Brennende Häuser: Deutschland im Winter 2016

Kessel_werte

Ich habe in Sachsen mal ein Schild gesehen. Darauf stand: „Sachsen, wo die hübschen Mädchen an Bäumen wachsen“. Mit etwas Humor ist das eine freigeistige Bagatellisierung der Biologie, mit etwas Zynismus: ein frommer Wunsch. Der Platz am Ast scheint allerdings längst geräumt, damit man besser Ausländer aufhängen kann. Armlänge und so. An solchen Bäumen wächst nichts mehr außer Hass.

„Das sind keine Menschen, die so etwas tun. Das sind Verbrecher. Widerlich und abscheulich ist das“, sagte Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich – als grobe Zusammenfassung vom vergangenen Wochenende in Sachsen.

Einige Bürger nutzten die arbeitsfreie Zeit offensichtlich dazu, in Clausnitz Flüchtlinge in Bussen zu bedrohen oder die Feuerwehr in Bautzen dabei zu behindern, ein brennendes Haus zu löschen, in das eigentlich Flüchtlinge einziehen sollten. Andere standen lediglich daneben und applaudierten.

Man wird ja wohl noch klatschen dürfen.

Tillichs Einschätzung lässt sich dennoch leicht widerlegen: Das sind Menschen, alle. Man erkennt das u.a. daran, dass man sich vor dem Strafgesetz zu verantworten hätte, wenn man hupend mit einem Sattelschlepper in diesen Mob reinfährt oder wahllos ein paar Leute aus dem illustren Kreis erschießt und dabei „Ich bin auch das Volk“ brüllt. Das ist nicht erlaubt. Auch wenn „Bauchipedia“ das anders auslegen würde.

Die Chancen stehen auch schlecht auf moralische Schützenhilfe von der sächsischen Landespolizei. Die sind noch damit beschäftigt, erörtern zu lassen, in welcher Art und Weise die Flüchtlinge in Clausnitz den anwesenden Mob provoziert hätten und die Masse damit erst aufgestachelt hätten.

Hier gibt es leider keine Pointe, außer vielleicht der, dass die Polizei in Sachsen die Sache mit „dein Freund und Helfer“ sehr subjektiv angeht. Mit ähnlicher Raison könnte man auch untersuchen lassen, inwiefern die Fotzen von Köln auch ein bisschen selbst Schuld daran sind, dass sie an Silvester eher kein „Gutes Neues!“ hatten.

Jetzt mit dem Finger nach Sachsen zu zeigen ist leider auch keine Lösung. Denn in Sachsen sieht das keiner – und selbst wenn: Derartige Musterbürger sind in der Mehrzahl lediglich anfällig für Zeigefinger, die auf andere zeigen.

Aber „Psst!“ Irgendwo in der Nachbarschaft lacht gerade ein AfD-Politiker, -Mitglied und -Wähler. Und nebenan sagt einer sagt, man müsse die Ängste der Bürger auch stückweit verstehen. Irgendwo bemüht sich gerade auch wieder ein Lokalpolitiker, die Agenda der „Besorgten“ zu Nutze zu machen, mit etwas mit Febreze drüberzuwedeln und einen Klostein dranzuhängen, damit es nicht ganz so ekelhaft stinkt.

Und dann gibt’s noch Guido Wolf, der knuffige CDU-Spitzenkandidat in Baden-Württemberg. Er versucht es ganz subtil, hart an der Grenze zwischen Irrsinn, Verzweiflung und Dadaismus: „Werte bewahren. Wer zu uns kommt, soll sich anpassen.“ Der inhaltsfreie Quatsch hängt nicht in Sachsen, sondern irgendwo in der Nachbarschaft.

„Wieso inhaltsfrei, Du linksversifftes Arschloch!111!???ßß?“

Ah, Schuldigung: „Werte“ sind der Joker im Besorgten-Bullshit-Bingo. Wird immer gerne gebrüllt. Auch gerne von denen, die allgemeine Verschwulung befürchten und die Grundrechte anderer Menschen einschränken wollen. Wir können uns doch nicht mal vor uns selbst oder im Freundeskreis auf Werte einigen – beziehungsweise unterscheiden selten zwischen „meine Meinung !!11!“  und „Werte“.

Guido Wolf springt mitten rein, wie ein quietschvergnügtes Kind ins Bällebad und wartet darauf, später von potentiellen AfD-Wählern abgeholt zu werden.

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4 Comments

  1. says: Setzer

    Ah, super. Im Heute Journal vergleicht Stanislaw Tillich die „Proteste“ in Sachsen mit „Stuttgart 21“ und Guido Wolf versucht den Tourismus in Deutschland zu regulieren. Wahrscheinlich werden sich beide bald gegenseitig heiraten.

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