Fundstücke #3: Die unbekannte Tier CD

Gestern Abend wollt ich eigentlich saugen, wischen und Bad putzen, bin dann aber beim Keller umräumen und Schrank neu sortieren bis spät abends hängengeblieben. Und da fiel sie mir auf einmal wieder in die Hände: Die unbekannte Tier CD.

Man könnte diesen Eintrag natürlich unter „Stuttgarter Legenden“ laufen lassen. Leider ereilte mich im Falle des Tiers das Schicksal des zu Spätgeborenen, so dass ich nur das letzte halbe Jahr richtig miterlebt hab, um genau zu sein von Dezember 1995 (da ham sie mich zum ersten Mal reingelassen) bis eben zum Closing im Juni (mein ich zumindest) 1996. Kann aber auch Juli gewesen sein.

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So kann ich mir also nicht wirklich viele Legenden aus dem Ärmel schütteln. Aber dieses halbe Jahr hat auf jeden Fall so gut getan, dass auch ich das Tier für immer und ewig als herben Verlust einstufe. Heute teilen sich die Fläche mehrere Restaurants und der obere Floor des Moves, auch unter Synchron bekannt.

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(So hat man in den 90ern einige Problematiken behoben.)

Diese CD wurde beim Closing verteilt. Eintritt 20 Mack. Haben wir ganz schön gestöhnt damals bei dem Eintritt, trotz CDle. Meines Wissens nach wurde die CD vom Tier-Resident Stefan Strauss gemixt. Aufgrund erheblicher Lautstärkeschwankungen und weil die CD mit dem Übertune „Motor Bass Get Phunked Up“ von La Funk Mob im Remix von Richie Hawtin – quasi die inoffzielle Tier-Hymne – eingeblendet wird, könnte es auch ein Live-Mitschnitt aus dem Club gewesen sein.

(Wer das Lied nicht kennt, die Innervision Boys um Amé, Dixon und Schwarz haben kürzlich eine Compilation veröffentlicht, auf der das Brett enthalten ist. Hat mit dem Hawtin von heute nicht viel gemeinsam.)

Auf jeden Fall repräsentiert die CD genau das, was das Tier war. Nämlich alles. Zumindest alles was man damals unter fortschrittlicher Clubmusik verstanden hat. Da konnte man dann auch mal ein TripHop-Break machen und sich wieder geschickt zu DnB hocharbeiten und anschließend die Meute mit „Higher State of Consciousness“  oder „Push Push“ weichklopfen.

Neben diesem visionären Mix bin ich hauptsächlich wegen den vielen Techno-Acts ins Tier gegangen. Die haben für diese Zeit richtig reingeklotzt. Genau genommen waren das – soweit ich weiß – immer die Partys der sogenannten Dream Factory. Abe Duque, Hell, Monika Kruse, die schon damals erstaunliche Fähigkeiten an den Tag legte, und natürlich der King schlechthin, Patrick Pulsinger waren zu Gast.

Patrick Pulsinger war zu dieser Zeit einer meiner Götter. Sein Album „Porno“ war der Shit, auf seinem Label Cheap kam eine Granate nach dem anderen. Der Wiener war einfach verdammt cool. Und er enttäuschte auch nicht an diesem 8. oder 9. Februar 1996.

Im Gegenteil: Sein Auftritt war ein Kabinettstückchen des DJings, eine Lehrstunde für uns Bedroomer und wahrscheinlich das allerbeste Freestyle-Set, dass ich je in meinem Leben gehört habe. Ich konnte eigentlich nur fassunglos tanzen, egal welchen Beat Pulsinger legte. Ich meine, mein Kumpel Willy Weed hat ein Tape von diesem Abend.

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(Die Party meines Lebens.)

Dieser Abend sollte allerdings am 10. Mai 1996 getoppt werden. Vielleicht es fast ein wenig traurig, dass die beste Party meines Lebens schon 13 Jahre zurück liegt – und danach kamen wirklich einige gute – aber die Cheap&Clear-Tour sollte bis heute die Höchstmarke legen.

Pulsinger war one more time im Haus und hat seine gesamte Posse mit dabei und auch die Kollegen des englischen Labels Clear, eine Plattform für TripHop, Beats und obskure Electronica. Ein Herr namens Dr. Rockit, heute weltberühmt als Matthew Herberts, veröffentliche darauf und war bekannt dafür, seine Sounds mit Alltagsgeräuschen zu generieren.

Also stand da ein entfesselter Herbert und machte mit weiß Gott was alles Musik. Auf ewig in Erinnerung bleiben wird die Chipstüte und die ausgespukten Chips. Klingt eklig, aber der Laden stand Kopf. Gegen 03.00 Uhr übernahm er dann noch mit dem coolsten Move ever das DJ-Pult.

Er zog sich den Kragen seiner Lederjacke hoch, ließ die eine Platte auslaufen und donnerte „Love Me Tender“ von Elvis rein. Der Laden ist durchgedreht. Ich stand wieder mal fasslungslos da und dachte mir, wie cool kann man eigentlich sein? Ich bin wirklich absolut kein Elvis-Fan, aber das sind Momente im Club-Leben, die vergisst man einfach nicht.

Die Closingparty hab ich übrigens als nicht allzu rauschend in Erinnerung. Kann aber auch an mir gelegen haben. Vielleicht war ich nur schlecht drauf oder die Erwartungen zu hoch. Das war damals bei bestimmten Events nicht anders als heute. Aber die CD, die hüte ich wie einen Schatz.

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21 Comments

  1. says: Busyicer

    mmm? wie wäre es wenn du die CD „rippen“ würdest und hier noch als Download bereitstellen würdest?
    liest sich gerade sehr fordernd ^^ aber so ist es nicht gemeint.
    aber es interessiert mich wie die CD so war oder ist

  2. says: franz von assisi

    wollt ich auch fragen.
    auch mir hat das schicksal einen streich gespielt und mich ca. 10 jahre zu spät auf diesen planten geschickt 🙁

  3. says: Thorsten W.

    Oh Mann, bin ich wirklich so alt? Ich hab das Tier noch ein gutes Stück miterlebt, eine der besten Partys meines Lebens war dort von Marlboro mit Barbara Tucker live. Eieiei.

    Die Tier-CD ist tatsächlich von Stefan Strauß gemixt, allerdings zu Hause, so weit ich weiß. In meinen Tier-Anfangstagen war Stefan mein echter Held, so komisch sich das heute anhört. Er war donnerstags einfach der Man – von TripHop über Drum’n’Bass bis House und zurück. Die CD ist zwar stellweise etwas holprig, bringt aber genau diesen Sound rüber – ich hüte sie auch wie nen Schatz. Und die Abschiedsparty hab ich noch in guter Erinnerung, den Floor im Keller hab ich erst morgens um 6 entdeckt.

    Bei den Dream Factory Partys durfte ich schon als „Insider“ dabei sein, Carsten Drohsel, Kolja Stegemann und Richard Linehan (ja, der heute noch auflegt) standen hinter der Dream Factory, dazu Leute wie Olsen, Uli, Denis (Ken), Motik… in dem Umfeld hab ich mich damals bewegt.

    Mit Abe Duque sind wir damals noch im Anschluss ins Berlin 030 gegangen, der war sehr nett. Und bei Patrick Pulsinger durfte ich das Warm-Up auf dem zweiten Floor (vorne am Fenster Richtung Palast) machen. Ich hatte da gerade mit Auflegen angefangen und mir ein schönes TripHop/Ambient/Drum’n’Bass-Set zurechtgelegt. Und Herr Pulsinger saß tatsächlich kurz da… Mann war ich stolz. Ich hab ihn später auch mal fürs Freie Radio interviewt, sehr sympathischer Mensch.

    Wie gesagt, ich bin alt.

  4. says: Ken

    oh ja, das unbekannte tier, mit brody als barmann…
    die clear/ cheap tour mit matthew herbert aka wishmountain/ dr. rockit, sluts & strings & 909 live + pulsinger und tunakan als djs werde ich nie vergessen. für mich eine der besten partys ever (obwohl die organistation der party damals im vorfeld mega stress bedeutet hat)!
    die parties mit hell und abe duque waren auch legendär…
    ach, scheee wars!!!!

  5. says: Vit

    Mann oh mann, Rockit! Das war ganz großes Kino! Mit Mikrofon und Kartoffelchips im Maul Beats gezaubert – das werde ich nie vergessen.
    Und Pulsinger auch Wahnsinn – die beiden Plakate hatte ich auch noch Jahre bis meine Mutter meinte die Kiste mit dem Papier auf dem Dachboden könnte man ja mal wegschmeissen – da waren echte Schätze drin… schön war auch zwischendurch zum entspannen mal rüber zum einarmigen Banditen ins ZumZum.

  6. says: Kutmaster

    Mensch, das Tier. Das war ein dufte Laden – die Abschlussparty allerdings belegt in meinem Hirn leider nen Negativplatz, da ich damals dort mit meiner damaligen Freundin eine unschöne Auseinandersetzung hatte.

    Aber Donnerstags vorm Tier… immer ne kleine Freestyle-Runde mit Matze Bach, Max Herre, Schowi, Wasi, Fubar und Gott und der Welt. Word – war das fett! Damals konnte man so richtig diese Aufbruchstimmung der Stadt spüren…. richtig schade, wenn man sieht was für ein Mist dort heute alles drin ist.

  7. says: Richard

    Ich erinnere mich auch gerne an UR im Schelsinger… Uli und ich haben die Jungs vom Bodensee zum Anschlußbooking abgeholt und wir waren derart überladen das wir auf der Autobahn fast von der Straße abgekommen wären…
    Und die süsse Moni, die bei Hell, Rock, Kruse die kompletten Boxen rausgeschossen hat, nachdem sie während ihres Sets die Blende vom Verstärker abgeschraubt hatte um weiter aufzudrehen…

    Das hat alles großen Spaß gemacht…

  8. says: jingleballs

    Eigentlich bin ich schon froh über mein geburtsjahr und nostalgie halte ich für unangebracht, aber es gibt eindeutig zu wenig partys, bei denen ein cut zu love me tender den laden kopfstehen lässt. zu wenig abenteuerlustige djs.

  9. says: Sierra Siera

    uff. vielen dank! ich war mit der CD nie richtig zufrieden. gerade weil holperig. markus (heute SANS) kam damals an einem der letzten donnerstage mit nem mobile dat-recorder und bat mich mitzuschneiden. und ich war hinterher wirklich unzufrieden, die beiden donnerstagae zuvor waren musikalisch schlüssiger und technisch besser. aber alles theorie – ich hüte sie ebenfalls! 🙂 ich hab mir die CD allerdings das letzte mal vor 6 jahren angehört und auch nie auf nen MP-player gezogen. werde das genau jetzt (1.16 h) tun und mir das set beim morgenlauf anhören. ja, das tier war ne marke! mir sind herbert und das jazzkantine-konzert als die die spannendsten abende in erinnerung geblieben. Auch schön: Ein später Sonntag Abend an dem zwei Esslinger Griechen auf Speed mehr als nur steil gingen die Tür-Jungs komplett überforderten und schließlich dummerweise den tischkickernden Micha Gottschalk (Clash), seines Zeichens Climax-Macher, störten. Der wiederum schnappte sich einen der zwei überdrehten Buben und trug ihn an ausgestreckten Armen aus dem Laden….! 🙂

  10. says: Sierra Siera

    ja ein Livemitschnitt und aufgrund des Zeitdrucks bis zur Schließung nicht mehr zu mastern, etc.!
    Aber ich find ihn mittlerweile auch janz jut! Wobei: ich hab keinen Schimmer, wo ich die Original-Platten hinhab. Bis auf die La Funk Mob vegetieren die irgendwo im Archiv. Nur wo?

  11. says: stavi

    Bin gerade beim digitalisieren meiner Cds über diese Perle gestoßen. Den Laden selber habe ich fast schon gehasst. Der einzige Laden, in den ich nie reingekommen bin, bis ich tatsächlich 18 war und an der Türe endlich meinen Führerschein vorzeigen konnte.

    Wenn das jemand liest und mir helfen könnte: Hat jemand ne Tracklist oder bekommt sie zusammen? Das wäre großartig!

  12. says: veit

    Oh, ich hab das Cover der CD gemacht, unglaublich, dass sich sowas heute noch im Netz findet! Dank an Nick Lyon, der die Idee mit der CD hatte und das Projekt damals angestossen hat. 22 Jahre ist das her? Da werd ich morgen mal beim Ralf Amos in Kreuzkölln einen drauf trinken.

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