Reflect Kolumne: UND DU BIST AUCH BLÖD, DU DUMME SAU

Kessel_ReflectKol

Mensch, völlig vergessen. Die Reflect-Kolumne aus der Juli/August- Ausgabe. Hiermit möchte ich auch meinen gefühlsduseligen Zyklus „Ernährung“ beenden und halte mich künftig an Mamas Ratschlag: „Beim Kauen wird nicht geredet.“ Hier kommt der Remix:

UND DU BIST AUCH BLÖD, DU DUMME SAU

Zündschnur, Zeitgeist oder einfach nur verständlich, keine Ahnung. Nach drei Minuten Internet möchte ich in aller gebotenen Freundlichkeit ein paar Idioten anbrüllen. Die Tatsache, dass ich die Kiste trotzdem täglich anschalte, gibt mir allerdings laut und durchaus deutlich zu verstehen, dass auch ich nicht die hellste Kerze auf der Torte bin.

Ich weiß, „Idiot“ ist ein sehr breiter Begriff. Doch in einer Welt voll von digitalen Juristen, Politikern, Trainern, Kanzlerinnen, Islamexperten, Ernährungsberatern und Mathematikern – da darf man auch mal unterer dem kleinsten gemeinsamen Nenner rechnen. Mit den Fingern. Ergebnis: der in der Mitte.

Ich denke nicht, dass die Welt dümmer geworden ist, die Doofen sind mittlerweile lediglich sichtbarer. Letztendlich geht’s meist ja nur darum, anderen den Dreck unterm Fingernagel zu neiden oder deren Lebensentwurf für den drohenden Weltuntergang verantwortlich zu machen.

Winter Is Coming – jetzt auch im Sommer. Ein Teil sucht nach Ablenkung, einer nach Lösungen und dem größten Teil reicht der leicht zu errechnende Schuldige. Zur Not wird täglich eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Und die Fankurve so: „Totschlagen, die dumme Sau!“ Der Trend geht eindeutig zur Selbstjustiz – alle Gerichte zum Mitnehmen – to go – und trotzdem bewegt sich gar nix mehr.

Ab und an gehe ich einfach auf die Straße und schaue mir das alles an – das echte Leben, den urban Lifestyle, das ganze heiße Zeug, den unnötigen Müll und die fancy Hassobjekte. Und dann das: der verschissene Fahrradfahrer bimmelt noch kurz, bulldozert mich fast vom Gehweg und ruft dann auch noch: „Pass halt auf, Du Fotze“.

Ein Moment, wie gemacht dafür, den im Internet angelernten Instant-Hass auf Gott und seine Welt aufzubrühen – beispielsweise einfach zu hoffen, dass gleich ein großer Bus kommt und dem Radfahrer mit Nachdruck und breiten Reifen erklärt, was eigentlich „Karma“ bedeutet.

Ehrlich gesagt war ich schon froh, dass es wenigstens kein Foodora-Radler war. Das wäre mir zu ironisch gewesen. Denn bei aller Neugierde möchte ich bitte nicht derart urban vom Lifestyle überfahren werden – kämpfe ich in dieser Kategorie eh schon mit genügend Defiziten.

Foodora beispielsweise verstehe ich so: ein Radfahrer geht in mein Lieblingsrestaurant und bringt mir das Essen nach Hause. Kann ich gut finden und nutzen – oder eben nicht. Ende der Geschichte.

Auch Streetfood will sich mir nicht im vollen Umfang erschließen. Das klingt mehr nach guter Option, als Lifestyle. Denn unterm Strich steht da lediglich: ich soll nicht länger bleiben als unbedingt nötig. So wie bei meinem alten Freund Ralf: Wenn der keine Lust mehr auf seine Gäste zu Hause hatte, dann fragte er gerne in die Runde: „Na, uuunnndd was macht Ihr heute noch so?“

Von Craftbeer habe ich auch gehört und es neulich sogar versucht, obwohl sich meine Kompetenz im Bierkonsum ohne Umschweife als sehr bedenklich einstufen lässt. Selbst alkoholfreies Bier würde ich erst erkennen, wenn ich nach fünf Flaschen noch immer nicht den DJ mit unpassenden Liedvorschlägen zur Weißglut treibe.

Bei Craftbeer habe ich zumindest einen Trick: Ich schaue, ob die Flasche irgendwie ansprechend designt ist. Das Auge trinkt schließlich immer mit. Nachdem ich mit dieser Methode gleich zwei Mal Starkbier aus dem Kühlschrank gezogen hatte, verschwamm mein Blick etwas. Und DJ Thorsten W. hatte kein einziges Lied von Entombed dabei.

Apropos. Vegane Torte, Kuchen, Mahlzeit und Co.: her damit. Wenn das gut schmeckt, frage ich nach einem weiteren Stück oder ich versuch’s halt beim nächsten Mal aufs Neue. Einfach mal etwas machen, nur weil ich kann. Kürzlich war ich auf einem Blues-Konzert. Kollege Geiger hatte recht: voll gut. Ich werde trotzdem kein Mitglied in der Blues-Community.

Vor ein paar Wochen habe ich auch eine Katze gestreichelt, obwohl ich die für hinterlistige Zicken halte und streng genommen lediglich aus dem Internet kenne. War trotzdem super. Ich habe am Marienplatz erfolglos versucht, ein Eis zu kaufen und im Supermarkt einen Typen angelächelt, der sich an der Kasse vorgedrängelt hatte.

Und ich habe gegrinst als eine Bio-Übermutter mit ihrem eisverschmierten Sohn redete, als sei der bereits 36-Jahre alt und Nobelpreisträger in Physik. Der Papa war auch toll. Zwirbel Dir einen Marienplatz-Dutt, lass Dir ein Joy Division Tattoo stechen und einen Gesichtspulli wachsen – warum nicht? Kenner wissen längst, es kommt nicht auf den Vollbart an, sondern auf das Herz, das drunter schlägt.

Lasst uns Witze darüber machen, jeder über jeden, nicht jeder gegen jeden. Gemeinsam lachen, darauf anstoßen und nicht nur alleine zu Hause oder im Gehen essen. Mal freundlich auf den Oberarm knuffen und lächeln.

Ich fang’ an: „Um Radfahren in Stuttgart attraktiver zu machen, müssten erstmal die Radfahrer weg“. Knaller, ne? Hier, komm: „Unheilig kacke finden, aber Pflegefälle wie Future Islands durchwinken“. Okay, einen hab’ ich noch: Egal wie ironisch dein Schnauzbart ist. Deine Freundin glaubt, sie hätte gerade Sex mit Super Mario.“

Hass kostet Energie, viel zu viel sogar. Es klingt plausibel, beides für die eigentlichen Arschlöcher aufzusparen. Man erkennt sie daran, dass sie uns und anderen die Optionen auf das gute Leben streitig machen wollen. Gerade schauen sie zu, wie sich einigermaßen vernünftige Leute gegenseitig zerfleischen. Aus Angst man könne uns auch noch das Letzte nehmen: die naive Hoffnung, alles könne irgendwie besser werden. Also, in echt.

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