Moritz von Uslar: Deutschboden

Wenn wir heute schon bei Büchern sind, noch eines das knapp 400 Seiten hat und nicht nur aus 140-Zeichen-Zeilern besteht. Quasi pünktlich zum 20jährigen Jubiläum der Deutschen Einheit ist Ende September „Deutschboden – ein teilnehmende Beobachtung“ von Moritz von Uslar erschienen. Das ist dieser grimmig schauende Herr mit leichter Undercut-Andeutung.

Unter den „jungen“ deutschen Journalisten (Uslar hat die 40er Marke gestreift) längst eine Fast-Legende, hab seine Artikel im Spiegel oder Süddeutsche immer gerne gelesen, jetzt ist er wieder bei der Zeit und hat für das Magazin seine „100 Fragen an“-Serie (diese Woche mit Phil Collins – großartig) neu aufgelegt.

In eben jenen Zeit-Magazin befand sich kürzlich ein längerer Vorabdruck von „Deutschboden“. Ich bin nach dem Lesen zu dem Entschluss gekommen: Das ist das vierkommafünfte Buch, dass ich innerhalb einer Dekade lese werde (nach zwei mal Nieswandt, eine halbe 50 Cent-Bio und Rohleder).

Moritz von Uslar verbringt drei Monate lang in einer ostdeutschen Kleinstadt und notiert sehr detailliert und ausufernd seine Beobachtungen zwischen Kneipe, Boxclub und Einkaufsmeile.

Kommt was böselustiges bei raus, aber, so wirkte zumindest auf mich der Vorabdruck, der in Schröders Kneipe spielt, verzichtet Uslar darauf, sich übermässig lustig zu machen – die De-Bug sieht das übrigens anders. Klingt vielleicht widersprüchlich, aber Uslar wertet nicht, sondern berichtet lediglich in seiner famosen Sprache. Die 400 Seiten hat man wahrscheinlich so schnell durch wie „Lokalhelden“.

Moritz von Uslar: Deutschboden – Eine teilnehmende Beobachtung

Kiepenheuer und Witsch, ISBN: 978-3-462-04256-6

Moritz von Uslar geht in eine Kleinstadt im Osten Deutschlands, er bleibt drei Monate und kehrt mit dieser großen Erzählung, einer Geschichte der Gegenwart, die gleichzeitig Reportage und Abenteuerroman ist, zurück. ??

Draußen, vor der Großstadt, wo Hartz IV, Alkoholismus, Abwanderung und Rechtsradikalismus angeblich zu Hause sind: Hier beginnt diese Geschichte. Der Reporter sucht nach einem Ort mit Boxclub und Kneipe und findet ihn im Landkreis Oberhavel, gut eine Autostunde nördlich vor Berlin.

Pension Heimat, Franky’s Place, Gaststätte Schröder:  Pils am Tresen, Diktiergerät am Mann. Der Reporter hört zu, guckt zu, trinkt mit, trainiert mit, labert mit, und am nächsten Morgen steht er wieder da. Es erscheinen der Kneipenchef Heiko, der Geschichtenerzähler Blocky, der tätowierte Punk Raoul, und damit ist der Zugang eröffnet: zu den Proben der Band »5 Teeth Less«, zu Grillfesten mit Deutschlandfahne, zum Abhängen am Kaiser’s-Parkplatz und an der Aral-Tankstelle – und zum Alltag junger Männer, die vielleicht keine großartige Zukunft haben, aber einen ziemlich guten Humor.??Die präzisen Beobachtungen, im Wortlaut mitgezeichneten Gespräche, die Gags, Sprüche, Märchen und Blödeleien und die Fülle absurder, rührender und furchterregender Alltäglichkeiten entwickeln einen Sog, der den Leser hineinzieht in das Leben in der ostdeutschen Kleinstadt. Das ist klassisches und das ist modernes Reportertum.??Moritz von Uslar besitzt den Mut, die Ausdauer und das Einfühlungsvermögen, um zu zeigen, dass Wirklichkeit immer jener Ort ist, der jenseits der Erwartung liegt. In diesem Buch ist Platz für allerhand Abstrusitäten, bloß für keine Trostlosigkeit. Deutschboden leuchtet – es ist das Licht der Tankstelle an der Ausfallstraße nachts um halb eins.

Join the Conversation

8 Comments

  1. says: Krisch

    Als stiller Nichtblogger und Nurleser, trotzdem Kessellieber,
    mein Entjungferungspost:
    Ganz grosses Buch, das Buch, das über die Deutsche Einheit hätte vor 20 Jahren geschrieben werden müssen, aber nicht geschrieben werden konnte. Warm und böse, extremschlau und freidensstiftend mit der ganzen Einigung. Als jemand, der sich lieber mit dem Elsass als mit Plauen vereinigt hätte, war das Buch Augen öffnend. Ich gestehe, ich bin befangen. Weil ich den Uslar seit 25 Jahren kenne. Aber trotzdem: Absolute Rakete das Ding. Und googelt mal Uslar und Eierkopf, das ist richtig lustig….

  2. says: Joris

    Abgefahren, ich habe erst für einen Grafiker „100 Fragen an“ abgelichtet. Ganz großes Kino, gehört in jedes Bücherregal.
    Deutschboden muss ich mir mal anschauen.
    Pünktlich 20 Jahre nach der Wiedervereinigung ist das wohl gar nicht so irrelevant wie die „Welt“ das darstellt.
    Der Dialog zwischen Welt und Uslar dagegen ist peinlich.
    Dass man sich nach so vielen Jahren noch so einfach aus der Reserve locken lässt finde ich erstaunlich.

  3. says: Gusteau

    Macht es für euch nicht Sinn, bei sowas gleich einen Amazon-link einzupflegen. Will es gerade bestellen und etwas Provision schadet doch net

  4. says: Peterchen

    Schade nur, dass der Autor die Zehdenicker Lokalpolitik aussen vorgelassen hat. Bis auf einen kurzen Abschnitt wird hier nichts erwähnt. Ein Kapitel, welches von den Politikpossen, des unsäglichen Kleingeistes der Zehdenicker Stadtverordneten und der Naivität dieser Leute berichtet hätte, stünde dem Buch gut.

Leave a comment
Leave a comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert