Jahresrückblick 1995

1995 Illustration: Kati Szilagyi

Martin und ich haben irgendwann festgestellt, dass das Jahr 1995 ein recht bedeutendes war. Zumindest persönlich für ihn und für mich. Also unabhängig voneinander, weil damals kannten wir uns noch nicht. Ich habe das in der Kolumne fürs aktuelle Freund & Kupferblatt verarbeitet und Martin hat noch genau acht Tage Zeit nachzulegen ;). 

Bei mir ist allerhand passiert: Abi, erste Party in Stuttgart mitveranstaltet, Umzug nach Stuttgart, erste eigene Wohnung/WG, Beginn Zivi. 20 Jahre her, krasser Scheiß.

Für die aktuelle Ausgabe des Freund & Kupferblatt habe ich drei ausgewählte persönliche Ereignisse aus dem Jahr 1995 aufgeschrieben.

Samstag, 4. März

Im Autoradio läuft Annie Lennox mit „No More I Love You’s“. Ich sitze im Polo meines älteren Cousins und fahre nach Stuttgart. Fühlt sich gut an, zum ersten Mal allein. Nicht mit 4 Leuten nachts ins Oz, nicht mit der guten Freundin mit dem Wochenendticket im Bummelzug, nicht mit der Freundin meines Bruders, der schon seit einem Jahr in Stuttgart wohnt.

Er macht Zivi im Jugendhaus e.V. – neulich bei einem Zivitreffen war wohl so ein Lockenkopf namens Max, der rappt –, arbeitet im Jugendhaus in Heslach und hat dort eine Party organisiert. Morgens, weil abends darf man da keine Veranstaltungen machen. Sie heißt schlicht „Breakbeats“ und der Flyer sieht aus wie eine Brekkies-Packung, die man zusammenfalten kann.

Im Saal legen auf der Bühne, wo wohl die Fantastischen Vier ihr erstes Konzert gespielt haben, Jungle DJs auf, von denen ich die meisten nicht kenne. DJ Friction, DJ M, Weedspirit… und Tease – den kenne ich, dem hab ich vor zwei Jahren im Bus zur Love Parade mein Ticket für die Low Spirit Party verkauft.

Im Café legen Uli aus Stuttgart und Joe aus Würzburg, die wir im gleichen Bus kennengelernt haben, Minimal House auf, und ich habe vor, mit meinem Yamaha-Keyboard eine Art Ambient-Liveact zu machen. Auf dem Flyer steht „Minimalistic W.“, was sowohl auf das Equipment als auch auf die Musik hindeuten soll.

Samstag, 19. August

Ich schaue dem Sprinter hinterher, mit dem mein Vater nach Hause fährt. Es gab keinen richtigen Abschied, dafür war alles zu hektisch – viel Zeug habe ich nicht, aber alles musste hoch in den 5. Stock, ohne Aufzug. Vier Zimmer mitten in Zuffenhausen, kleiner Balkon, offene Küche mit Bar.

Meine zukünftigen Mitbewohner werden erst in den nächsten Wochen einziehen, also hab ich die hundert Quadratmeter erst mal für mich. Wahnsinn. Ich fühle mich erwachsen. Und denke nicht an die Wände, die wir ins Dachgeschoss erst noch einziehen müssen, damit vier Zimmer draus werden.

Wichtiger ist jetzt der erste Abend in Stuttgart. Meiner Stadt. Ich lauf erst mal die Unterländer Straße runter zu einem Café, um eine Freundin anzurufen und die Abendplanung zu besprechen. Unser Telefonanschluss ist noch nicht da, und für die Telefonzelle hab ich kein Kleingeld.

An der Tanke an der Heilbronnerstraße ist Marlboro Car Wash. Das wird super, und ich kann mit der U15 von meiner Haustüre direkt bis hin fahren. Leider ist nicht so viel los, was komisch ist – sonst ist bei den Marlboro Partys immer die Hölle los, mit Barbara Tucker im Unbekannten Tier zum Beispiel.

Also fahren wir weiter zum Nordbahnhof zum M1. Da spielt heute Hazel B. aus London. Zwei solche Events an einem Abend, wer zum Teufel hat sich das ausgedacht? Wir stellen uns in die Schlange, die fast bis zum Zapata nebenan geht. Ganze zwei Stunden lang. An der Kasse erfahren wir, dass Hazel B. heute leider nicht da sein kann. Natürlich gehen wir trotzdem rein.

Sonntag, 31. Dezember

Alles bereit für die Party. Getränke im Kühlschrank, Snacks am Start, die Plattenspieler für die drei Floors sind auch rechtzeitig gekommen. Einer in der Küche, einer im Flur und einer im Zimmer meines Bruders. Es füllt sich schnell, die Tübinger Bassment for the Basement Crew um Lightwood und Telmo A. legt im Flur Jungle auf, und die Leute gehen steil.

Die Wände, die inzwischen stehen, haben wir noch nicht tapeziert, und sie füllen sich im Laufe des Abends mit Tags, Unterschriften und Zeichnungen. Es ist ganz schön voll, nicht nur die Tübinger sind da, sondern auch die Dream Factory-Jungs, die die Partys mit Patrick Pulsinger und Herbert im Tier veranstaltet haben, außerdem Olaf und Uli, die eine Partyreihe namens „Motor City“ starten wollen.

Mein Kumpel Dirk hat sogar die hübsche blonde Barfrau aus dem Nexus angeschleppt. Gegen Morgen lege ich mit viel Spaß mit Ulis Platten in der Küche auf – ich lass die B-Seiten seiner Profan-Platten ineinander laufen und beschließe, Ambient-DJ zu werden.

Die Afterhour ist bei Uli zu Hause in der Wohnung seiner Eltern in Freiberg, wo wir Aphex Twin hören und „Natural Born Killers“ ohne Ton läuft. Willkommen 1996.

1995

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