Bitter

Eine krasse Geschichte, die viele vielleicht als typisch Stuttgart sehen werden: Das BitterSweet im Bohnenviertel – ein Laden, wie ich ihn mir schöner nicht hätte selber ausdenken können – hat seit dieser Woche geschlossen. Der Grund: Ein Nachbar hat sich wiederholt über Lärm beschwert.

Vorab: Wer das BitterSweet nicht kennt – das ist ein Laden im Hinterhof, wo man allerlei Krimskrams kaufen und nebenbei noch nen Kaffee trinken und nen Kuchen essen kann. Öffnungszeiten ausschließlich tagsüber, die Bestuhlung im Innenhof wurde schon vor einiger Zeit – nach den ersten Beschwerden – entfernt.

Auf jeden Fall gab es eine offizielle und schriftliche Genehmigung der Stadt für die „gastronomische“ Abgabe – und die wurde jetzt sehr kurzfristig, ohne vorherige Anhörung, entzogen. Man muss dazu sagen, dass sich alle anderen Nachbarn – außer eben einem Ehepaar – absolut nicht gestört fühlen und sich vielmehr mit dem BitterSweet als wichtige Attraktion im Bohnenviertel solidarisieren.

Jetzt ist also erst mal zu, die Betreiber haben keine Einnahmen und die Angestellten keinen Job – drastisch formuliert, aber so ist es. Nach dem Jump noch die offizielle Pressemitteilung.

Update:

Das BitterSweet darf – vorerst – den Betrieb wieder aufnehmen und öffnet deshalb ab Freitag wieder zu den gewohnten Öffnungszeiten seine Türen. Endgültig ist aber noch nichts entschieden, und es bleibt spannend wie lange es jetzt so läuft und wie die Sache ausgeht…

Stadt Stuttgart untersagt eine Oase der Ruhe

Das Bohnenviertel gehört sicher zu den am meist unterschätzen
Viertel in der Stadt. Viel Potenzial steckt hinter den alten Mauern –
aber die Stadt versucht dies mit allen Mitteln zu verhindern.
Vor ca. 3 Jahren hat das BitterSweet in der Wagnerstrasse 38a
eröffnet. Das Konzept ist ein Laden mit dem Verkauf von Lebens-
mitteln, Möbeln, Accessoires und der untergeordneten Abgabe von
Lebensmittel zum Verzehr vor Ort. Der Verzehr vor Ort soll den
Abverkauf von ca. 15 Trinkschokolade, 35 Teesorten und die
Mitnahme von Kuchen für Zuhause unterstützen.

Im Juli 2009 wurde das Geschäft von Fabian Nusch und Holger Pilz
mit der Zielsetzung übernommen den Verkauf von Accessoires noch
zu verstärken. Jungen Designern wird zum Beispiel die Möglichkeit
geboten wird, den Abverkauf eigener Ideen und Produkte (z.B. Kin-
derkleidung, Schneidebrettchen, Schmuck, Bücher, etc.) zu testen.
Das BitterSweet sollte jedoch auch immer der ruhige Pol in der
Hektik der Stadt sein, der einlädt ein wenig zu verbleiben und die
Ruhe zu genießen. Gemeinsam mit der Friseurin Andrea Heger und
dem Holzspielzeug-Laden ist dies in dem Hof der Wagnerstrasse
38a auch absolut gelungen. PRINZ Stuttgart nannte zuletzt diesen
Hof „eine Oase der Ruhe“.

Dem Nachbar-Ehepaar A. und K. war diese Ruhe noch
immer zu laut und sie fühlten sich durch Kinderlärm von Kunden in
ihrer Existenz bedroht. Sie bewirkten, dass zuerst die Bestuhlung
im Hof und kurze Zeit später auch im Laden untersagt wurde bzw.
dass keinerlei gastronomische Handlung mehr genehmigt wird.
Die Betreiber erhielten von der Stadt nie die Möglichkeit einer
Anhörung. Auch wurde das BitterSweet nie von den Nachbarn
A. und K. direkt darauf angesprochen. Das Ehepaar
behielt sich vor, direkt das Regierungspräsidium zu informieren
und Klage einzureichen.

Baubürgermeister Hahn erklärte vor ca. 2 Jahren persönlich bei
einer Begehung vor Ort mit dem ehemaligen Betreiber, dass das
Verhältnis von gastronomischer Abgabe und Verkauf von anderen
Gütern die stimmige Grundlage für das Konzept sei und erlaubte
den Betrieb. Diese Grundlage wurde nicht verändert, es wurden im
Gegenteil noch mehr nicht-gastronomische Artikel in den Verkauf
aufgenommen.

Am 25. Oktober wurde von den Herren Menrad und Waschkeit
versichert, dass es keine Einwände gegen die weiterhin untergeord-
nete gastronomische Nutzung und Bestuhlung des Ladens geben
würde. Am 15. November erließ Herr Menrad die Anordnung, dass
die gastronomische Nutzung des Ladens zu unterlassen sei.
Das BitterSweet hat jetzt geschlossen. Sechs Mitarbeiter haben
vorerst keine Einkünfte mehr. Das Bohnenviertel hat eine Attraktion
weniger. Ein Nachbar-Ehepaar freut sich, eine Existenz zugrunde
gerichtet zu haben.

Join the Conversation

42 Comments

  1. says: Anja

    Is ja wieder klar das sowas in unserer Stadt passiert..
    Meine Feierlaune sinkt gerade :/
    Vorallem da wir Bloggergirls genau in dieser „Oase der Ruhe“ die ersten Pläne für unseren 1. Mädchenflohmarkt schmiedeten..

  2. says: Chris

    Nicht aufregen liebe S21-Gegner. Das ist doch genau die Welt in der ihr leben wollt.
    Genehmigung erteilt und bei der Umsetzung merkt jemand, dass es ihm nivht passt. Grosse Beschwerde, grosse Wirkung. Jobs weg. Und hinterher waren alle anderen böse aus man selbst….

  3. says: Vit

    @Chris: Späßle gemacht, was? Oder, um in deinem Duktus zu bleiben: kleiner Post, großer Bullshit.

    Die Namen hätte ich gerade mal gelassen – wer wissentlicht so viele Leute schickaniert, sollte öffentlich dazu stehen müssen. Ich könnte wetten die haben auch ihr Haus verpixeln lassen.
    Unverständlich auch mal wieder die Stadt-Bürokraten – auf der einens Seite was von lebendiger Stadt und Unterstützung von Geschäftsideen etc. faseln und in der Realität klein bei geben.

  4. says: Jana

    @Anja, ja ja die Wiege des Mädchenflohmarkts.
    das ist eine Unverschämtheit. Ich war öfter im Bitter Sweet, das ist nun wirklich keine Lokalität, die massig Lärm herbeiführt.

  5. says: Manu

    Ist doch arm. Ein Cafe wie das Bitter Sweet tragen zur Lebensqualität einer Stadt bei. Kann ich nicht verstehen, warum solche willkürlich kastriert wird.

  6. says: Micha

    Grundsätzlich sollte man vor einer Investition die erforderlichen Genehmigungen einholen. Vor allem, wenn das eigene neue Konzept betriebliche Änderungen zu den bisherigen Geschäftsaktivitäten vorsieht.

  7. says: max

    aber entschuldigung, ich meine, das kann doch jetzt nicht der weisheit letzter schluss sein, oder? das ist doch eine vollkommene provinzposse. ich meine, da muss man doch was machen können, gegen solche flachköppe. nur was? hat da jetzt keiner eine idee? ähhh…?

  8. says: romina

    Das ist ja unglaublich – ich empfand das Bittersweet als eine echte Bereicherung für Stuttgart…

    Wütende Grüße von der toleranten Transit/Bergamo-Nachbarin, die die Bittersweet-Nachbarn gerne mal auf einen Plausch am Samstag Abend zu sich in die Geißstraße einladen würde!

  9. says: Annette

    Wie schade. Und ich versteh’s nicht. Die hatten doch eh nur reguläre Laden- und keine Gastroöffnungszeiten. Das heißt Abends und am Sonntag war da eh Ruhe. – Nicht, dass das Bittersweet je eine Partyhochburg gewesen wäre.

  10. says: jingab

    Hallo Leute,
    ist es denn möglich mit Unterschriftenaktion so eine schöne Stätte zu retten?
    Ich weiß, dass in Berlin bei z.B. Fuchs&Elster mit einer ähnlichen Nachbar-Situation, der Laden unter Einhaltung bestimmter Bedingungen gerettet wurde. Gibts hier nicht so eine Möglichkeit?
    Stuttgart verdirbt sich mehr und mehr nur von konventionellen Kram. Individualität wird sooft kaputt gemacht!

  11. says: claudia

    Ich weiß es von ner Freundin und habe erst gedacht es würde sich um einen schlechten Scherz handeln. Ich war selber schon oft dort, weil ich die Hinterhof-Atmosphäre in einem authentischen Stuttgart-Gässle den überfüllten Cafés rund um den Schlossplatz vorziehe…. Was das Ehepaar wohl nicht bedenkt: auch ihr Lieblingsrestaurant/Café/Kneipe hat Nachbarn, die sich durch den durch sie mitverursachten „Lärm“ belästigt fühlen könnten. Außerdem: das Bitter Sweet ist wohl nicht der einzige Lärmverursacher in der Straße… der gegenüberliegende Spielplatz darf wohl vermutlich auch bald mit Problmen rechnen… Arme Menschheit.

  12. says: Denis

    Ich glaube, das ist kein Stuttgarter Problem, sondern ein deutsches Problem. Ob es jetzt Spielplätze, Kindergärten, Clubs, Kneipen oder Schmuckstücke wie das BitterSweet sind, je älter das Durchschnittsalter, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass es zu solchen Aktionen kommt.
    Traurige Sache, ich hoffe, da lässt sich noch was machen.

  13. says: hanke

    ohmann. witzig daran finde ich: war auch schon 2mal da, als der schreiner im selben hinterhof irgendwelche arbeiten ausgeführt hat, dann konnte man sich draussen leider nicht mehr unterhalten……vielleicht haben die nachbarn die lärmquelle falsch geortet 🙂

  14. says: heusteigviertel

    tssss…da sag ich nur….schwabenstreich…..willkommen im schwabenländle!!
    so langsam wirds peinlich in stuttgart……

  15. says: jingab

    Seit Samstag werden Unterschriften von Nachbarn und Kunden gesammelt.
    Da die Öffnungszeiten erstmal auf Freitag & Samstag ab
    14 Uhr beschränkt wurde, haben deren lieben Nachbarin angeboten
    bei ihr im Laden alles Infos und Unterschriftenlisten aus zu legen.
    Also los….:-)

  16. says: katjuscha

    Unfassbar! Ich dachte schon beim letzten Besuch, als dieser Infozettel auslag, ich seh nicht richtig. Und jetzt sowas…mein samstäglicher Lieblingsspot zu?!
    Diese spastigen Nachbarn sollten mal wirklich aufs Land ziehen. Oder ist das nächste Projekt auch noch den Verkehr in der Wagnerstraße, das Basta und das Café Könix zu vertreiben? Bei den Vollidioten der Stadt liegt die Genehmigung dafür sicherlich schon in der Schublade…

  17. says: DonMatze

    Bitte Schluss mit dem „typisch Stuttgart“ Gebashe!
    Dass die Schließung (die ja offensichtlich erstmal wieder aufgehoben wurde) traurig ist, daran besteht kein Zweifel. Aber das wäre so auch in jeder anderen Stadt passiert, da es auch für derartige Fälle nunmal Regelungen / Verhaltensrichtlinien gibt. Wie Denis schon Oben geschrieben hat – das ist ein deutsches Problem. Überbürokratisierung, falsch verstandene „Bürgernähe“ der Stadträte, etc.pp
    Lasst uns alle hoffen und arbeiten, dass gerade solche Läden die Chance haben das Stadtbild zu bereichern!

  18. says: Sven

    @donmatze: es fehlt mir leider an wissen, ob ähnliches in anderen städten passiert aber irgendwie ist deine aufforderung hier unangebracht, da ich glaube, dass das unverständnis der besucher von kessel.tv unverhältnismäßig höher ist als der, die das nachvollziehen können, was ja uach irgendwie für sich spricht.
    deine aufforderung sollte eher den richtern und befürwörtern solcher konsequenzen vorgehalten werden, die hier aber weniger anzutreffen sind, somit könnte man deine verallgemeinerung als „deutsches problem“ so verstehen, dass es in anderen städten ab der größe von stuttgart gleichermaßen vorkommt. wenn du parallelen kennst lasse uns teilhaben an deinem wissen, wenn nicht, darf man es durchaus aus subjektivem standpunkt als stuttgarter oder schwäbische typisierung bezeichnen.

  19. says: anja

    Ich würde es nicht als ein „allgemein deutsches Problem“ ansehen. Teilweise mag das stimmen, aber ich bekomme nur von Stuttgart mit, dass hier Läden, die einzigartig, selbstständig und vielleicht ein wenig anders sind, geschlossen werden. Und der Grund hier ist ja oft, dass sich irgendein Hirbel belästigt fühlt…
    Würde noch der Cupcake-Laden schließen müssen, weil einer von so einem Törtchen angebrüllt wurde, DANN zweifel ich tatsächlich mehr an Stuttgart und dessen Einwohner.
    In diesem Fall allerdings klingt es für mich wie „typisch Stuttgart“ (wer will auch „Schwabe“) und nicht wie „typisch Deutsch“…

Leave a comment
Leave a comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert