Hommage an das Café Weiß in Stuttgart Mitte und Barmann Ranko

Schlechte Zeiten für Gewohnheiten – außer Frieren und Fluchen ist mittlerweile gar nix mehr sicher. Dachlawinen eventuell. Und jetzt auch noch das, Potzblitzverdammtehacke: Das Café Weiß schließt* (Update siehe unten).  Die Mietvertragsverhandlungen mit dem Hauseigentümer schienen laut Wirt Ranko Curin derart aussichtslos und verfahren, dass er die bohèmig angepuffte Durchhängkneipe nun schließen wird – pünktlich zu seinem 40-Jährigen Betriebsjubiläum: am 25. März 2013. Der frühere Barmann, und lässigste schwäbische Kroate der Welt, hatte die Kneipe im November 2010, nach dem Tod von Inhaber Heinz Weiß übernommen – rückte sozusagen ins Management auf.

Zum Abschied am 25.3. lädt er zum großen Gebimmel und die Getränke gehen aufs Haus. Ob ein anderer Kneipier den geschichtsträchtigen Ort übernehmen wird, weiß bislang niemand, auch nicht ob der Name „Café Weiß“ je wieder über der Tür stehen wird.

Im März würde hier eigentlich auch noch der 51. Geburtstag des Cafés anstehen, in dem es ohne Untertreibung, tatsächlich den miserabelsten Kaffee der Stadt gibt. Wegen des Kaffees ist hier allerdings auch nie einer über die Schwelle gestolpert. Kurze Verwirrung: Wäre es schon der 52. Geburtstag?

Als ich Anfang der 90er-Jahre zum ersten Mal im Café Weiß war, war ich so aufgeregt, dass ich fast den grünen Griff am Schorleglas abgerissen hätte. Man erzählte mir von gemütlich beisammensitzenden Politikern, Theaterintendanten, Schriftstellern, Fremdenlegionären, Künstlern, Musikern, Typen, Zuhältern und Huren.

Natürlich habe ich nie nachgehakt. Die Frage, „Hören sie mal, arbeiten sie im Rathaus – oder im ältesten Gewerbe der Welt?“ geht mir auch nach fuffzehn Schorle nicht mirnixdirnix über die Lippen. Manchmal habe ich mir auch vorgestellt, Henry Miller würde gleich zur Tür reinlaufen und fluchen. Obwohl der damals natürlich schon längst tot war. Aber an Orten, an denen die Zeit still steht, muss so viel Romantik erlaubt sein.

Keiner schaut auf die Uhr, noch weniger auf den Kalender oder auf die Kleidung des anderen und aus der Jukebox scheppert „Turn Me Loose“ von Loverboy oder irgendwas von Foreigner. Irgendwann kam das Knabberschälchen auf den Tisch und irgendeiner sagte: „Nicht die Kuh essen!“. Die war aus Gummibärchendingens und laut Expertenmeinung immer steinalt, obwohl sie durchaus nachgab als ich mit dem Finger draufpiekte. Mööhp. Ich habe sie in meinem Leben mindestens vier Mal gegessen: nix passiert. Schwöre.

Wenn Ranko beim Abkassieren das alte Spiel mit der kleinen Ritter-Sport-Tafel veranstaltet, freue ich mich tatsächlich heute noch, wenn ich errate, in welcher Hand hinter seinem Rücken er sie versteckt hatte. Und es scheint tatsächlich zu stimmen: in 40 Jahren Café Weiß hat der Mann nicht einen Tag wegen Krankheit gefehlt. Ich hoffe, ihm passiert das auch in Zukunft nicht.

Ich habe Wirt Ranko auch nie gefragt, ob er tatsächlich mal zu einem Arschlochgast sagte: „Wenn Du jetzt nicht aufhörst, dann schlage ich Dir auf den Kopf bis die Haare bluten“. Die Geschichte war zu gut, um sie mir von oberster Stelle als Blödsinn absegnen zu lassen.

Danke, Ranko.

*UPDATE: Insider berichten, dass Bernhard Weiß (Sohn des legendären Wirts Heinz Weiß) den Laden „im Sinne des Vaters“ weiterführen möchte. Ranko dementierte gestern aber einen geplanten, beziehungsweise gesicherten Fortbestand des Lokals.

*UPDATE 2: Bernhard Weiß dementierte Rankos Aussage. Und schrieb: „Guten Abend liebe Gäste des Cafe Weiß. Um alle Gerüchte aus der Welt zu schaffen, bzw. zu entkräften: Das Cafe Weiß wird weiterleben, auch ohne Ranko. Das „Weiß“ wird NICHT geschlossen, sondern nach notwendigen Reparaturen geht es mit neuem Pächter weiter. Dann kann das „Weiß“ so weitergeführt werden, wie es im Sinne meines verstorbenen Vaters und Großvaters gewesen wäre. Viele Grüße Bernhard Weiß“.

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33 Comments

  1. says: Jay_Vee

    Toll geschrieben! Hatte dort viele tolle Momente, die in meiner Erinnerung alle irgendwie einen Weichzeichner drumrum haben. Ob es verklärte Sentimentalität ist, oder der konsumierte Alkohol – egal. Schön war’s bis jetzt immer.

  2. says: Matze

    Ist echt zum erbrechen, dass DIE Institution in Stuttgart dicht macht. Es stirbt ein Stück Stuttgart und das wegen Erbstreitigkeiten. Nicht zu vergessen ist auch Annemarie, die Ranko den Rücken frei gehalten hat. Es geht wohl einer der kauzigsten Orginale ever.

    R.I.P

  3. Jaja, der Ranko, der einem immer den billigsten Wodka als wertvolle Einzigartigkeit verkaufen wollte.
    Weitere ‚urban legend‘: Die polnische Fußball-Nationalmannschaft hat im Café Weiß die Spieler der italienischen Fußball-Nationalmannschaft bei der WM ’74 am Vorabend des Aufeinandertreffens von Animierdamen abfüllen lassen, die Italiener verloren 1:2 und sind dadurch sensationell ausgeschieden.

  4. says: frau equadrat

    Hab auch mehrfach die Kuh gegessen. Keine erkennbaren Schäden bisher!
    Die Gute war allerdings zu später Stunde auch immer reichlich desinfiziert..

    Werd es sehr vermissen!!

  5. says: pers.assistentin

    hab ich`s nicht gesagt… schöner scheiß! und wo soll ich jetzt jedes wochenende mein „herrengedeck“ trinken?!!

  6. says: martin

    anscheinend ist alles noch etwas widersprüchlich. uwe bogen von der stuttgarter nachrichten hat mit dem sohn von heinz weiß gesprochen, der behauptet es geht nach einer renovierung weiter.

  7. says: OnkeBenz

    erst das Libero, dann das Cafe Weiss, was kan denn dann noch kommen?
    der 21.12.12 ist ja schon rum, mal die Jehovas fragen wann der nächste Termin ist. Schöne Scheiße, jetzt werd ich auch noch zum trocken werden gezwungen!

  8. says: ostwolf

    Lieber ein prophylaktisches Abschiedsgetränk zu viel konsumieren, als am Ende in die bereits geschlossene Röhre zu starren.

  9. says: Benno Mehring

    Lieber Kasperlcurtis, die Chose mit den abgestürzten italienischen WM-Helden Zoff & Co lief a bissle anders ab – nachzulesen bei Joe Bauer. Richtig ist, dass sie bei Heinz Weiss und den dort an der Bar tätigen freischaffenden Gesellschafterinnen ihren Anfang nahm und im Parkhotel ihren krönenden Abschluss fand.

  10. says: Sarah

    Das Café Weiß macht nicht dicht – es wird renoviert und dann wieder eröffnet. Nur Ranko hört auch, weil er keinen Bock mehr hat. So erzählt man sich das im Café …

  11. says: HexMex

    Brauch Ranko sich nicht wundern, dass sein Vertrag nicht verlängert wurde. Da er die langjährige Lebensgefährtin Annemarie von Heinz Weiß rausschmeißt und alle Bilder von Heinz abhängt, die dort schon seit Jahrzehnten im Lokal hingen, und zum Inventar gehörten. Ist doch klar, dass er dann keine Vertragsverlängerung bekommt!

  12. says: Stursularunner

    genau !!!! Rausgeflogen ist er, der Herr Ranko und danach hat er und seine vers……e Alte die treue Seele Annemarie rausgeschmissen !!!

  13. says: sith.vicious

    „…wie es im Sinne meines verstorbenen Vaters und Großvaters gewesen wäre…“ . moment …… sic!.

    ps: es war der pachtvertrag (der das ganze haus umfasste) der ausgelaufen ist und vom neuen verpächter (weiß junior) nicht verlängert wurde. hier gab es – wen wunderts nach über 50 jahre unsere kleine kneipe – seit altersher differenzen zwischen ranko, dem junior und einer nicht unbeachtlichen zahl von stammgästen. es bleibt den junior zu fragen, weshalb der alte sein weiß an ranko verpachtet hat und die ganze geschichte nicht schon 2010 akut wurde. der junior hatte schlicht die letzten 20 jahre keinen bock auf die „milieu-kneipe“ (so ein nicht namentlich genannter stammgast), bis er nunmehr gemerkt hat, dass da ganz schön kohle über den tresen geht (und sich auch grundsanierte wohnungen in bester lage gut vermieten lassen). am schnöden mammon geht ein stück kultur zugrunde. mal wieder, schon wieder. da bleibt uns nur, die bar leer zu saufen und wehmütige erinnerungen an ein stück stuttgart zu behalten…

  14. says: HexMex

    @sith.vicious
    Der „alte“ Weiß hat das Cafe Weiß nicht an Ranko vermietet. Sondern der „Junior“ hat es 6 Wochen nach dem Tod vom Heinz Weiß an Ranko verpachtet.
    Der alte Heinz Weiß wäre niemals einverstanden gewesen, Ranko das Cafe Weiß zu überlassen ! Der konnte den nicht ab.

  15. says: Bernhard Weiß

    Hallo zusammen,
    Ranko hört auf eigenen Wunsch auf. Es geht aber definitiv nicht um Ranko oder mich, sondern an Erste Stelle sind es die Kunden des Café Weiß und natürlich das Café Weiß. Unsere lieben Gäste werden sich freuen, dass das Café Weiß wie ich bereits erwähnt hatte im Sinne meines Großvaters und Vater weitergeführt wird. Es haben so viele Kunden über welchen Kanälen auch immer mit mir Kontakt aufgenommen und freuen sich dass das Café Weiß noch viele viele Jahre weiterleben wird. Meine Frau hat mir zwei Söhne geschenkt, und diese sind auch noch da wenn wir / ich nicht mehr Mal sind / bin. Also, meine liebe Gäste, lieber Großvater und Vater…das Café Weiß lebt weiter.
    Alles andere welches die Zukunft des Café Weiß angeht, Unwahrheiten, Behauptungen, Gerüchte die von bestimmten Personen in die Welt gesetzt worden sind, sind nur heiße Luft oder pure Science Fiction.
    Viele Grüße,
    Bernhard

  16. says: Björn

    Micha, es haben doch immer nur die Mädels das Schokispiel spielen dürfen. Hast du Fuchs die ganzen Jahre etwa dein Geschlecht geheimgehalten (!) oder ein Sonderarrangement mit Rango vereinbart? Nach dem Motto „wenn ich schon für 5 Wein zahl, obwohl ich 1000%ig nur 3 hatte, krieg ich wenigstens Schokolade“? Ich musste mir die Schokolade jedenfalls immer mit teuer Trinkgeld erkaufen. Ab einem Euro gabs auch für die Herren ein Täfelchen.

  17. says: der fantastische herr fuchs

    wird in dem neuen cafe weiss weiterhin geraucht werden?
    es ist nun mal so dass das cafe weiss ranko ist und andersherum. ganz gleich wer das weiss pachtet, es wird dann nicht das kultige weiss mehr sein. es ist dann nur eins der lokale am hans-im-glück…

  18. says: der Felix

    Hat sich eigentlich irgendwer mal durch die Fantastilliarden Fotos durchgeklickt, die die SZ immer online bringt?
    Aber deshalb heisst’s wahrscheinlich auch »Fotostrecke«

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