Doof Will Tear Us Apart

(Foto: Symbolbild)

Um ein Haar hätte ich kürzlich den Rest des Lebens verpasst: Ich war im Krieg. Also, äh, draußen im Straßenverkehr. Alle gegen Alle, alles Fotzen, „Ja, Ja Deine Mudder“, „Du mich auch, Du doofe Sau“ und „Jetzt erst recht“. Grob 600 000 Leute, die sich nix Gutes wünschen. Andererseits: Erst an der Fußgängerampel und dann – zehn Meter daneben, auf dem Zebrastreifen, gleich nochmals fast überfahren zu werden: das soll mir erstmal einer toppen.

Als Fußgänger ist man so was wie die Schlecker-Frau der internationalen Wirtschaft – ganz unten in der Hackordnung Kackordnung. Aber ist schon klar: Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Ich möchte allerdings weder gehobelt werden, noch möchte ich ein Span sein. Im Rahmen meiner Möglichkeiten versuche ich sogar, nicht selbst zu hobeln. Schon gar nicht auf der Straße.

Doch ich beklage mich nicht. Der innerstädtische Straßenverkehr funktioniert nun mal so ähnlich wie dieses Bachelorzeug auf RTL: Wer Glück hat, bekommt keine Rose – aufs Grab. Das schreibe ich mir mit dickem Edding hinter die Ohren.

Sich etwas hinter die Ohren zu schreiben ist eine sehr blumige Art zu sagen: „Mir völlig egal“. Denn erstens habe ich dort sehr viele Haare und zweitens könnte ich – selbst ohne welche und beim besten Willen – nicht lesen, was da eigentlich hinter meinen Ohren steht. Drittens: es wäre mir unangenehm, wenn andere dort nach irgendwelchen Erkenntnissen suchen würden.

Auch die Doofen bitte nicht. Die sollen endlich abhauen. Denn machen wir uns nix vor: Es sind nicht die Radfahrer, nicht die Autofahrer und auch nicht die Fußgänger – es sind die Doofen, die nerven.

Das sind die, die jeden anderen auf der Straße als potentielles Hindernis auf dem Weg zur Glückseligkeit verstehen. Doofe gibt’s in allen Varianten, mit oder ohne Reifen. Wenn die Doofen allerdings vier und mehr Reifen haben, dann ist ein Helm auch keine Lösung mehr.

Ich, also ich, bin zum Glück ziemlich schlau – kurz vor Nobelpreis in irgendwas. Das wusste schon meine Mutter, zumindest sagt sie oft: „Orr, Du Gscheidle.“

Ich passe meine Mobilität seit jeher den gegebenen Umständen an: mal als Fußgänger, mal auf dem DB-Leihfahrrad, mal als Nutzer der öffentlichen Verkehrsmittel oder eben als Autofahrer – da schlagen, ach, vier Herzen in meiner Brust. Fast so wie bei Schiller. Nee, Spaß: war glaub’ Goethe.

Na, aber auf jeden Fall keiner, der Falschparker für das Internet fotografiert, mit 80 durch die 30er-Zone fährt, gerne mit dem Außenspiegel andere am Ellenbogen kitzelt und auch keiner der auf der A8 Federball spielt.

Wenn ich zum Beispiel nach Afrika möchte, wäre ich nicht so blöd, das Fahrrad zu nehmen. Blöder wäre höchstens, mit dem Auto in die Stadtmitte zu fahren. Das mache ich lediglich, wenn mein Selbsthass noch nicht groß genug ist, dann ist das eine echte Option und ungeheuer nachhaltig: es dauert auch ungefähr so lange, wie mit dem Fahrrad nach Afrika zu fahren. Immer.

Wer wiederum so behämmert ist, zum Shoppen mit dem Auto in die Stadt zu fahren, hat sich seinen Stau redlich verdient und sollte gar nicht erst dran denken, aus Wut einen Radfahrer oder Fußgänger umzubulldozern. Da hilft nur eins: Hupen, laut „Vollidiot“ brüllen und dabei bitteschön auf jeden Fall in den Innenspiegel gucken. Ist ja sonst keiner da. Der urbane Stausteher sitzt schließlich mit Vorliebe alleine und stinksauer im Auto.

Obwohl ich das Auto gelegentlich ziel- und zweckorientiert nutze, bin ich dennoch kein „Autofahrer“. Denn das sind Leute, die glauben, dass man von Tempo 30 schwul werden kann und dann heiraten muss.

„Radfahrer“ bin ich auch nicht: Der Straßenverkehr hat diese Leute teils derart mürbe gemacht, die Nerven liegen so blank, dass sie Einsatzwagen der Polizei im Parkverbot fotografieren.

Es verunsichert mich, wenn Menschen sich aufgrund ihrer Fortbewegungsmittel definieren. Das sind verkniffene Hardliner, solche Leute brüllen auch „ICH BIN VEGANER!!“, wenn man sie nach der Uhrzeit fragt.

Ich halte das alles ziemlich basic und bleibe da sprichwörtlich bei meinen Leisten: Fußgänger. Viele Leute glauben, man würde mit Reifen geboren. Wäre ich mit zwei oder vier Rädern auf die Welt gekommen, würde ich vielleicht anders denken. Und: Jaja Hättehättefahrradkette.

Letztendlich ist es völlig Wurst, ob man von einem eSmart, Lieferwagen, einer SUV-Mutti, Fahrradfahrer oder vom 42er über den Haufen gefahren wird: am Ende beläuft sich der Unterschied höchstens noch auf die Haltungsnoten beim Aufschlag und die Sachbearbeiter bei der Krankenkasse. Ich lege keinen Wert darauf, überhaupt überfahren zu werden. Die Freiheit nehm’ ich mir.

Manchmal halte ich mir dabei auch die Nase zu und sage „Frei … heit“. Das klingt dann ein bisschen wie früher bei Joachim Gauck oder Jan Delay. Musik ist wichtig. Und so verlockend der Gedanke ist, im Moment meines Todes „Walk Of Life“ von den Dire Straits zu hören: mit Musik auf dem Kopfhörer durch die Stadt zu laufen, bringt mich der Sache in großen Schritten näher.

Auch weil da nur noch Leute unterwegs sind, die alle anderen als Hindernis wahrnehmen. Der letzte harmlose Verkehrsteilnehmer, der noch ein Gefühl von Sicherheit vermittelt ist der Schulz-Zug: der kommt eh nicht vom Fleck. Da musste schon selbst dagegengegen laufen, damit was passiert.

Apropos. US-Forscher haben neulich am offenen Fenster in Heslach herausgefunden, dass „Fotze“ ein weit verbreiteter und mobilitätsübergreifender Kosename für andere Verkehrsteilnehmer sein soll. Hab’ das schon so oft gehört, dass ich neulich sogar kurz nachgeguckt habe, ob ich das auch habe.

Und dann: kurz unaufmerksam gewesen. Zack. Fast überfahren worden.

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11 Comments

  1. says: martin

    ganz stark.
    stichwort doofe: ich muss aus radfahrer-sicht sagen, wie wenig oftmals fußgänger um sich gucken, wenn sie über die Straße gehen. und sie starren nicht mal aufs handy. sie drehen einfach nicht den kopf und blicken stur gerade aus.

  2. says: King Korny

    Tagesaktuell: Ein Typ, der auf dem Fahrradweg läuft und in sein Handy glotzt. Als man klingelt, damit er zur Seite geht, zuckt der Kerl hoch und schreit, daß man gefälligst die Straße benutzen soll…

  3. says: Setzer

    Ich guck mittlerweile selbst an der Fußgängerampel lieber doppelt nach links und rechts. Nicht, dass gerade einer um die Kurve flitzt, der am Steuer die Whatsapp-Gruppe „Fuck Feierabendverkehr“ erstellt.

  4. says: Jolle

    Gestern hat mich aufm Rad ein Autofahrer mit ’ner Ladung Scheibenwasser bedacht weil ich ihn dreisterweise aus Platzmangel für bestimmt 150m von Tempo 50 auf 30 gezwungen habe. Dank Setzer weiß ich jetzt wenigstens warum, er hatte akute Schwulwerdeangst.
    Der Straßenverkehr in dieser Stadt ist ungefähr wie ein Lasertag-Tournament mit einer halben Million Chrystal Meth Süchtigen in der Haltestelle Charlottenplatz bei Strobo-licht. Everybody chill und mal auf die anderen achten. Alter!

  5. says: bernd_s

    Toller Beitrag! Ja, manchesmal würde ich auch am liebsten dem Fußgänger das Handy aus der Hand schlagen; dem Radfahrer die Kopfhörer vom Schädel reissen und seine Funzel im Dunkeln anmachen; dem Autofahrer die Hupe kaputttreten, ihm dafür erklären, wie der Blinker funktioniert ; dem Stadtbahnsitzer die Füsse zusammenbinden, wenn sein Gehänge wieder den 2ten Sitzplatz beansprucht, sein Essen eintuppern, damit ich’s nicht riechen muss und ihn an den Ohren aus dem Sitz ziehen damit er seinen Sitzplatz jemanden gibt der ihn eher braucht. Doch dann merke ich, Moment, nicht das jeweilige Verkehrsmittel macht die Deppen zu egoistischen Idioten, das schaffen die auch ganz alleine

  6. says: Traffic Jam, when you're already late

    Top 3 Verkehrsteilnehmer:

    1. Autofahrer, die einem bei Tempo 50 trotz Tacho 55-60 noch hinten draufhängen
    2. Radfahrer, die mit Kopfhörern und Tempo 10 die ganze Straßenbreite benötigen und ein Überholen nicht ermöglichen
    3. Fußgänger (meistens weiblichen Geschlechts, Männer holen aber auf), die auf ihr Handy starren und ohne Blick nach links oder rechts die Straße queren um sich dann über ein kleines Huperle aufzuregen

    Ich halte es so: Als Autofahrer hasse ich die Radler, als Radler hasse ich die Autofahrer und als Fußgänger alle.

  7. says: Stephan T.

    „Als Autofahrer hasse ich die Radler, als Radler hasse ich die Autofahrer und als Fußgänger alle.“ Das ist doch eine schöne Erkenntnis, dass wir alle immer mal wieder mit unterschiedlichen Hüten auf unterwegs sind. Problem ist, wie schon bemerkt wurde, die grenzenlose Bereitschaft zur Identifikation mit der jeweiligen Rolle. Das führt zwangsläufig zum Einsatz des F-Wortes. Oder hier in Stuttgart: „Du alde Bix!“ Auch nett. Der Trick ist folgende Erkenntnis: Nicht ICH bin unterwegs von A nach B und die ganzen anderen Deppen blöderweise auf MEINEM Weg, sondern wir sind alle GEMEINSAM unterwegs nach Irgendwo und teilen uns nur den Platz dahin. Ich weiß, klingt friedefreudeeierkuchig, aber trägt ungemein zur Entspannung bei, wenn man´s versucht. Nu macht was draus, euer Olaf.

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