Lenny auf dem Hessentag

Perfekte Kirmesstimmung: Wenn Hessen sich treffen und dazu Lenny Kravitz spielt – dann nennt sich das Hessentag.

Während manch einer hier sich im Miami Beach des Ostens nen lustigen EM-Lenz macht, müssen andere in die wahre Walachei  – nach Wetzlar. Lenny statt Fussi. Kravitz statt Krakau.

Ich hab Lenny Kravitz bisher dreimal live gesehen und er hat sich mit jedem seiner Auftritte in die Top Ten meiner besten Konzerte gespielt. Also wollte ich ihn auch in Wetzlar sehen. So kann man sich täuschen.

Nennt mich naiv, aber wenn ich auf einer Eintrittskarte „Hessentag-Arena“ lese, denke ich an Halle oder zumindest an Stadion. (Gut, andererseits können Auswärtige „Canstatter Wasen“ natürlich auch für einen kleinen, schummrigen Club halten.)

Hessentag-Arena ist aber weder Club noch Halle noch Stadion – sondern Acker. Und der Hessentag ist eine Familienveranstaltung. So eine Art Caravan-Motor-Touristik-Messe, bei der abends „ganz tolle Acts für Euch spielen“  – präsentiert von irgendeiner Hessenwelle, die das Publikum von clownesquen Radiomoderatoren bespaßen lässt. Entsprechend leider auch das Publikum: Messebesucher.

Auf dem Programm des Hessentags hauptsächlich Knobi-Fladen, Fischbrötchen, Currywurst, Krakauer, Frikadelle und ein bisschen Rock n Roll. Das große Heiße Hexe Festival. Und das nicht mal in the middle of nowhere, sondern ganz am Rand.

Im Vorprogramm die unsäglichen Dick Brave & the Backbeats. Der ZDF Fernsehgarten lässt grüßen. Der Mann kann sich hundertmal Dick oder Doof oder Horst nennen – er wird immer Sasha Schmitz aus Soest bleiben. (Diskographie „I feel lonely“, Filmographie: „Warum Männer nicht zuhören und Frauen nicht einparken können“).

Das ändern weder die englischen Ansagen noch der verzweifelt kredibile Versuch, Songs von Kings of Leon oder Queens of the Stone Age zu verswingen und damit cool zu sein. Sasha bleibt Sasha bleibt der Til Schweiger des Deutschpops.

Diese oder ähnliche Damen singen nach dem Konzert äppelwoi-selig „Ohne Lenny wär’n wir längst daheim“ auf die Melodie von „Einer geht noch.“

Im Publikum drei große Schwerpunktthemen:

Erstens: Uwe, der Seg(g)el-Champion. Mit den Schuhen, bei denen die Schnur durchgeht (Wozu nochmal?). Hat sicherheitshalber ein Übergangs-Jäckchen dabei. Falls es nachher tröpfelt. Besitzt das Greatest Hits Album (nice price). Geht immer hin, wenn Lenny kommt. Der aber kommt nur einmal in seinem Leben nach Wetzlar und dann nie wieder. Uwe johlt versehentlich als die Vorband auf die Bühne geht. Und merkt dann erst, dass es noch nicht Herr Kravitz sondern erst Herr Schmitz ist.

Zweitens: Micha. Unten Cargo-Hose, oben ergraut. Der, der mit zwei Händen fünf Bier durch die Menge trägt. Entschuldigung…sorry…tschuldigung. Survival of the fittest wie beim Stuttgarter Sommerfest am Eckensee. Uvex-Fahrradbrille bis 21.30 Uhr. Ab da dann witzig von hinten auf den Kopf gesteckt. Ist eigentlich mehr zum „Klönen mit den Kumpels“ da. Findet Lenny ganz okay. Und so ne Gelegenheit kommt ja auch nicht alle Tage. Geht vor der Zugabe, um mit seinem Renault Espace nicht im Stau zu stehen.

Drittens: der weibliche Fan. Salomon Wanderschuhe, Jeans von Edwin Jeans, Mini-Rucksack, pfiffige, gewagte Brille. Mag alles vom Künstler, besonders  die langsamen Sachen. Ist dank Weißweinschorle schon lange vor dem Konzert in Ü40 Partystimmung. Schwoft auch zur Pausenmusik. Findet das Konzert fetzt echt und postet mit ihrem Samsung Handy schon während des Intros auf stayfriends24.de „Waaaaaahnsinnn. Lenie Krawitz bei uns in Wetzlar. Und morgen spielt Deutschland. Ein supi-dupi Wochenende. Knutsch.“

Sowas denken sich wohl auch Lenny Kravitz und Band – Ressourcen schonen für den weiteren Turnierverlauf – und kommen an diesem Abend nicht so richtig aus den Puschen. Aber ähnlich wie bei unserer Nationalmannschaft reicht am Ende auch Lenny Kravitz die angezogene Handbremse noch zum 1:0. Nur für meine Top Ten, da reicht’s an diesem Abend nicht.

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8 Comments

  1. says: No 2da Ra

    Och Geiger, also da muss ich als Hessin jetz schon mal bisschen die Nase rümpfen. Wenn ein Konzert von Lenny Kravitz nicht mal einen Cent kostet, MUSS man mit oben beschriebenen Besuchern rechnen. Hessentag is ne super Gelegenheit für die 80% Bauern die Hessen besitzt den Hof zu verlassen und die gute Sonntagshose auszupacken. FFH (ist der Veranstalter seit 100 Jahren) macht das jedes Jahr phänomenal. Ich hab beim Hessentag Caught in the Act gesehen…mit 10 – war mein erstes Konzert und der Überkiller. Was ich sagen will: Auch ein Acker kann ne SAP Arena sein…jedenfalls für manche Besucher 😉 Nächstes Mal fragste mich halt was in Wetzlar so geht…

    http://www.simfy.de/artists/150469-Badesalz/albums/342721-WIE-MUTTER-UND-TOCHTER/tracks/12166047
    Track 5 🙂

  2. says: kollege geiger

    Ich geb dir 100% recht. Nur dass der Hessentag nicht nichts gekostet hat, sondern 52 Euro. Aber ich schätze, FFM hat den Großteil der Karten in lustigen Call-in-Shows verlost.
    Nächste Woche Mittwoch spielt er in Ravensburg, Oberschwabenhalle. Ich check mal google earth, ob das auch architektonisch wirklich eine Halle ist.

  3. says: setzer

    Ich finde es toll, dass Micha fünf Bier mit zwei Händen durch die Menge tragen kann und auch noch die Zeit findet „‚Schuldigung“ zu sagen.

    Dein
    Micha

    P.S.: Ich habe keine grauen Haare!

  4. says: Lidlwicht

    Ich hab die ganze Zeit auf die Pointe gewartet, dass am Ende eine Lenny Kravitz Coverband gespielt hat 🙂 sehr gute Feldstudie.

  5. says: Whiskydrinker

    @No 2da Ra: Also 100 Jahre können es noch nicht sein. 1995 gab es da immerhin noch auf dem Hessentag und HR3 eine Performance vom Sven, die „Guude Laune“ locker übertrifft.

  6. says: No 2da Ra

    Ok ich entschuldige mich – früher stand das immer unter dem Motto „Live, umsonst und draußen“. Und Whiskydrinker: Ich glaub des is son Kooperationsding von HR3 und FFH – damals war ich gezwungener Maßen FFH Hörer. Deshalb der einseitige Kommentar 🙂

    Schon krass was sich in 8 Jahren Heimatwechsel so alles verändert….

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