52 Albums/43:
The Chemical Brothers „Exit Planet Dust“

Bei den Chemical Brothers muss ich als erstes immer an riesige Arenen, riesige Plastikbecher voller Bier und riesige Menschenmassen an grölenden, willenlosen Kids denken. Die Chemical Brothers sind wohl im Live-Format so bissle das Vorbild für alle Deichkinds, Bloody Beetroots oder auch Private Fictions dieser Welt. Verkleiden sich Chemical Brothers Fans eigentlich auch?

Wir zwei, äh, drei, also die Chemical Brothers und ich, haben uns hingegen bereits mit dem zweiten Album schon wieder getrennt. Denn ihre erste Platte, also „Exit Planet Dust“ von 1995, ist (für mich) die beste.

Die Chemical Brothers sind aber deswegen keine schlechte Band, ganz im Gegenteil. Natürlich habe ich auch seither immer mal wieder ein Lied aufgeschnappt und fand auch das eine oder andere richtig gut.

Und natürlich freut man sich gerade für solche Typen wie Tom Rowlands und Ed Simons tierisch, wenn auf dem Weg ins Stadion sogar mal ein ordentlicher Nagelstudio-Chartstürmer wie „Galvanize“ abfällt. Aber unter dem Strich komme ich mit ihrem Sound nach „Exit Planet Dust“ nicht mehr ganz klar.

„Exit Planet Dust“ war seltsamerweise trotz Virgin-Major-Anbindung und dem CB-Stamm-Label Junior Boy´s Own (englische Kultfabrik, kürzlich ne Doppel-Jubiläum-Compilation gekauft) ziemlich schwer zu kriegen, zumal auf Vinyl.

Aber Freddys Recordstore „direkt aus Übersee, bevor ich zum Thomilla rübergeh“ (Mutterstadt, Massive Töne, dazu muss man wissen das Thomilla im Plattenladen Imports gearbeitet hat) hat sie damals für mich auf Bestellung in den Kessel befördert. Wenn ich mich recht erinnere habe ich drei Wochen drauf gewartet.

Freddys Recordstore war ein feiner Plattenladen im Gerberviertel. Ich jogge im Winter Minimum zweimal die Woche vorbei, manchmal leicht wehmütig. Aber nur manchmal. Heute ist eine kleine Galerie drin.

Betreiber Freddy, so weit ich weiß auch immer noch als DJ aktiv, hat sich damals im Gegensatz zu einem Delirium, besagten Imports oder Record Express auf – sagen wir mal – experimentellere elektronische Musik spezialisiert, fernab vom Strictly Rhythm House oder Tresor-Techno.

Bei ihm fand man in extrem entspannter Lounge-Atmosphäre rare Ambient Scheiben, Trip-Hop-Veröffentlichungen und sowieso alles was nicht ganz gerade war, womit wir wieder bei den Chemical Brothers wären.

Mir war damals klar, wenn eigentlich einer in Stuttgart die Platte haben muss, auf die ich unendlich rattenscharf war, nachdem die Groove eine hymnenhafte Album-des-Monats-Rezi verfasst hatte, dann Freddy.

Denn die Chemical Brothers brachten auf „Exit Planet Dust“ ein neues Genres in Spiel: Big Beat. Das war quasi TripHop in brutal. Sprich man hat den Joint zur Seite gelegt, ist vom Sofa aufgestanden, hat die Pizza-Schachteln und die stinkigen Socken zur Seite geräumt und konnte auf der neu geschaffenen Tanzfläche bangen.

Big Beat kam, wie eigentlich alles Mitte der 90er, aus England. Jedes Jahr ein anderer „neuer heißer Scheiß“, damit die Stadtmagazin-Mafia wieder was zu schreiben hatte.

Erinnert sich noch jemand an Speed Garage? Nein? Gut, ich nämlich auch nicht mehr. Beziehungsweise habe ich z.B. nie verstanden was der Unterschied zwischen Speed Garage und damals gängigem House sein soll.

Das aber was die Chemical Brothers auf „Exit Planet Dust“ abzogen, klang neu, spannend und war unglaublich energiegeladen. Den Kracher-Opener „Leave Home“ habe ich heute noch aufm Läppi, im Anschluss geht es auf einem noch höheren Label mit „In Dust We Trust“, dem unverwüstlichen „Song To The Siren“, „Three Little Birdies Down Beats“, „Fuck Up Beats“ und „Chemical Beats“ nahtlos wie gnadenlos weiter.

Was sich auch den Chemical Brothers in den Weg stellte hauten sie weg oder Namen es kurzerhand einfach mit, wie Acid oder auch Rock. Erst hinten raus, auf der letzten Seite, konnte sich das Duo etwas zähmen und beendeten das Album mit dem grandiosen Acid-Trip-Hop-Strandchiller „Alive Alone“.

Mit Big Beats konnte man danach ganz gut Kohle machen, sowohl z.B. mit Compilations (Stichwort „Dope On Plastic“) als auch auf Partys.

Im zweiten M1 war damals eine ziemlich gut besuchte Big Beat Party, glaub Headliner war der Tanith, der auf deutschem Boden, wie schon oft davor und auch daanach, zu den Pionieren zählt, was neue Styles angeht. Auch im frisch eröffneten Le Fonque spielten Big Beats anfangs noch eine Rolle, gerade der Dope-On-Plastic-Compiler war nicht nur einmal erfolgreich zu Gast.

Die Chemical Brothers selbst waren da schon musikalisch in der zweiten, dritten Stufe und zu groß fürs Fonque. Bier aus Plastikbechern halt und ohne mich. Haben sie aber bestimmt voll gut verkraftet.

Join the Conversation

12 Comments

  1. says: Jay_Vee

    Ja, großes Album. Hat mich auch schwer geprägt. „Speed Garage“ war ein ziemlich kurzlebiges, „eigenes“ Genre, so 97/98 rum, ging bald auf in 2-Step, und wie Du schon sagtest, normalem House 😉

  2. says: Volker

    Das waren noch Zeiten.
    Exit Planet Dust und dann später Dig your own hole habe ich auch so lange rauf und runter gehört, bis mir die Ohren geblutet haben.

    Da mache ich doch gleich mal den mp3-player zum Arbeiten an.

  3. says: Joris

    Mein erstes Album der Brüder war Surrender, hab mir sehr schnell danach die Exit geholt, obwohl ich damals fast ausschließlich D’n’B und Hip Hop gehört hab. Ich verbinde seit damals die Jungs mit Sommer und nachts im freien Bier trinken. Ist auch schon wieder 10 Jahre her…hmm…

  4. says: Luis

    Surrender war auch das erste Album dass ich gehört habe und ich muss sagen, dass es für meinen Musikgeschmack auch prägend war. War damals in Ulm mit meinen Eltern Silvester bei Freunden feiern und das Album lag auf der Anlage. Habs ewig durchlaufen lassen und damit ins Neue Jahr gefeiert. 13 Jahre alt muss ich damals gewesen sein ^^

  5. says: Busyicer

    sehr geil! hatte mein großer bruder damals auch und ich fand diese unbekannte musik einfach nur traumhaft! war cool zum skaten…
    ich wusste nur nie wie man das nannte wusste nur das es chemical brothers sind ^^

  6. says: tobi2

    hab ich 1995 auf cd gekauft…leider nicht auf pladde aber ich glaub da gabs einige repress…und im razer gibts se auch noch auf vinyl..kann mich gar nicht mehr recht erinnern wie das album soundtechnisch so war…geh glaub heut zum ratzer und hör mal rein ..

  7. says: Jay_Vee

    Stimmt, aber gerade diese Roughness fand ich damals sehr cool. Daft Punks „Homework“, das ja kurz darauf erschien, hat auch einige ziemlich heftige Böller drauf.

  8. says: VanDamme

    Waren voll das Strobo-Highlight aufm Southside 99 (damals noch auf nem größeren Acker bei München) – live und mit nem Becher Bier tatsächlich unschlagbar!

Leave a comment
Leave a comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert