TV-Kritik: Unser Star für Baku – Eurovision Song Contest

Wann isn eigentlich wieder Fußball? Macht nix, seit gestern Abend ist Spieltag am Donnerstag, mit Blitztabelle. Und die blitzt, Heidenei. Bin da gestern zufällig und eher ungeplant gelandet, konnte dann aber nicht loslassen. Da kann der Spiegel heute noch so viel von „der wohl miesesten Erfindung des deutschen Fernsehens der letzten Jahre“ schreiben, die „sich ab der ersten Minute als ärgerlich bis erniedrigend erwies.“ Ich fand die Show super. Und ich war überrascht wie gewissenhaft der Zuschauer voten kann. Der hat meiner Meinung die fünf richtigen durchgeschleust. Gibt es Hoffnung?

Denn wie man hört rangieren X-Faktor und Voice of Germany (Spreeblick drückte neulich erst seine Begeisterung via Twitter aus) ebenfalls auf einem hohen Niveau. Kann ich nichts zu sagen, kein einziges Mal reingeschaut, geschweige denn bin ich mit den Spielmodus vertraut.

Pro7 sucht also die nächste Lena für Baku in Aserbaidschan. Das vor zwei Jahren eingeführte Casting-System, eine Allianz aus Pro7 und ARD bzw. Stephan Raab und der ARD, um den deutschen Grand Prix Beitrag in Amt und Würden auszufüllen, verbucht man freilich nicht nur dank dem „Sommermärchen von 2010“ (ole oder ohje) als größten deutschen Beitrag zum Weltkulturerbe seit Erfindung von Andrea Berg, sondern lobte am Anfang der Sendung auch nochmals Lenas letztjährige Performance in Ditzingen, sorry, Düsseldorf bis nach Baku oder halt doch nur Höfingen.

Aus Ditzingen stammt ursprünglich Friseur Thomas D.. Der wird bei „Unser Star von Baku“ als „Jury-Präsident“ vorgeschoben (Neues Lebensziel: Jury-Präsident werden, wenn auch nur bei Miss Ditzingen). Eigentlich die Raab-Rolle, aber der ist auf dem Weg zum nächsten Beckenbauer. Und der Franz steht bekanntlich über jedem Jury-Präsidenten der Welt. Also bisschen Verantwortung in die Eiffel abgeben.

Im Spot sinnierte Raab wie gewohnt ein wenig großspurig wie selbstgefällig, warum er nicht schon früher auf die Blitztabelle gekommen ist bzw. das Echtzeit-Voting-System (Echtzeit ist das Lieblingswort des Abends). Quasi von der ersten Minute an können die Zuschauer bis zum Ende der Sendung für ihren Favoriten anrufen. Konnte mir das in der Ankündigung nicht so richtig vorstellen, vielleicht bin ich auch deswegen hängengeblieben.

Zugegeben: Das erste Sympathievoting ist absolut dämlich, lebt natürlich von Vorurteilen und könnte man sich total sparen – weil sich auch, wie gestern gesehen, das Publikum schlussendlich davon doch nicht blenden lässt.

Da landete eben die blasse Katja mit dem etwas zu dünnen roten Haar auf dem letzten Platz, die obligatorische Blondine mit Rampensau-Appeal punktete zunächst drallig und musste als Vorletzte ran – und flog zurecht als Aguilera-Klon raus (also nicht der Klon von Setzers DJ-Team, sondern Christina-Double). Und Katja mit dem dünnen Haar musste als erste ran, konnte sich erfolgreich in die nächste Runde hangeln. So erging es noch einigen anderen, die nach Sympathie zunächst hinten lagen.

Wiederum ist nach dem Sympathie-Voting der etwas schüchterne Roman mit der Basecap ganz vorne – und erntet mit seinem letzten Auftritt als erster und einziger Standing-Ovations. Tighter Typ ohne Frage, super Einsatz, aber fast schon bisschen zu viel des Guten. Der stehende Thomas D. fordert leicht weinend Stefan Raab auf sich doch bitte ebenfalls in die Vertikale zu bewegen. Der kritische Don-Pate-Beckenbauer quält sich leicht widerwillig aus dem Sessel. Denn der Profi weiß: Wenn es schon mit Standing Ovations los geht, was soll da dann noch kommen? Die Sinhead O´Connor zwischen den zwei Männern hab ich übrigens noch nie zuvor in meinem Leben gesehen. Singt glaub in einer Band. Oder hat eine Autowerkstatt. Jaja, shame on me und Kacke auf you.

Ansonsten: Ich (er)kannte kaum ein Lied, die ARD-Abgesandte trug tatsächlich ein Shirt, auf dem riesengroß SWAG stand, Thomas D. ist ein Glücksgriff und überzeugt mit schwäbischer Ehrlichkeit und spontanen Battle-Raps im typischen Holterdipolter Fanta-Flow, Jan wählte das falsche Lied und zeigte dafür zu wenig Eier, Salih hatte dagegen zu viel Eier und war etwas zu großspurig, Jasmine hingegen etwas langweilig und Jil Rock checkte derweil im „Green Room“, der eigentlich orange ist, ihren Facebook-Account. Hat total viele neue Freundesanfragen. Wenigstens etwas am Ende des Abends.

Die Arschkarte ging an Kai, freilich solide, aber im Fotofinish reichte es doch für Platz sechs, weil Roman, Leonie, Katja, Shelly und Céline, die beim Titantic-Frontfrau-Vergleich längst nur noch müde abwinkt, eben einfach besser waren.

Star des Abends war aber die dauerhaft eingeblendete Blitztabelle, die speziell in den letzten Minuten wesentlich aktiver war als eine Bundesliga-Blitztabelle jemals sein kann, immer im Visier, aber lenkte nie vom eigentlich Geschehen ab – was wiederum der Spiegel behauptet. War bestimmt auch ein guter Hustle den Werbekunden der letzten Pause zu vermitteln, ey du Werbekunde, wir blenden neben deinem Spot unsere neue famous Blitztabelle ein, isch okay oder? Hm okay, hat ja sowieso jeder nen 52-Zoller. Wenn die wüssten was für eine Miniaturglotze in meinem Schlafzimmer steht würden sie kotzen.

Die fünf Zurechtweiterkommer sind dann wiederum unter sich ein bisschen Geschmacksache. Shellys Valerie-Gestotter war freilich auf seine Art und Weise outstandig („große Kunst“, wie Raab sagte), ging mir aber zum Beispiel ein wenig auf den Sack. War vielleicht etwas irritiert, weil ich halt gerne zur der Originalversion auf der Wasenbank rumgröle. Die Maß in der einen Hand, den Thorsten in der anderen.

Join the Conversation

18 Comments

  1. says: mag

    „Die Sinhead O´Connor zwischen den zwei Männer hab ich übrigens noch nie zuvor in meinem Leben gesehen.“ True, keine Ahnung, mit dem die was hatte, damit die da mitspielen durfte. Auch die Tante vor dem „Green Room“ ist mir unbekannt. Aber wie so oft, neue „Gesichter“ braucht das Land …

  2. says: Thorsten W.

    Ich hab das nur so mit einem Auge und einem Ohr mitverfolgt, aber ich fand das Niveau im Vergleich zu Voice of Germany – was halt einfach wirklich raussticht – erschreckend schlecht. Es reicht halt doch nicht, irgendwie cool und anders zu sein – singen sollte man auch können.

  3. says: martin

    nun ja, also für meine halbgaren ohren konnten die ersten fünf schon singen. hab aber wie oben gesagt kein vergleich zu V.O.G.
    weiterhin war das halt die erste show von acht und nächste woche kommen ja nochmals zehn. denk schon dass da unter dem strich was gutes rauskommt. wie sich der kandidat dann in baku schlägt ist freilich nochmals ne ganz andere geschichte.

  4. says: Maith

    Haha.. grandioser Bericht, habe die Show nicht gesehen und musste mich nur auf den Spiegel-Artikel verlassen und dachte schon „entweder schlecht oder schlecht was Spon schreibt“. Dann also das zweite. Vielleicht nächsten Donnerstag dann…

  5. says: Claudia

    Thorsten ich kann Dir nur recht geben. Obwohl ich nur den Schnelldurchlauf gesehen habe. Die Stimmen waren so etwas von dünn, dass ich gewartet habe wann endlich die Guten kommen. Aber nix. Wer hat denn die Vorauswahl getroffen?

  6. says: martin

    wollte ich auch gerade posten. die zweifeln an der blitztabelle. kann man auf jeden fall drüber nachdenken, ja. ich war da zu angespannt gestern für 😉

    „Bis eine halbe Minute vor dem Ende der Sendung lagen sechs KandidatInnen mit 14,5 Prozent der Zustimmungen gemeinsam vorne. Einer von ihnen musste noch ausgesiebt werden – Statistikwissenschaftler können vielleicht erklären, wie es zu diesem Kopf-an-Kopf-Rennen kommen konnte.

    Beziehungsweise: Wie es kam, dass eine Kandidatin wie Katja Petri 45 Sekunden vor dem Ende noch auf Platz sechs lag, eine Viertelminute später auf Platz zwei … Und Shelley, die leicht angenehm bekloppt wirkende Amy-Winehouse-„Valery“-Interpretin – ein Darling der Jury! – auszuscheiden drohte, aber dann durch offenkundige Sympathiebekundungen von Thomas D und Raab doch noch die abendliche Wertung gar gewann. Waren es so wenige Anrufe, dass die Verschiebungen so leicht gelangen – oder saß da jemand am Masterpult und schob an Reglern?

  7. says: Phil Grooves

    Allgemein finde ich das Konzept mit der Live-Tabelle wesentlich besser als die Heimlichtuerei z.B. bei DSDS wo versucht wird, die Ergebnisse am Ende auf so viel Sendezeit wie möglich auszudehnen und die Spannung ins unendliche zu treiben.

    Gestern lagen die Top-Kandidaten am Ende alle bis auf 1,5% zusammen. Bei so knappen Abständen bewirken wahrscheinlich schon wenige Anrufe Verschiebungen. Dass allerdings direkt nach den Wortmeldungen der Jury entsprechend Bewegung reinkam, überrascht zumindest schon mal. Unmöglich ist es aber nicht.

    Merkwürdiger kam mir da der Gewinner des Autos vor, der am Ende eingeblendet wurde: Fritz Blitz aus Schmitzenhausen.

  8. says: martin

    ich hatte rein gefühlsmässig den eindruck, dass das jury urteil eher kaum beeinflusst hat, sondern dass die leute schon gut die leistung selbst bewerten konnten. aber nur ein gefühl.

    und ob die einzelnen acts auch ohne statement gesprungen wären oder nicht, weiß man eben auch nicht. gegenbeispiel wäre, dass die sängerin in der jury ja auch bisschen versucht hat jasmine zu pushen, ging aber nix mehr.

    allgemein denke ich, dass die blitztabelle schule machen könnte.

    aber tighter auto gewinner, hahaha.

Leave a comment
Leave a comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert