Mehrfamilienhäuser/Stadtvillen, wie sie für die Halbhöhenlage typisch sind. Reflexive und Hedonisten schätzen das Architekturexperiment im Bestand.

Förderprogramme für Wohneigentum

Bürgermeister Hahn: „Die Stuttgarter Wohnungspolitik wird neben der sozialen Wohnraumversorgung künftig das Angebot für Schwellenhaushalte und gehobenere Einkommensgruppen ausweiten und differenzieren. Unsere erfolgreichen Ansätze sind bislang das Landeswohnraumförderungsprogramm und das städtische Familienbauprogramm.“

Ein Drittel der Befragten war an den Förderprogrammen interessiert, vor allem die gebildete, mittlere Einkommensschicht. Aufstiegsorientierte und Reflexive, durch eine mittlere Eigentumsquote gekennzeichnet, zeigten zusammen mit den noch wenig Wohneigentum besitzenden Hedonisten das größte Interesse (ca. 38 Prozent), am wenigsten interessiert waren die Konventionalisten (21 Prozent).

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14 Comments

  1. says: Jazzlinger

    Typisches Schubladendenken 🙂
    Aber so zwischen Hedonist und Reflexive passt ganz gut.
    Der Heimzentrierte trifft dann auf dem Wasen den traditionellen Arbeiter für den Konsum deutschem Liedgutes oder wie?

  2. says: Thomas

    Die „Lebensführungstypen“ (und ihre Definition) stammen aber wohl nicht aus der Studie, da wurde ein bestehendes Modell genutzt und auf Stuttgart sowie das Thema Wohnen angewandt. Solche Lebensstil-Typologien sind in der Soziologie absolut üblich, das Modell oben sieht nach Gunnar Otte aus. (Sorry fürs Klugscheissen, aber wenn mein Studienabschluss schon sonst zu nichts nutze war…)

  3. says: Peter

    „auf gar keinen Fall die Dusche im Bad“ ?!?

    Es sucht doch nicht ernsthaft jemand ne Wohnung wo die Dusche in der Küche ist, oder? Vielleicht bin ich da zu sehr „konservativ gehoben“, aber bei mir gehört die Dusche ins Bad.

  4. says: Martin Sp.

    Wenn ich mich richtig anstrengen würde könnte ich eventuell dieses Bullshit-Bingo verstehen und mich irgendwo einordnen. Ggfs. auch in mehreren der Rubriken, denn ich bin ich. Außer die Volksfestszene, die geht mir gewaltig auf den Zeiger. Und die daraus resultierende besch*** Verkehrsführung letzten Samstag. Hallo, Herr Oberkommisar, oder was auch immer. Wenn dein Kollege die Strasse aufmacht, dann halte ich mich an die Regeln. Und wenn du die Strasse wieder zumachst nutzt mir meine Ortskenntnis nix, denn ich weiß nicht wo deine Kollegen sonst noch überall die Straßen zugemacht haben.

    Das musste raus 🙂

  5. says: Jana

    Ich hab’s aufgegeben. Hab festgestellt, dass ich meine eigene Wohnung eigentlich mag. Was soll’s, fehlt halt ein Zimmer. Mit weniger Platz zuhause kann ich mich mehr dem „Hochkulturkonsum mit ‚alternativem‘ Einschlag“ oder dem deutschen Liedgut widmen.

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