„Wir waren Helden“

Da der Countdown läuft, ein Hinweis auf den besten Zeitungsartikel, den ich bislang in diesem Jahr gelesen habe: Die ZEIT hat in ihrer aktuellen Ausgabe die Weltmeister von 1990 unter die Lupe genommen und untersucht amüsant, kurzweilig und teilweise etwas bedrückend, was der Titel aus den 90er Helden Brehme, Matthäus, Hässler, Augenthaler, Völler, Illgner und Co. gemacht hat. Die Bilanz ist eher traurig.

Kurze Textauszüge:

„Doch ihre Tore feierten die Spieler, ohne Eheringe zu küssen, Trikots zu lüpfen oder imaginäre Babys zu schaukeln. Zur Pokalübergabe schritten sie bescheiden wie Handwerker beim Richtfest.“

„Brehme bestellt einen Aperitif. Bestellt Sushi. Bestellt einen Espresso. Bestellt noch einen Espresso. Er hat ziemlich viel Zeit, zu erzählen, wie wenig Zeit er hat. Er kommt viel rum, aber er kommt nicht voran. Einmal telefoniert er etwas zu laut mit irgendeinem Francesco, »Si, va bene, si, si!«, und macht Tickets für ein Heimspiel von Chievo Verona klar.“

„Und dann: Lothar und die Dings. Liliana. Er das schwarze Haar getränkt mit Gel. Sie im Pelz, heute mal blond und eine High-Heels-Etage höher als er. Wie das Königspaar eines Karpatenstaates schreiten sie durchs Fußballvolk. Und man fragt sich: Wofür war Lothar Matthäus noch mal berühmt?“

Ich weiß nicht, wer sich an das Endspiel von 1990 erinnern kann. Ich kann es noch. Vielleicht etwas verschwommen, aber war ja die Revanche für 1986 Mexiko (darüber hab ich wiederum einen fetten Bildband), das die Deutschen kurz vor Schluss gegen Argentinien verloren haben.

Vier Jahre später, so erinnere ich mich, ging das Spiel nur in eine Richtung und zwar auf das argentinische Tor. Bloss es wollte einfach keine Bude fallen. Wir sassen daheim vor der Glotze und mein Vater ist verzweifelt (gab damals kein Public Viewing bzw. hieß es vielleicht Gartenlauben-Gucking, ging dann aber an mir vorbei).

Ich habe erst kürzlich irgendwo gelesen, dass eigentlich der Lothar den Elfer schießen sollte, er aber Schiss hatte. Vielleicht eine Legende, jedenfalls hat bekanntlich Andi B. das Ding reingeklatscht. Gott, haben wir Autokorso gemacht. Gut, eigentlich bin ich ins Bett gegangen, was soll man auch anderes machen mit 13. 1990. Ohne Auto.

Wie viel Glück so ein Titel bescheren kann und was er bedeutet, hab ich damals nicht so wirklich kapiert. Außerdem ging kurz danach mein Interesse für Fußball rapide in den Keller (war mit meiner unfassbaren Weltkarriere als Skateboarder imagemässig kaum vereinbar) und ist erst seit einigen Jahren wieder da – Comunio sei dank.

Zum ZEIT-Artikel

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33 Comments

  1. says: JMO2

    Die Zusammenfassung vom Spiel lief am Sonntag mittag auf Phoenix. Chancen ohne Ende für Deutschland um dann mit einem schmeichelhaften Elfer, gut vorher gabs ein paar dafür nicht, den WM-Titel zu holen. Topkommentar von Rubi Rubenbauer mit Kalle Rummenigge als Co, schön parteiisch und krachledern, nicht so künstlich parteiisch wie Steffen Simon das jetzt versucht.
    Und die Story zum Elfer geht so, das Loddars Schuh, mit dem er 8 Jahre lang gespielt hat, in der 1.Halbzeit kaputtging und er dann irgendein state-of-the-art Modell bekam, sich darin aber nicht sicher fühlte. So kam Andy Brehme zu der Ehre den Elfer reinzuballern.

  2. says: The Rocket

    Kann mich eigentlich nur noch dran erinnern, dass am nächsten Tag in der Schule die absoluten Fans mit Deutschlandflaggen und Farben im Gesicht ankamen…sonst auch eher verschwommen. Glaub, ich hab mit meinem Papa und unserem Nachbarn geschaut.

  3. says: martin

    rocket, das war bei mir definitiv nicht so.

    danke jmo2, stimmt, es wurden einige elfer nicht gepfiffen, ich erinnere mich. die schuh geschichte klingt immer noch nach einer legende 😉

  4. says: JMO2

    Ich hab die Story ja nur nacherzählt und nicht auf den Wahrheitsgehalt geprüft 😉 Vielleicht bleiben die beiden so alle 4 Jahre im Gespräch? 😀 Als Trainer mag die ja keiner mehr haben.

  5. says: dominik

    hab mir das Spiel vor 3 Monaten erstmalig seit ’90 mit nem Kumpel auf DVD reingezogen. Wer hätte gedacht dass Brehme das Ding reinmacht 🙂 Ich war überrascht wie schwach das Niveau insgesamt war, wenn man das mit heute vergleicht…

  6. says: DJN

    zitat brehme im sportstudio kurz vorm torwandschießen: ‚Mit links schieße ich genauer, mit rechts stärker‘ Moderator: ‚also schießen sie jetzt mit welchem fuß?‘ Brehme: ‚Mit dem Rechten’…

    90 hab ich noch nicht mitbekommen, aber Matthäus war halt echt ein weltklasse Spieler. dumm wie Brot und Brehme zusammen aber verdammt gut. Mit dem Kaiser als Trainer…bitte, was soll da auch schief gehen?

    meine erste Erinnerung an Fußball ist Yordan Letchkov’s Kopfball zum 2:1 1994 (das ist hart oder?)

    Grad kommt auf ARD nachts immer n Rückblick über den deutschen Fußball. vorgestern die kompletten 60er Jahre…mit Wembley Tor und so.

    Gestern dann die 70er, mit dem grandiosen Europameistertitel 72 (das war ne Mannschaft, Netzer, Beckanbauer, Müller, Breitner…alter Falter)

    is jedenfalls n nettes warm-up bis freitag. auch wenn ich persönlich dann 86 jubeln werd 🙂 Hatte auch schon wieder einiges vergessen.

    achso @ dominik: ja das war auch ganz anderer fußball, gibt da n ziemlich interessantes buch von biermann und nomal jemand drüber- die taktik und spielveränderung der letzten 100 jahre oder so. erfindung des catenaccio etc.

    man darf ja auch nicht vergessen dass die vor den 50ern noch mit 8 stürmern und ohne abseits gespielt haben. außerdem waren bei der ersten wm 10 oder 12 mannschaften dabei…die die es sich halt leisten konnten. bzw. ich glaub englang hat sogar verzichtet weil sich sich ja noch jahrzehnte lang für die erfinder des fußballs und für anantastbar gehalten haben

  7. 1990 war ich gerade 9 Jahre alt. Nee, Autokorso war damals noch nicht für mich. Wir hatten uns damals mit Deutschlandfahne bei uns im Dorf an der Hauptstraße platziert & immer wenn ein Auto kam Party gemacht. Man haben wir uns gefreut, dass so viele Autos gehupt haben! 🙂

    Das Trikot von damals gibt es jetzt von adidas Originals als Neuauflage. Ich habs mir natürlich sofort geholt, in schwarz. Ich denke ich werde mir die Nummer 6 für Diego Buchwald drauf flockieren lassen…

  8. says: Katjuscha

    Ja, wirklich toller Artikel. Hab ihn auch erst gestern gelesen. Schon krass, wie manch einer nicht loslassen kann und dadurch zu ner tragischen Figur wird und wirklich jeden Scheiß macht, um auch 20 Jahre später vom Ruhm von damals zu zehren.
    Auch wahr, dein erster Textauszug: Die Profis von damals inszenierten sich halt nicht so krass selbst. Vielleicht hat man sie einfach nicht so sehr als Individuen, sondern mehr als Mannschaft gesehen. Handwerker eben.

  9. says: Saarländer

    Toller Artikel (von Dir und in der Zeit) und danke für den Hinweis. Und das mit den Opis stimmt wohl auch irgendwie. Schauen wir nur dass wir eher in Würde altern als ein Lothar M.

  10. says: stegoe

    Ich find’s ja sehr schade, dass es die Tradition der Mannschafts-WM-Songs nicht mehr gibt, das waren stets echte Fremdschäm-Perlen. Wäre heutzutage aber bestimmt sowas wie „Jogis Jungs feat. Some Castingshowgewinner“

  11. says: martin

    stimmt, ich erinnere mich. allerdings komischerweise nicht an das 90er lied. aber meine ommi hatte die 74er platte, da hat die auswahl soweit ich mich erinnern kann, eine ganze lp eingespielt. die hab ich als kloiner junge immer aufgelegt wenn ich bei ihr war, war super 🙂

    wann wurde diese tradition beendet?

  12. says: stegoe

    1990 war doch Udo Jürgens mit „Wir sind schon aufem Brenner“ http://www.youtube.com/watch?v=6t-OvTO0SWs („Spiele am Strand, schöne Mädchen zur Hand, Blicke die sich verstehen…“ alles klar)
    Und 1994 wurde dann mit den Village People nochmal einer drauf gesetzt, „Far Away in America“. Das war dann bisher auch der letzte Song mit der Mannschaft.

  13. says: Phil

    Das Finale 90 war das erste Fussballspiel was ich im TV geschaut hab.Lothar mag zwar nicht der hellste sein, aber wie der damals gekickt hat war Weltklasse…übrigens hat Bushido jetzt nen Wm Song gemacht O_o

  14. says: Marco

    Loddar hätte den elfer schießen sollen, er war eigentlich derjenige, der die damals geschossen hat. Im Spiel ist allerdings sein Glücksschuh kaputt gegangen und er musste das Schuhwerk wechseln, daher hat dann Andi Brehme getreten und sicher verwandelt, wie wir alle wissen. Rausgeholt hat den elfer übrigens Völler mit ner 1a Schwalbe. Schade, aber vom Spielverlauf ging der Sieg wohl in Ordnung 😉

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