Stuttgart Festival. Donnerwetter!

Alle Bilder oben in der Galerie von Fotonoid, alle Fotos unten von Sytzal Fighers. 

Die gute Nachricht zuerst: mehr Hotpants habe ich seit dem Evangelischen Kirchentag nicht mehr gesehen. Die noch bessere Nachricht: Ich hatte keine an. Die Sandalen habe ich auch weggelassen. Auch weil ich manchmal lachen muss, wenn ich welche sehe. Meine Mutter nennt derartige Sommer-Schuhmode: „Heilandsreifen“.

Und weil ja immer was ist – hier noch die miese Nachricht: das Wetter. Erst von der Sonne durchgebraten, dann wegen Unwetterwarnung evakuiert und die Frisur vom Wind ruiniert.

Der Rest beim ersten Stuttgart Festival auf dem Stuttgarter Messegelände ist Geschmacksache. Doch bei 80 Millionen Bundestrainern, Kanzlern und Festivalbookern ist das eh die größte aller Hürden. Und natüürlich hätte ich, also ich, gaaanz andere Bands geholt. Und das wird man ja wohl noch !!!1!einselfen!! dürfen.

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Nee, Quatsch. Das Stuttgart Festival war eine gute Idee, möge sie trotz der widrigen Begleitumstände auch im kommenden Jahr weitergeführt werden. Freitagabend wurde das Gelände wegen einer Unwetterwarnung evakuiert und samstags konnten die Veranstalter das Festival erst mit dreistündiger Verspätung öffnen. Hoffentlich hält sich der Schaden in Grenzen. Auch weil eben ziemlich viele Bands, darunter die Headliner Crystal Fighters, nicht auftreten konnten.

Das Festival hat sich allerdings eine schöne Nische gesucht: Marienplatzfest, nur halt mit Eintritt. Indiepop, Konschd, Shopping –alles zeitgeistig auf der Höhe. Manchmal auch etwas beliebig, Talisco beispielsweise. Schöne Musik, man befürchtet trotzdem, dass gleich Mumford & Sons auf die Bühne laufen und ihre Refrains zurück fordern. Künstler wie Abby wiederum sind in Clubs eventuell auch etwas besser aufgehoben. Was alle aber gemein haben: da war kein Quatsch dabei.

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Olafur Arnalds habe ich zum Beispiel sehr gerne – auch weil jeder einen Lieblings-Isländer braucht, mir Solstafir manchmal etwas zu langatmig sind und Asgeir Sirgurvinsson irgendwie nicht zählt. Das Konzept, einen Typen wie Arnalds bei einem Festival zur Primetime auf die Bühne zu winken, hat allerdings durchaus seinen Reiz – als würde die ARD statt dem „Musikantenstadl“ plötzlich einen finnischen Autorenfilm zeigen. Sphärischer Wohlklang, Wehmut mit Piano, Streichern und kaum Gesang – Sitzmusik für zu Hause. Funktioniert hat das trotzdem.

Bei einer Festivität wie „Rock am Ring“ wäre diese Nummer nach hinten losgegangen, beziehungsweise durch laute „Fickööööönn“ oder „Basssssoolloo“– Rufe unterbrochen worden. Hier bollerte nur ab und an die DJ-Stage dazwischen.

Olafur Arnalds hielt ich ursprünglich mal für einen Death Metal Typen, da er u.a. auch für die phantastische Band Heaven Shall Burn einige Intros und Outros komponierte. Heute weiß ich: wenn ich jemals einem Weltuntergang beiwohnen muss, dann bestehe ich darauf, dass zumindest seine Musik dazu gespielt wird. Flasche Sprudel und Vesperbrote im Rucksack, die Liebsten im Arm – dann wird das richtig gut.

Apropos Vesper: Beim Stuttgart Festival gab’s Foodtrucks satt, doch zumindest „LA Tacos“ hätten sich aufgrund der örtlichen Begebenheiten durchaus etwas mehr an die Crowd ranschmeissen und sich wenigstens „LE Tacos“ nennen können.

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Wahnwitzig gut klang auch: „frittierte Snickers“. Ich befürchte allerdings, dass kulinarische Häppchen dieser Art meine Planungen für mindestens zwei Wochen durcheinander wirbeln würden. Auch toll: An einem Stand hängt ein „Refugees Welcome“-Banner und daneben steht ein Schild, das zum kostenlosen Handyaufladen einlädt.

Oh! Falls ich mal aus Versehen über Nacht in einem Getränkegroßhandel eingesperrt werde, möchte ich, dass da Musik von FM Belfast läuft. Die kommen zwar gar nicht aus Nordirland, sondern auch aus Island – aber ihr durchaus stumpfer Partyindie kann was, wenn man gerade was will. „Auf geht’s!“ brüllen, den Rest im Becher auf Ex reinkippen und dann ein bisschen schmunzeln – auch weil, denen alles ein bisschen egal scheint. Aber jeder weiß: wenn der Becher mal leer ist, dann muss wieder was rein.

Stefan von Stuttgigs nennt das später: „Überzuckerung“. Und ich glaube er hat Recht. Denn zumindest mir stand nach mehreren Stunden harmonischer Popmusik der Sinn nach etwas Schmutz, Kanten, Chaos und Wut. Nur der Abwechslung wegen.

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Ezra Furman gibt derweil auf der etwas verwaisten Nebenbühne den verschrobenen Künstler mit Kirmes im Kopf. Das Sommerkleidchen steht ihm aber sehr gut. Und mindestens 20 Minuten lang taugt der Powerpop auch als blitzsauberes Entertainment. Und dann unterhält man sich doch wieder am Bierstand, daneben oder auf dem Weg zur nächsten Bühne. Ein gutes Festival erkennt man ja auch daran, dass es auch immer ein bisschen Straßenfest ist.

Ralf vom Schocken hat’s auch ganz gut getroffen. Er erwähnte die „Innerlichkeit“ vieler Künstler. Beziehungsweise, dass ein bisschen Rampensau jedem Festival gut tue, nicht nur introvertierter und melancholischer Schöngeist. Wir einigen uns darauf, dass ein bisschen mehr rülpsen und furzen nie ganz verkehrt ist.

Dillon wollte ich mir trotzdem anschauen – 1A verträumte Dutt-Musik. Ideal, wenn man sich gerade überlegt, irgendwas mit veganem Food-Truck, Hundebetreuung oder bedruckten T-Shirts als Geschäftsmodell aufzuziehen… und dann doch nur seufzt, aber wenigstens mal darüber nachgedacht hat.

Und dann halt nach knapp 15 Minuten Dillon: Unwetterwarnung, „bitte begeben sie sich umgehend in Halle 3“.

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Ob die Evakuierung am Freitagabend nötig war: keine Ahnung und schon gar nicht meine Expertise. Ich weiß nur, dass annähernd niemand richtig Lust darauf hat, von herumfliegenden Stangen, Gittern oder Bierbänken erschlagen zu werden. Deshalb folge ich der Lautsprecherdurchsage, meinen Hintern in Halle 3 zu rollen. Ist besser als eine Fahnenstange durch den Kopf. Und außerdem: Wenn Anja und Schmoudi vom gig-blog mit dabei sind, ist es eh überall schön.

Vorbildlich auch, wie locker die Evakuierung aufgenommen wurde, beziehungsweise der Umstand, dass Crystal Fighters nicht mehr spielen werden.

Lediglich zwei angehende Nobelpreisträger diskutieren am Pissoir darüber, dass die Scheiß-Veranstalter ja gefälligst Crystal Fighters in die Halle verlegen könnten, anstatt den Auftritt des Headliners einfach ausfallen zu lassen. Ich befürchte, dass keiner der beiden uns je mit einem Heilmittel gegen Krebs überraschen wird. Andererseits: wir wissen auch alle, dass man nicht zu viel empirische Analyse von jemanden erwarten sollte, der gerade sechs Bier im Kopf und sein Geschlechtsteil in der Hand hält.

Hier jetzt kurz ein #infotweet: Den Samstag des Festivals habe ich mir aufgrund privater Punkerverpflichtungen im Goldmark’s geschenkt. Hab‘ aber – aus gewöhnlich gut zugerichteten Quellen – kein Gemotze gehört. Und mir Schwoba wisset: „Net gschompfe isch globt gnug“.

Die eigens eingerichtete Besserwisser-Task-Force reicht hiermit auch die ersten Bandwünsche für das kommende Jahr ein: Sleaford Mods, Bolt Thrower, Dinosaur Jr. und Mülheim Asozial. hihi.

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23 Comments

  1. says: JMO2

    Ich hatte bei Olafur Arnalds das Pech, das zwar keine „Fickööön“-Partyschweine in der Nähe standen, dafür tratschte man angeregt über kommenden und vergangene Vorlesungen und Dozenten.
    Aber gut, das Problem, das bei ruhigen Acts man nicht die Fresse halten kann, das haste ja überall.
    Ansonsten eine runde Sache, mit den Bandwünschen geh ich konform

  2. says: Spätzle

    Ich fande es wahr durch und durch gelungen. Easy zwischen den Bühnen tingeln, nie irgendwo groß anstehen. Nette Menschen. Gute Soundsysteme. Stuttgarter Hip Hop Smasher am Freitag Abend zum Sonnenuntergang von Crypt.
    Top Orga!
    Und das Geilste für mich als Mittdreißiger: Nach einem Festival zu Hause schlafen und kacken!

  3. says: Rummelbudenronny

    „Spätzle“ hat’s auf den Punkt gebracht. Musste gerade herzhaft lachen weil ich jetzt weiß, dass ich nicht der einzige bin der das schätzt…sehr schönes, entspanntes Festival…ich bin gerne nächstes Jahr wieder dabei!

  4. says: Tobsen

    das festival war großartigst – hat verdammt viel spaß gemacht und man hatte als besucher auch nicht das gefühl, dass ein geldgieriger typ dahinter steckt sondern jemand, der wollte, dass sich jeder wohl fühlt. was – glaube ich – auch geklappt hat. zumindest bei mir.

    btw auch großen respekt an die basis jungs für ihren stand!

  5. says: stadtteil

    @martin ja genau, das holzding

    hatte aber den entscheidenden nachteil, dass man in den bereichen des festivals, die man am ehesten noch als „chill out bereich“ bezeichnen könnte, also in etwa da, wo diese jp grafittiwand stand auf der kleinen holztribüne immer gleichzeitig von der dj-bühne und dieser holzkonstruktion beschallt wurde, was eher stressig als entspannt war

    nächstes jahr können sie von mir aus lieber die aufgestellten gefriertruhen in betrieb nehmen und dafür die musik aus lassen 🙂

    ansonsten: top festival, gerne wieder 🙂

  6. says: Ken™

    Ich war zwar nicht mit dabei, frage mich aber warum man so ein Festival Freitagnachmittags starten muss uns es nicht Samstag & Sonntag bespielt werden kann?

  7. says: stadtteil

    @ken
    ich würde wetten, es für veranstalter besser ist freitags ein paar zuschauer bei vollem eintritt erst relativ spät zu begrüssen, als sonntags ohne eintritt überhaupt nicht.

    wenn man nicht ein grosses festuval mit ultrafettem lineup ist tippe ich darauf, dass man so ein festival freitaag/samstag einfacher finanzieren kann

  8. says: Ken™

    wieso denn sonntags ohne eintritt? also für die arbeitende bevölkerung ist es freitags schon ein bissl arg blöd mit nachmittags und so…

  9. says: stadtteil

    ich meinte das eher so, dass sie freitags für einen halben festivaltag den vollen eintritt eintritt bezahlen und sonntags keinen eintritt bezahlen, weil sie montags früh raus müssen und lieber daheim bleiben

  10. says: Daniela

    Da es ja nicht oberste Priorität von Festivals ist, die Leute daheim kacken zu lassen, soll es ja sogar schon vorgekommen sein, dass sich der ein oder andere bereits ab Mittwoch freinimmt, um zu diesen kleineren Festivals wie Wacken oder Rock am Ring oder so zu fahren.

    Mir subbr Schduddgardr denget halt and Arbeid ond ans Ausschlafa am Sonndag @Ken 😀

  11. says: Setzer

    „Da es ja nicht oberste Priorität von Festivals ist, die Leute daheim kacken zu lassen,…“ ist der Satz des Tages. Auch noch kurz nach Mitternacht. Pure Poesie. Aber auch vollkommen richtig.

    Gute Festivals erkennt man auch daran, dass mehrere Tage in Dixietoiletten gekackt wird und der Mann von der Entleerungsfirma mehr Applaus als Limp Bizkit oder die Guano Apes bekommt.

  12. says: Ken™

    Und diese Dixie-Kack-Festivals haben ja meist auch einen Campingplatz und liegen nicht gerade direkt am Stuttgarter Flughafen und streicheln ganz sanft die Zone 10!

  13. says: martin

    ein bekannter meinte neulich, wenn er mit seinen jungs auf ein festival geht, hängen sie am camping ersma eine tür von einem klo aus und verstecken die. dann geht da keiner drauf und ihnen ist es halt egal und sie ham ne saubere toilette. stark.

    und starke kack diskussion. find ich gut.

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