Kehrwoche 2.0 – Kopf klatschen 2.0

Früher musste man bei manchen Artikeln voranstellen: Achtung Satire! In Zeiten von Trumps täglich wechselndem Stab und Frauke Petrys Baby-Plakat muss ich jetzt sagen: Achtung, keine Satire!

Irgendein Schelm im Rathaus hatte wohl einen besonders lustigen oder beschissenen Tag, auf jeden Fall kann es in hundert Jahren kein Zufall sein, dass ausgerechnet an dem Tag, an dem sich in Berlin Politiker und Autoindustrie zum Diesel-Gipfel mit erwartbar belanglosem Ergebnis treffen, Stuttgarts OB Kuhn das Konzept „Sauberes Stuttgart“ ankündigt.

An dem Tag, an dem in Berlin beschlossen wird, ein paar Codezeilen umzuschreiben, damit die Werte bei Euro 5- und Euro 6-Dieseln „optimiert“ werden, kündigt der OB derjenigen Stadt, die mit die höchste Feinstaub- und Stickoxidbelastung hat, ein fettes Programm an, damit Stuttgart „sauberer“ wird.

Für zehn Millionen Euro jährlich will die Stadtverwaltung nicht nur 1.000 neue Mülleimer anschaffen – entweder unterirdisch mit einem sichtbaren Einwurfschlitz oder überirdisch mit einer solarbetriebenen Presse, die den Müll verdichtet.

So berichtet der SWR.

Also noch mal zum mitschreiben und in den Taschenrechner eintippen: 10.000.000 Euro. Jährlich.

Zudem sollen 100 neue Mitarbeiter eingestellt werden, die die Stadt nicht nur sauber halten, sondern auch Kontrollen durchführen sollen, außerdem sollen die Anwohner mehr in die Pflicht genommen werden, indem die Gehwegreinigung schärfer kontrolliert wird.

Wow. Das hätte sich echt keiner ausdenken können. In unserer schönen Stadt läuft sicherlich nicht immer alles rund, aber in einer Stadt, in der Sonntagmorgen bereits um 5.30 Uhr die fleißigen Männer wieder alle nächtlichen Weg- und Auswürfe beseitigt haben, in der man in Stadtteilen wie Heslach oder Hallschlag vom Boden essen kann und wo man mit Hund von renitenten Eltern schon auf 200 Meter Entfernung vom Spielplatz vertrieben wird – 10 Millionen Euro? Jährlich?

Ganz abgesehen davon, dass das Ganze natürlich mit einer „breit angelegten Öffentlichkeitskampagne“ bekannt gemacht werden soll – und wie die aussieht kann man sich jetzt schon ausmalen. Aber was soll bei einem Kampagnen-Namen, der das Schlimmste aller Schwaben-Klischees mit dem abgelutschtesten aller Buzzwords kombiniert schon passieren?

Und irgendjemand hätte vielleicht Herrn Kuhn mal stecken sollen, wie gut die Let’s Putz-Aktion (die es übrigens bis vor kurzem noch gab) seines Vorgängers beim gemeinen Volk ankam.

Ich sag mal so, und ich hätte nicht gedacht dass ich das mal sagen würde: Dann lieber in die Suppkultur investieren.

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23 Comments

  1. says: martin

    ich kann das auch nicht nachvollziehen. habe nicht das gefühl, dass es hier dreckig ist (außer in der luft) und ich komm „viel rum“ durch die Stadtteile – klar da ist mal ein mülleimer übervoll, aber gut.

    und da kommen wie du schon sagst ganz schlimme lets putz erinnerungen noch.

    alles in allem: man muss auch mal was richtig scheiße finden.

  2. says: Setzer

    Anstatt hier rumzutippen könnten wir mit dem Besen auf der Straße rumstehen und Nachbarn verschlagen, die ihre Kehrwoche nicht ordnungsgemäß durchführen. Mein Lieblingsteil: „Schärfere Kontrolle der Kehrwoche“.

  3. says: Sebastian

    Gerade in Hinblick auf die vielen internationalen Touristen müsste das Ding „We kehr“ heißen. Alles andere ist indiskutabel. Wo genau im Rathaus haben die eigentlich die 10 Mio. gefunden?

  4. says: Katja

    Was passiert eigentlich, wenn einer der neuen 100 Mitarbeiter bei einem Bürger was zu meckern hat? Darf der den dann festnehmen oder was?

  5. says: alup

    Irgendwie gabs doch auch mal so eine „Stuttgart soll begrünt werden“ Aktion neulich. Wie viel Geld wurde dafür ausgegeben?
    Wenn ich durch die Gegend laufe, fallen mir immer die schlecht begrünten und schlecht gepflegten Beete oder diese Bereiche unter den Bäumen auf. man wie nennt man die denn 😀 naja eben diese Bereiche, die kein Parkplatz sind, sondern einen Baum haben.
    übrigens super Foto! Ist das da in Heslach wo man vom Boden essen kann?

  6. says: Stephan T.

    Hmm. Also die Stadtverwaltung will neue Mülleimer anschaffen und überhaupt dafür sorgen, dass Stuttgart sauberer wird. Wo war jetzt doch gleich das ganz große Erregungspotenzial? Schon mal Samstagmorgen übern Marienplatz gelaufen? In Heslach oder am Hallschlag auf den Boden geguckt? Echt? Wohl bekomm´s kann ich nur sagen …

  7. says: martin

    hm, 10 millionen? klischee schwaben-kampagne wie die fürchterliche lets putz geschichte? weil einmal im jahr ein mülleimer in heslach überläuft? (also ich lauf 52 wochen im jahr durch heslach, ich guck aber nachher extra nochmals wie schlimm alles ist)

  8. says: Mia

    Lieber Autor, da finde ich deine Reaktion aber genauso klischeehaft..
    Schon mal in den anderen Großstädten Europas die Augen aufgemacht (in denen du vermutlich auch gerne deine subkulturellen Wochenenden verbringst)?
    Die deutschen Innenstädte sind mittlerweile das Versiffteste, was man auf diesem Kontinent vorfindet. Ich finde, das ist eher ein gesellschaftliches Armutszeugnis als etwas, worauf man stolz sein sollte.

  9. says: ChrisK

    Stadtverwaltung: „Wir haben gerade zuviel Geld auf den Konten!“, „Lasst uns Geld für die Verbesserung der Verkehrsstruktur ausgeben.“, „Dafür haben wir doch die Fahrverbote!“, „Stimmt, dann lasst uns wenigstens mehr Mülltonnen kaufen und Leute einstellen die Strafzettel verteilen, wenn die Kehrwoche schlecht gemacht wurde!“, „Deal!!“ Only in Stuttgart…

  10. says: Müll-Sheriff

    Der Kampagnen-Name lautet „Sauberes Stuttgart“. „Kehrwoche 2.0“ scheint mir eine Erfindung des SWR zu sein, zumindest habe ich das bei der Stadt nicht gelesen, vielleicht auch nur überlesen.
    Dort kann man aber lesen, dass es keine Klischee-Schwaben Erfindung ist, sondern sich um ein in Wien und anderen Großstädten bereits umgesetztes oder geplantes Konzept handelt, übrigens inklusive der Kehrwochen-Polizei (dort Waste-Watchers).
    Außerdem scheint es, wenn man der Stadt glauben darf, tatsächlich Handlungsbedarf zu geben.
    http://www.stuttgart.de/item/show/273273/1/9/633988?plist=homepage

    Die Empörung erscheint mir darum tatsächlich etwas aufgesetzt, und die ganze Geschichte doch weniger klischeebehaftet als dargestellt.

  11. says: Thorsten W.

    Ja das stimmt, der Kampagnen-Name ist nicht „Kehrwoche 2.0.“, sondern wie du sagst „Sauberes Stuttgart“ (Wurde im Text selbst letzte Woche zeitnah nach dem Post korrigiert, unser Fehler.) Ich bleibe aber trotzdem bei meiner Empörung und finde Aktion und jährlich Summe nach wie vor ziemlich Panne.

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