Wir können alles. Außer Nationalmannschaft

„Seit Wladimir Putin in den Kreml zurückgekehrt ist, führt der russische Staat den Dialog mit seinen Kritikern zunehmend über Polizei und Justiz.“ Manchmal hat die Süddeutsche Zeitung eine wirklich putzige Art beisammen, Dinge beim Namen zu nennen. Gottseidank, findet die EM in der Ukraine und Polen statt. Lupenreine Demokraten, sehr tierlieb – dort hat der Putin ja offiziell nix zu melden.

Da mach ich lieber ein Fass auf für Mario Monti, den italienischen Regierungspräsidenten. Ein echter Hardliner. Keine Ahnung, was der bungabungamäßig auf dem Kasten hat, aber zumindest wenn’s um Fußball geht: Weltklasse, der Mann. Nachdem die italienischen Profiliga derzeit mit einem kernigen Wettskandal um Wette läuft, meinte Monti einfach: „Würde es den Italienern nicht guttun, wenn wir dieses Spiel für zwei bis drei Jahre stoppen würden?“ – redete aber von Fußball, nicht von Sportwetten.

Fußballfreunde mögen jetzt zwar einwerfen, dass Italien lieber endlich anfangen sollte, dieses Spiel zu spielen – aber was weiß ich denn von Fußball. Bin ja nur VfB Fan.

Nicht nur weil bei REWE schon wieder wirklich topmodische Deutschland-Hüte an Bierkisten hängen, tu‘ ich mich heuer ungewohnt schwer mit dem „EM-Feeling“. Und ich habe wirklich ein schlechtes Gewissen deswegen. Das fast frivole Abfeiern solcher Anlässe ist spätestens seit 2006 ein, äh, Must-Have. Organisiertes Biersaufen und Besserwissen, als ob wir das im Stadtbadstadion Heslach nicht auch gegen Mainz hinbekommen würden. Wenn sein muss im Winter und unter der Woche. Sommermärchenmäßig stehe ich gerade da wie bestellt und nicht abgeholt. Keine Stimmung, nix.

Walter Ercolino meinte: „Das kommt noch. Spätestens beim ersten Spiel.“ Der ist Italiener, mit dem Fußball haben die es zwar nicht so, wenn’s allerdings sportlich um den „letzten Drücker“ oder „Ach und Krach“ geht, kennen die sich top aus. Kann man drauf wetten. Walters Wort in Gottes Ohr.

Aber sagen wir wie es ist: als Anhänger des VfB Stuttgart ist diese Europameisterschaft jetzt schon gelaufen – kannste durchwinken. Ein Debakel wie Interviews mit Lukas Podolski, verstörend wie mit einem Spezi in der Hand im Climax rumstehen. Da ist so viel zu holen wie bei Skrillex unplugged: Nicht ein Spieler der Roten steht im Aufgebot unserer Nationalmannschaft.

„Team Deutschland“, nennt die übrigens der Steinbrecher im ZDF. „Jogis Jungs“ werden sie auch genannt, obwohl jeder von denen schon länger als Mitternacht in der Diskothek bleiben dürfte, es nur nicht tut, weil der Löw sonst sauer wird. Ändert aber nix: vom VfB ist keiner dabei.

Mit Cacau wurden mir die zwei letzten Hoffnung genommen: Cacau und die, mal wieder gescheit „Heeelllmmuuutttt!“ zu brüllen. So nennen ihn ja seine Mitspieler seit der, äh, ehemalige Brasilianer in der hiesigen Nationalmannschaft spielen darf. Theoretisch, zumindest. In der Praxis sind seine Aktien bei Joachim Löw derart gesunken, dass sogar Anja Kohl, der ARD-Börsen-Mutti, das grundlose Grinsen vergehen sollte.

Gratulation aber an die Stuttgarter Kickers, den Karlsruher SC, die Sportfreunde Lauffen a.N. und die Stuttgart Valley Rollergirlz: die haben erstmals genauso viele Spieler in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft wie der VfB. Muss man ja auch mal sagen. Bevor der alte Sarrazin wieder auf Bierdeckeln dichtet: „Nationalmannschaft schafft sich ab“ oder „Jogi braucht den Cacau“ nicht.

Klar, ich kann jetzt auf Khedira, Lahm und Gomez verweisen – ehemalige VfB-Spieler – oder darauf, dass die Jugendnationalmannschaften fast traditionell gut bestückt sind mit VfB Spielern.

Das wäre allerdings saumäßig schäbig. Genauso wie die Annahme, man müsste prinzipiell immer für den FC Bayern sein, weil das gut für den deutschen Fußball wäre. Ich halte es da lieber mit den Worten meines Freundes Dirk: „Ich möchte aber schon noch mal daran erinnern, dass jedes mal, wenn Uli Hoeneß sich freut, ein kleines Kätzchen stirbt.“ Das wiederum ist wahrscheinlich kein großer Schocker in der Ukraine, ich weiß.

Eigentlich überwiegt bei dieser Europameisterschaft die Angst. Gefahren lauern da an jeder Ecke: Matthias Oppdenhövel, Hooligans, Waldis EM Club und dass die Bundesregierung wieder eine Hand voll Blödsinn durchwinkt, weil mich Depp bei der Tagesschau nix interessiert außer der Zeitlupe von Gomez sehenswertem 4:0 Fallrückzieher gegen Holland, 38. Minute.

Ich habe auch Angst, dass die Nationalmannschaft Fernsehen guckt. Bei Maybrit Illner war die Rede von der stärksten Truppe, die jemals bei einer EM war, Oli Welke redet von Testosteron und Peter von Sportfreunde Stiller sagt, dass Bumsen okay ist. Kurz: Deutschland wird nur nicht Weltmeister, weil das eine Europameisterschaft ist.

Oh, Schuldigung – Email reingeflattert: „Am 3. Juni ist Tag des Hundes“. Kurz den Kalender gecheckt und geantwortet: „Schicken Sie das mal lieber in die Ukraine und arbeiten Sie gefälligst an ihrem Timing, Sie Pfosten!“ – „Sie“-Sagen ist bei solchen Anlässen sehr wichtig, diese Distanz spart Kräfte. Ich brauche all‘ meine Energie, um doch noch irgendwie in EM-Stimmung zu kommen.

Bisher hat nix geholfen: Der Löw hat mich zusätzlich verunsichert. Erst die Causa-Cacau und dann erzählt der, die Nation wäre schon voll im Fieber. Fühle mich ein bisschen, als ob schon wieder Weltkrieg wäre und ich das nicht mitbekomme, weil ich kein Kabelfernsehen hab, im Metal Hammer nix stand oder mir halt wieder niemand Bescheid gesagt hätte. So wie damals als ich lautstark und durchaus ungefragt dozierte, wie dumm und plump ich die Band Rammstein finde und der Gitarrist halt doch die ganze Zeit neben mir stand.

Ich muss jetzt in Stimmung kommen. Hab schon zwei Spielpläne aufgehängt, die sich komischerweise nicht durch eine einzige Information voneinander unterscheiden. Danach habe ich noch die Kolleginnen rund gemacht, dass es beim Fußball nicht darum gehe, wer geil aussieht, sondern, wer geil kickt und das Ding reinmacht. Ging voll nach hinten los. Haben gekichert. Hätte wahrscheinlich „Ball“ statt „Ding“ sagen sollen. Und halt was anderes statt „reinmachen“.

Und ich hätte nicht von den Signature-Nutella-Gläsern erzählen sollen. Wer will, kann da einen Löffel in Mats Hummels, äh, ohwei, jessas. Ich halte das trotz meiner Vorliebe für Nutella für eine eher fragwürdige Freizeitbeschäftigung. Lieber um Erlaubnis fragen. Die Gläser gibt’s von Manuel Neuer, Mats Hummels, Dennis Aogo und Benedikt Höwedes. Weil ich durchaus ein doofer Kindskopf bin, hätte ich mir die „Nutella Cacau“ aber bedenkenlos gekauft und ein bisschen gekichert.

Jetzt hilft nur noch eine Fahne. Funktioniert immer, wenn man nicht mehr weiter weiß oder wenn gar nix mehr geht: Nationalität hochhalten. Stolz sein, auf was auch immer.

Ich will mich hier aber umgotteswillen nicht in spaßbremsige „Fahnen sind doof“-Diskussionen einreihen, echt. Ich hab’s halt nicht so mit den Dingern. Hinter jeder Fahne steht immer mindestens einer, der nix sieht. Bin zudem einer der beim Public Viewing gefragt wird, ob ich mich als Schiedsrichter verkleidet hätte. VfB-Fahne? Okee. Und wer Schwarz-Rot-Gold als Teamflagge sieht, kann ich auch nachvollziehen. Ich habe nur Angst, dass die Merkel es persönlich nimmt, wenn jeder mit ihrer Firmenfahne wedelt. „Hui, alles richtig gemacht. Bin voll beliebt! Hihi.“

Okay, ich versuche es andersrum: Die Fußballer der Ukraine sind ja auch nicht zwangsläufig Hornochsen, nur weil die Regierung dort Menschen- und Tierrechte freimütig interpretiert.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=Q8mMyu0ZfnM[/youtube]

Ich muss jetzt noch kurz beim Metal-Label Nuclear Blast in Donzdorf anrufen und fragen, ob Polens größte Band Behemoth eigentlich auch „was zur EM gemacht hat“. Hoffe nicht. Vor denen haben wahrscheinlich auch polnische Hooligans ziemlich Schiss. Gruseliger ist nur „All You need is Löw“ von Kollege Reiff. Auch eher das Gegenteil von stimmungsfördernd, es sei denn man möchte sich selbst sehr weh tun oder anderweitig verzweifeln

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=Kgx9fLKxTqg[/youtube]

Komm, wenn Ercolinos Prophezeiung nicht eintritt, bleibt mir wenigstens ein Glück in den kommenden Wochen: Ich kann nach Belieben rumbrüllen und meckern wie Lagarde über Griechenland. Mir so was von bums, ob da irgendwas empirisch belegbar ist.

Ab heute ist überall Stammtisch und der Sportplatz ist seit jeher einer der seltenen Orte, an denen „Ach, halt doch die Fresse, Du. Du weißt doch gar nix!“ noch ein stimmiger Beitrag zu fast jeder Diskussion ist. Ich bin schon fast warm gepöbelt: „Klose?! Ich hab‘ immer gesagt: Nimm den Cacau mit – und was soll eigentlich der ekelhafte blaue Pulli schon wieder, Du Pfeife!?“

Noch ein Highlight: die EURO 2012-Ausgabe des Magazins „11 Freunde“. Da steht unter anderem, dass der polnische Nationalspieler Slawomir Pesko (1.FC Köln) mit vier statt zwei Nieren geboren wurde. Entdeckt wurde das erst 2011 beim Ärztecheck in der Bundeliga. Seine Mutter sagte daraufhin, sie habe sich schon so was gedacht, der Sohnemann sei immer deutlich häufiger zur Toilette gegangen als andere.

Nimm das Buchmacher: Deutschland wird natürlich Europameister, das sind die uns schuldig – die anderen Europäer. Ansonsten bin ich voll für Schottland. Oder für Israel – nur um den Grass zu ärgern. Beide nicht dabei? Okay, dann halt Brasilien, die spielen nämlich prinzipiell die rundeste Kugel. Moment, schon wieder was im Postfach: „Rund ist Rund, Einstein! Runder geht nicht. Brasilien ist auch nicht dabei.“

Mir reicht’s: ich ruf‘ jetzt den Putin an oder Behemoth. Schöne Europameisterschaft, euch allen. Ich muss mal.

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8 Comments

  1. says: Teaze

    „Gratulation aber an die Stuttgarter Kickers, den Karlsruher SC, die Sportfreunde Lauffen a.N. und die Stuttgart Valley Rollergirlz: die haben erstmals genauso viele Spieler in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft wie der VfB. “

    Bitte nicht verallgemeinern, SVRG hat aktuell 9 Spieler ind der deutschen ROLLER DERBY Nationalmanschaft ;P Wir sind also 900%ig erfolgreicher als der VfB..

  2. says: MCBuhl

    Wieso jetzt Schiedsrichter? Trägst du keine T-Shirts mit Aufdruck mehr?
    Aber:hinter jeder Fahne steht einer der nix sieht. Word.

  3. says: setzer

    Wenn ich mich für keinen Aufdruck entscheiden kann, dann nehm‘ ich das kleine Schwarze. So wie die Schiris damals, als die noch nicht in Knallfarben rumrennen wollten.

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