KTV-Jahrzehnt Rückblick: 2013 – Vogel des Jahres.

Laut Google war 2013 das Jahr der Schlange. Laut Geschichtsbuch das Jahr des Arabischen Frühlings, der NSA-Affäre und der Eurokrise.

Vogel des Jahres war damals wie heute DJ Elbe. (Stichwort Early Bird). Bayern München wurde schon am 28. Spieltag deutscher Meister. Und stand dann noch im DFB-Pokalfinale gegen…wer weiß es? Richtig. Gegen den VfB.

1:0 Thomas Müller (37., FE)
2:0 Mario Gómez (48.)
3:0 Mario Gómez (61.)
3:1 Martin Harnik (71.)
3:2 Martin Harnik (80.)

Harnik! Man könnte meinen, 2013 war so ein Jahr, das einfach mal gucken wollte, ob wir merken, dass es uns verarscht. 

Aber! Gemessen an den Veröffentlichungen war 2013 dann doch ein ein tiptopes Jahr. Iron Man 3 kam in die Kinos. Britney Jean in die Plattenläden. Und „autoreverse“ in den Buchhandel. Bis heute hat „autoreverse“ 215 Millionen Dollar eingepielt. Ne. Mist. Das war Iron Man. 

Für alle, die nach 2013 geboren sind: autoreverse ist der Titel meines ersten und bisher einzigen Romans. 240 Seiten, viele davon ganz gut, ISBN:9783806228359.

Mein zweiter Roman liegt auf der Festplatte. ‚Kinder von…‘. Fast fertig und überhaupt nicht fertig. Ich wollte nach meinem ersten Buch ein zweites, zorniges schreiben. Keine Schmunzelstory. Keine Prequel-Sequel- Fortsetzung. Sondern was mit Wumm und Wut und Zank.

‚Ihr sollt nicht zanken‘ – meinte DJ Elbe neulich. Wie so ein Vadder. Jugendwort des Jahres 1979: zanken. Zanken ist wie Beef. Trouble. Streit. Fast gewaltfrei. Mit bissle schubsen. Und ohne debattieren. Viel mit Menno und du Doofi. Also quasi die Vorstufe der facebook Kommentar-Kultur. Wie schön wäre die Welt, wenn wir heute auf den sozialen Spielplätzen alle nur zanken würden und nicht zündeln.

Für das Fertigschreiben von Roman Nummer 2 hatte ich mir damals extra eine Auszeit genommen und bin nach LA „ausgewandert“. Also so ein temporary Pop-up auswandern für ein paar Wochen. Saublöd, dass ich mir kurz davor die Schienbeinkopfplatte gebrochen hatte. Schienbeinkopfplatte – stell dir vor, es ist Scrabble und du kommst auf den dreifachen Wortwert. Gebrochen beim Longboardfahren in Degerloch. Das hätte ich mir auch bis Santa Monica aufheben können.

Ich musste dann mit Krücken nach Los Angeles. Yeah. Klingt wie ein Buchtitel: „Auf Krücken nach LA Die große Harvey Weinstein Biografie.“

Pluspunkt: mit so einem Bruch wirst du in einem Rollstuhl zum Flugzeug gebracht. Und aus dem Flugzeug ins Land. Immigration für Fortgeschrittene. So schnell war ich glaub noch nie in Amerika.

Eine superfreundliche Flughafen-Mitarbeiterin rollte mich wie Uber über die Landesgrenze. Und sie erzählte mir, dass die Inder die schlimmsten seien. Die würden pro Flugzeug 10, 15, manchmal 20 Rollstühle anfordern. Nicht, weil sie sich die Schienbeinkopfplatte gebrochen haben. Sondern, weil sie Tuktukverwöhnt zu faul sind die langen Strecken am LAX zu Fuß zurückzulegen.  

Los Angeles without a Car. Fand ich immer einen guten Bandnamen. Wenn ich’s mir recht überlege, hat aber Los Angeles without a TukTuk mehr Potential. 

Krücken und LA sind eine miese Mischung. Hals und Beinbruch und jede andere Millionenmetropole natürlich auch. Ich war ziemlich allein mit dem Humpeln und den Schmerzen und dem leeren Word-Dokument. Auch wenn mein Airbnb Host sicher war, dass da – wie bei fast allen physischen und psychischen Einschränkungen – Gras hilft. Kann ich nicht beurteilen. Ich war Team ‚LA without a doobie‘.  

Hinzu kam, dass dieses Land im Allgemeinen und diese Stadt im besonderen die höchsten Bordsteine der Welt hat. Auch für einen Menschen mit uneingeschränkter Bewegungsfreiheit sind das schon alpine Herausforderungen. Wahrscheinlich sterben in Kalifornien mehr Menschen vor einer Bordsteinkante als durch Feuerwaffen. 

Um diese und andere Alltagsherausforderungen zu meistern, bin ich für ein paar Sitzungen zu einer tollen Physio-Therapeutin. Die hat mir dann erklärt, dass die Crutches, auf denen ich mich fortbewege – meine westeuropäischen Krücken – in Kalifornien sowas wie der Dresscode für Obdachlose sind. 

Die Amerikaner haben diese Spielfilmkrücken, die bis unter die Achseln gehen. Bitte selber dazu einschlägige Veteranenfilme streamen. Dann wisst Ihr, was gemeint ist.

Ich hab mich dann in meinem Obdachlosenlook mit Mercedes Helnwein getroffen. Die Tochter des von mir total vergötterten Künstlers Gottfried Helnwein. Der hatte seinerzeit das legendäre Scorpions Blackout Cover geschaffen. Nicht für die Scorpions sondern für die Kunstwelt. Alle dachten, das soll Rudolf Schenker sein mit den Gabeln in den Augen. War aber Gottfried Helnwein. Selbstporträt.

Was glaubt ihr, wie oft Bibi Beer und ich uns dafür im Udo Snack und im Mövenpick Marchée Plastikgabeln vor die Augen gehalten und den Mund weit aufgerissen haben? Richtig. Ein ganzes Jahr. 

Für Gottfried Helnwein bin ich dann extra mal in eine Galerie in der Marienstraße gestiefelt, auf meine erste Vernissage. Der Meister war persönlich da und hat für viel Geld recht wenig Kunst verkauft. Und ich hab mir von ihm die Blackout signieren lassen.

Das einzige Autogramm in meiner jugendlichen Sammlung, das nicht von einem Musiker oder Fußballer ist. Apropos: wo ist eigentlich der blaue Ordner mit den Autogrammen? Da müsste Kevin Keagan auf einer Speisekarte darunter sein und Malcolm Young, der mit mir nach dem grandiosen AC/DC-Konzert in der Frankfurter Festhalle zusammengerumpelt ist. Hätte ich geahnt, dass ich den blauen Ordner mal verschlampern werde, hätte ich mir den blauen Fleck auf Brusthöhe von diesem sagenhaften Aufprall nachstechen lassen. Hätte hätte Tattoonadel.

Mercedes Helnwein, ebenfalls Künstler wie der Papa, traf ich in ihrem Atelier in Chinatown. Ich wollte, dass sie das Cover zu meinem zweiten Buch macht. Ganz wichtig für Nachwuchsautoren:  immer erst mit dem Cover anfangen. Das Scorpions-Helnwein Prinzip. Wenn man das Cover mal hat, hat man schon den halben Roman. Die andere Hälfte ist der Titel. 

‚Pommerland‘. ‚Das Purpur-Institut‘. ‚Kinder von…‘ – sehr viel Zeit in habe ich in Silverlake damit verbracht, Buchtitel zu entwerfen. Dann war wieder Physio. Dann Gym.

Gym war geil. Weil nicht Fit One auf der Hauptstätter sondern Bodybuilders Gym auf der Hyperion. Ein Ort, an dem schon morgens Van Halen läuft statt Pumpepumpebumsmusik kann kein schlechter Ort sein.

Ich war der einzige Weiße. Der einzige ohne Muscle-Shirt. Und der einzige ohne muscles. Und während die anderen Typen einarmig LKW-große Gewichte in die Luft hielten, versuchte ich mein Knie 10x hintereinander im Takt von ‚Running with the Devil‘ zu beugen. LA Athletes unter sich.

Am ersten Trainingstag spürte ich noch die Blicke. Am zweiten schon die Community. Am dritten fragte mich ein sehr großer breiter Mensch „How’s your knee?“. Und Fleetwood Mac sangen „You can go your own way“ dazu.

Das beste an Amerika ist wirklich der omnipräsente Rock’n’Roll. Das zweitbeste der soziale Zusammenhalt. Dass Menschen vielleicht nicht wirklich einen pathologischen Befund deines Gemüts- und Gesundheitszustand wollen – aber dass sie sich zumindest danach erkundigen, ob du einen hast. 

Jeden Morgen nach dem Training bin ich auf ein Stück abgesperrte Straße in mein Lieblings-Café, habe eine Soymilk Latte und ein PBJ Bagel bestellt. Peanutbutter & Jelly – es gibt schlechtere Orte für Schreibblockaden. Und bessere für Angstattacken und Einsamkeit.   

Nach 3,5 Wochen war ich fertig mit LA. Und LA mit mir. Und wir beide nicht mit meinem Buch – und ich bin nach Hause gereist. 

Lustig. Denn das alles war natürlich überhaupt nicht 2013. sondern 2014. Aber schau. So ist das mit dem Schreiben. Wenn man aufhört, nachzudenken und anfängt zu tippen – und wenn man zuallerallererst ein Covermotiv von einem der Helnweins hat – dann gehts eigentlich. Kommt halt eventuell nur was ganz was anderes dabei raus.

Hier so was von exklusiv nur auf kessel.tv ein Auszug aus ‚Kinder von…‘ Slash ‚Pommerland‘ Slash ‚Das Purpur-Institut‘. Wenn Kiepenheuer anruft, gebt ihnen meine Durchwahl. 

Keine Schmuddelkinder. Kein Fernseher auf Dauerbetrieb. Kein Gebrüll aus der Wohnung drunter. Keine furchteinflößenden Ausländer in der Wohnung darüber. Kein Balkon, von dem schon mal jemand aus diesem Leben in ein besseres gesprungen ist. Kein asoziales Umfeld. Kein Arbeitslosengeld. Kein Gerichtsvollzieher – zumindest anfangs nicht. Kein Schnaps. Kein Jägermeister. Kein Jugendamt. Weit und breit kein Jugendamt. 

Stattdessen Fassade. Viel Fassade. Im Lot gemauert und in unauffälligen Farben gestrichen. Das Dach gedeckt, der Rasen gemäht, der Garten bepflanzt. Ein Gartentörchen, das nicht quietscht. Wie überhaupt nichts in diesem Haus ein verdächtiges Geräusch von sich gibt. Kein Brüllen, kein Türenknallen, kein Streit. Nicht mal ein stummer. Der Hausflur beleuchtet, der Gehweg gefegt, der Briefkasten geleert, sobald er vom Füllen satt geklappert hat. Der Name auf dem Klingelschild perfekt gesetzt, mit exakten Abständen zwischen den Buchstaben. Die Jalousien bei Tag nach oben gezogen und mit der sich reinschleichenden Dunkelheit leise nach unten gelassen. Alle Abläufe einstudiert und programmiert. Nur die eine Jalousie, die nach hinten zeigt, weg von der Straße, unsichtbar für die Zuschauer – bewegt sich nicht. 

Die Jalousie zum Raus-Ausschlaf-Zimmer, die Ausnüchterungszelle des Hauses, in dem niemand nüchtern wird. Man muss schon ums Haus gehen – oder im Haus ins Allerheiligste – um mit eigenen Augen zu sehen, dass etwas nicht stimmt.

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