Best Of 2011: Paul verschmitzt, ich verschwitzt

(Techno-Foto des Jahres: Aussi)

Zurück vom allerneuesten Aussenreporter-Auftrag: Chef hat mich nach Berlin geschickt, um vom Kalkbrenner zu berichten. Sinn und Zweck: Bock auf den Sommer und die Festivalsaison machen. Ging ganz gut ab. Also los.

Mein Traum: Mit dem Kessel.tv-Airbus, der Airforce 1.1, auf dem Flughafen Tegel landen, bevor der bald dichtgemacht wird. Im Cockpit sitzt John Travolta und erklärt übers Bordmikrofon, wie ihn Scientology von den Schnäpsen geheilt hat. Dann von einem schwarzen Daimler mit der Kennzeichen-Endung 0711 abgeholt werden, um auf der Rückbank den ersten Gehirnbeschleuniger zu testen. Die Realität: Mit Germanwings nach Schönefeld und mit der S-Bahn genau so lange nach Berlin rein brauchen wie davor mit dem Flugzeugle von Stuttgart nach Berlin.

Egal, steh ich drauf, mach ich immer so, kommt man mit mehr Heimat-Gefühl an, da die Stationen auf der Strecke nach Berlin rein auch nicht besser aussehen als Vaihingen, Rohr, Leinfelden und was sonst noch so zwischen Schwabstraße und Flughafen an Haltestellen kommt. (Wieso ist die Strecke zwischen Schwabstraße und Universiät eigentlich so verflixt lang? Kommt mir immer so lang vor, als würde man einmal heimlich unter dem längst schon existierenden tiefer gelegten Hauptbahnhof unten durch geleitet, um dann über Esslingen nach Vaihingen zu cruisen.)

Voll viele Neider, Hater und Donzdorfer sagen ja immer, Berlin, ey, voll uncool, nur Poser, geht gar nicht. Ich find’s dagegen immer total dufte dort, wahrscheinlich weil ich selber posender Donzdorfer im Herzen bin. Kammertheater im Rum Trader bei sensationellen Mischgetränken und geilem KaDeWe-Publikum, mittags in der Sonne im Club der Pensionäre am Herrentag den ersten Hartalk trinken und den Druffis beim Gesichtsgulasch zuschauen, abends eine Neukölln-Führung von Cosimo-Biograph Moritz Drung bekommen und am nächsten Tag tolle Souvenirs im noch tolleren Laden Schnapskultur kaufen. Kann man locker machen. Auch mehrere Tage lang. Vielleicht auch Jahre. Muss ich mal bei Gelegenheit ausprobieren.

Samstag dann eben Paule in der Wuhlheide. Kannte die Wuhlheide vorher nicht, hatte nur registriert, dass da sommers immer ein vernünftiges Line-Up herrscht. War dann völlig begeistert von der schönen Location und ihrer herrlichen Kessel-Form. Die Wuhlheide ist quasi das Stuttgart unter den Konzertlocations, auf der einen Seite die Bühne, außen rum allerfeinste Halbhöhenlage und in der Mitte die Innenstadt. Und Heslach.

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Das Konzert war mit 17.000 Raverlein ausverkauft, sonntags das gleiche Spiel noch mal, ebenfalls ausverkauft, angeblich hätte Paul noch einmal spielen können, so viel Kartenwünsche gab es. Hätte dann aber mangels anderer Termine freitags spielen müssen, vor dem lange angekündigten ersten Termin. Das wollte er dann wiederum den Die-Hard-Fans nicht antun, dass all die Zuspätchecker und Nixblicker zuerst in den Genuss eines sommerlichen Kalkbrenners kommen sollten. Fand ich eigentlich ganz sympathisch, aus solch einem Grund auf absurd viel Geld zu verzichten.

Vor Paul spielte Fritz, der Spaß soll schließlich in der Familie bleiben. Von Fritz hab ich leider nicht viel mitbekommen, da ich verzweifelt von einer Getränke-Stand-Schlange zur nächsten gestolpert bin, gute Festival-Orga macht das Leben lebenswert, um dann pünktlich mit den ersten Plastikbieren bei Paule im Innenraum bei meinen Lieblingsfreunden aus Berlin zu stehen.

Die Menge ist von Anfang an total ausgerastet, konnte man auch wirklich mit gutem Gewissen tun, Wetter super, Publikum gut abgemischt, Sound astrein, zu Beginn viel Neues von „Icke wieder“, hatten die ganzen Fans auch schon brav gekauft und sich gefreut.

Wir standen wie gesagt im übertragenen Sinne so zwischen Heslach und S-Mitte, und so sah das Publikum auch aus. Mein Freund Robert ist Berater und kann sich eine warme Mahlzeit am Tag leisten, seine Freunde auch, um uns rum waren aber auch angenehm viele Brandenburger. Mein Lieblings-Schlachtruf an dem Abend: „1, 2, 3 – Oberkörper frei“.

Das Kalkbrenner-Publikum ist ja ganz speziell, wie ich vor dem Konzert noch in der Süddeutschen Zeitung lernen durfte. Zum einen der Teil der Bevölkerung, der den Laden am Laufen hält und nur noch bis um 3 Uhr feiert, weil er am nächsten Tag funktionieren muss. Der andere Teil eben Fans der ersten Stunde, die eher so aus dem Umland kommen. Konnte mich in der Wuhlheide voll mit beiden Teilen identifizieren, bin schließlich auch Umland, das funktionieren muss.

Paule selbst fand ich sehr heiter. Wenn er auf den Leinwänden eingeblendet wurde, hat er mitunter einwandfreie Selbstgespräche geführt oder so Queen-Mum-mässig in die Menge gewunken. Immer schön verschmitzt im Gesicht, ich mittlerweile ordentlich verschwitzt. Man munkelt ja, dass er immer noch ganz gerne den Icarus gibt, bis er auf Betriebstemparatur ist. Finde ich absolut unterstützenswert, wenn man es sich leisten kann.

Gegen Ende des Auftritts sind wir dann noch ein bisschen auf den Killesberg, also die Vip-Tribüne, um mit meinem Vorbild Jörg Rohleder und dem Schowi abzuklatschen. Vip-Tribüne übrigens nicht, weil ich Vip bin, sondern weil Berlin wie Stuttgart funktioniert. In Stuttgart gibt es den Ram, der die Presse für alle Clubs macht und Gästeliste mit zweitem Namen heißt. In Berlin macht ein netter, junger Mensch die Presse von vielen großen Veranstaltungen, und da ich einmal mit dem netten Menschen bei den HipHop Open zusammengearbeitet hab, bekam ich ein duftes Bändle fürs Konzertle.

Das Icke-wieder-Finale war dann von der Tribüne aus richtig geil: Sonne untergegangen, die Pillen wirken auch beim letzten Brandenburger endlich wie gewünscht, Menge tobt, Paule geht, macht sich frisch, Menge tobt noch mehr, Paul kommt zurück, spielt noch drei Hits bis zum großen Final Countdown.

Das wird dann fast ein bisschen Wetten-dass-mäßig. Die ersten Takte von Sky and Sand im Ohr, klatscht die Menge rhythmisch deutsch, wie beim Musikantenstadel – oder eben Wetten dass?!. Techno ist halt doch Marschmusik fürs neue Jahrtausend, das Volk gut drauf, Paule zündet ein abartiges Feuerwerk und ich wünsche allen Umstehenden ein gutes, neues Jahr.

Schowi dreht ein Video vom kollektiven Glück, Jörg macht Fotos vom Kalkbrenner und ich fotografiere die beiden, wie sie dokumentieren. Drei Seggel mit Smartphones halt, hätte nie gedacht, dass es mal so weit kommen könnte.

Zur Afterhour dann noch eine Reiseführung von Schowi durchs nächtliche Berlin bekommen, waren unter anderem im Picknick, Jörg fand’s eher lahm, mich Landei hat’s aber ordentlich beeindruckt. Das Konzert, die Nacht mit Clubreiseführer Schowi und überhaupt der komplette Ausflug. Herzlichen Dank, Berlin, du bist voll ok.

Werbeeinblendung: Anfang 2008 noch vor 100 Leuten im Romy S., spielt Herr Kalkbrenner am 1. Oktober 2011 in der Schleyerhalle. Bevor das Konzert ausverkauft ist und der Paule dreimal das Stadion füllen muss, bitte rechtzeitig Karten checken.

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17 Comments

  1. says: Gregor

    …34000 Leute bei Kalkbrenner und am Sa noch der Berlin Summer Rave mit 20000 Gästen, das ist ja wie zu besten Loveparade Zeiten.

  2. says: martin

    nice one wohni! 1,2,3, oberkörper frei!

    und die tunnelfahrt von uni zur schwabstraße oder andersrum kann wirklich kirre machen. vor allem wenn in vaihingen studiert und die strecke täglich fährt. hab glaub deswegen abgebrochen 😉

  3. says: sandmann

    sehr schöner bericht… auch wenn ich sagen muss das die fans der ersten stunde (also damals noch von paul db) inzwischen eher die sind die um 3 uhr gehen weil sie nun eben über 30 sind und wie du so schön geschrieben hast am nächsten tag funktionieren müssen 😉

  4. says: Patrice Grad

    na bei den letzten zwei Male als er in der Romy gespielt hat, haben wir ein ganz schönes Volksfest gehabt!
    Erst Kino, dann Romy, dann Afterhour mit dem Bruder…!

    der Bruder spielt ja auch in der Schleyer Halle und der hat Ende Mai die Romy ganz schön durcheinander bracht!

  5. says: Heslach Buddah

    wir haben alle in stuttgart groß gemacht und die anderen die in stuttgart nicht großgemacht wurden sind keine guten künstler – LOL 111!!!11

  6. says: Aussenreporter

    @sandmann: stimmt vielleicht auch wieder. paule hatte kürzlich in einem interview gesagt, dass es ihn so nervt, dass fans der ersten stunde nicht in den club gelassen werden, weil sie halt eher rustikal und brandenburgerisch daherkommen, während die als raver verkleideten banker aus easy-jet-london die clubs in berlin bevölkern. deshalb hatte der glaub auch so bock auf die wuhlheide, um mal wieder ein gemischteres publikum zu erreichen.

  7. says: JMO2

    Das schaut ja schon beeindruckend aus. Wobei mir die Faszination von elektronischen Live-Acts schon immer ein wenig fremd war, wobei auf der anderen Seite ich mich schon sehr auf die Chemical Brothers auf dem Southside freue (häh? :D)

    Die Strecke Schwabstraße-Universität ist morgens ohne Probleme bewältigbar, da ich eh immer noch müde bin, schlimm ist der Rückweg nach Feierabend, wenn man in den meisten Fällen im Tunnel nochmal warten muss, weil eine Bahn vor einem getrödelt hat. Auch nicht zu vernachlässigen ist das olfaktorische Oeuvre im Sommer in der S-Bahn

  8. says: TG

    ich find den Paule jetzt auch nicht soooo dolle…und irgendwie austauschbar, ohne USP und so 🙂 Naja, oder ich bin halt zu alt für den Scheiß!

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