Unsere Leser und wir: Philgrooves

Er fällt seit langer Zeit durch überwiegend kluge Kommentare auf, hat einst unserer Seite den Titel „Party- und Turnschuh-Blog“ verpasst, den wir gerne angenommen haben, höchste Zeit also Philgrooves prominent vorzustellen. Phil ist Mitglied beim Stuttgarter Hackerspace Shackspace. Der Verein muss momentan nach neuen Räumlichkeiten suchen.

Wer ist und was macht Philgrooves?

Ich kam 1984 raus und habe die ersten 20 Jahre in meiner Heimatstadt Leipzig verbracht. Leipzig ist natürlich zehnmal cooler als Stuttgart (eigentlich elfmal, die Erfindung der Montagsdemo zählt doppelt!). Aber da ich nach sechs Monaten Bundeswehr in BaWü die Ecke sowieso schon kannte, habe ich hier dann 2004 auch meine Ausbildung zum Fachinformatiker angefangen. Seitdem wohne ich undercover (ich spreche praktisch kein Sächsisch) in Stuttgart und arbeite als Netzwerkspezialist bei einem großen IT-Dienstleister in der Finanzbranche.

Man macht sich gerne von kommentarfreudigen Lesern ein Bild. Wenn ich behaupte, Philgrooves ist ein stark Politik interessierter Computerchecker, inwieweit trifft das dann zu?

Das trifft’s schonmal ganz gut. Und mit dem Begriff der Netzpolitik gibt es seit einiger Zeit ja sogar einen Themenbereich der beides verbindet. Ich bin zum Glück gerade noch früh genug auf die Welt gekommen um die Entstehung von Internet und WWW mitzuerleben. Das war ja am Anfang eine absolute Insidernummer, und heute gehören Notebook und Browser zum Leben dazu wie Partys und Turnschuhe. Und diese Entwicklung erreicht nun langsam auch die höchste Ebene unserer Gesellschaft, die Politik.

Den wachsenden Einfluss der Menschen durch das Internet auf die Politik finde ich sehr interessant. Dass Politik für jeden interessant und auch gestaltbar sein kann, muss man ja gerade hier in Stuttgart niemandem mehr erzählen.

Du bist beim Stuttgarter „Computerclub“ shackspace aktiv (oder hast sogar den mitbegründet?). Was ist das genau, was macht ihr da, was passiert da?

Ich bin vor fast einem Jahr auf das Projekt shackspace gestoßen, genau an dem Tag als der Verein shack e.V. gegründet wurde (da war der Spaß allerdings gerade vorbei, ich bin also kein Gründungsmitglied). Beim ersten Treffen mit den Mitgliedern wurde mir erklärt, dass es sich dabei um den Hackerspace Stuttgart handelt.

Hackerspaces sind eine deutsche Erfindung. Es sind Orte die jedem interessierten Besucher Platz, Strom, Internet, Getränke, Werkzeuge, Spezialgeräte und alle möglichen anderen Dinge bieten, die man alleine zu Hause vielleicht nicht hat. Das Konzept sieht vor, dass Hackerspaces 24/7 rund um die Uhr zugänglich sind. Vor allem sind diese Orte voll von anderen Menschen, die gemeinsam an interessanten Projekten werkeln und ihr Wissen gerne teilen.

Da die Hackerspace-Bewegung aus dem Umfeld des Chaos Computer Club stammt, beschäftigen sich die Besucher hauptsächlich mit Projekten aus dem Computer- und Elektronikbereich – allerdings längst nicht ausschließlich. Wenn du vorher noch nie den Arbeitsspeicher deines Notebooks gewechselt hast, dann kannst du am Ende deines Tages in einem Hackerspace außerdem noch dein eigenes Videospiel zusammenlöten, hast einen Crashkurs in Reverse Graffiti erhalten und weißt wie du ein Erfrischungsgetränk selbst kreierst.

Den shack e.V. gibts aber nicht nur zur Selbstbespaßung. Als gemeinnütziger Verein wollen wir uns auch in der Gesellschaft nützlich machen. Das machen wir einerseits durch Jugendarbeit und Projekte gemeinsam mit Einrichtungen der Stadt Stuttgart. Auf der anderen Seite hat sich in unserem ersten Jahr herausgestellt, dass sich der shackspace zu einer Art Knotenpunkt entwickelt, der viele andere Interessengruppen im IT-Bereich aus dem Raum Stuttgart verbindet. Gruppen, die keine eigenen Räume haben, stellen wir unseren Platz zur Verfügung, mal für Vorträge und mal für Partys.

Wie hoch ist der „Nerd-Faktor“ oder ist das nur ein Klischee? Gibt ja sogar Mädchen wie ich gesehen habe.

Je nachdem wann man im shackspace ist und mit wem man zu tun hat, pendelt der Nerd-Faktor zwischen 0 und über 9000. Ich kann mich dort mit Leuten über mein Fitness-Programm, über Musikinstrumente oder über Kochrezepte unterhalten (die hochwertige Küchenausrüstung dürfen Neulinge nicht ohne vorheriges Training durch das Awesome Cooking Team benutzen!).

Ich kann aber auch bei nem Stück Pizza und ein paar Retro-Konsolengames ordentlich abnerden. Wir haben mittlerweile über 80 Mitglieder, da gibts sehr viele verschiedene Interessen über die man sich mit anderen austauschen kann. Mädels haben wir allerdings noch deutlich zu wenige, wir hoffen dass in den nächsten Jahren mit mehr Platz und einem breiten Aktionsspektrum verbessern zu können.

Nun müsst ihr auch wegen S21 eure Location am Nordbahnhhof Ende März räumen und sucht dringend Räumlichkeiten.

Genau wie bei den Waggons steht auch unser Gebäude am Nordbahnhof wegen Stuttgart21 zum Abriss, und wir wurden zum 31. März gekündigt. Kreative Locations wie das Nordbahnhofgelände rund um die Wagenhallen sind in Stuttgart kaum zu finden, weshalb wir derzeit alles besichtigen was vier Wände und ein Dach hat.

Gerade in den letzten Tagen haben wir eine Menge Angebote bekommen, und es sieht so aus als könnte doch noch etwas erschwingliches dabei sein. Als Verein, der von seinen (für viele Mitglieder ermäßigten) Beiträgen lebt, ist Geld immer ein schwieriges Thema und Stuttgart ist ein teures Pflaster. Wir haben deshalb zum Jahreswechsel einen Spendenaufruf gestartet um etwas Geld für die Umzugs- und Neueinrichtungskosten zusammen zu bekommen.

Sehe ich das eigentlich richtig, dass sich der Phil auch als DJ agiert? Hab zumindest mal einen Mix auf Soundcloud entdeckt.

Ich mag zusammengemixte Musik lieber als einzelne Stücke die man nur mit Unterbrechungen hören kann. Darum habe ich vor vielen Jahren mal damit angefangen mir anzuschauen, wie DJs das machen und hab mir selber Mixes gebaut mit der Musik, die mir gefällt.

Zunächst noch ganz klassisch mit zwei (mittlerweile nicht mehr produzierten) 1210ern und ner Kiste voll teurem Vinyl, später mit CD-Playern und heutzutage natürlich auch größtenteils digital ausgerüstet. Solange sich als Computerchecker aber noch Geld verdienen lässt, wird dieses Hobby wahrscheinlich nicht über den Status der Sonntagnachmittag-Beschäftigung und gelegentlicher Partybeschallung hinauskommen.

Welchen Kessel-Beitrag würdest Du Dir in naher Zukunft wünschen?

Einen Beitrag über die neue Location des shackspace, wenn der Umzug gelungen ist. 🙂

Stuttgart ist für mich…

… das gallische Dorf in Deutschland. Ich war über den Stuttgart21-Protest seit dem letzten Sommer schon etwas überrascht und ich habe seitdem etwas mehr Respekt vor den Einwohnern dieser Stadt. Wenn mich jemand gefragt hätte, in welcher Stadt sich die Bürger zuerst in der immer größer werdende Unzufriedenheit gegen die Politik erheben, hätte ich Berlin, Hamburg oder Leipzig (!) gesagt – aber niemalsnicht Stuttgart.

Auch wenn ich den Protest gegen das Projekt nicht ganz teile gehört eine Menge Motivation dazu, sich in einer so wohlhabenden Region immer und immer wieder friedlich auf die Straße zu begeben und zu demonstrieren. Und mein Respekt dafür wird noch wachsen, wenn diese engagierte Beteiligung an der Demokratie in Stuttgart auch in Zukunft anhält.

shackspace.de

rescue.shackspace.de

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9 Comments

  1. says: No 2da Ra

    Na also dein Statement unter „Stuttgart ist für mich….“ trifft ja wohl mal den Nagel auf den Kopf! Cool guy….Drück euch die Daumen für die neue Location!

  2. says: saarländer

    Witzig durch diese Kolumne über so was wie den Shackspace (Gerne auch noch mal mehr davon) zu erfahren. Und der „Stuttgart ist für mich…“ Antwort kann ich mich als Zugereister auch nur anschliessen : )

  3. says: afro-dieter

    Bitte sagt mir, dass alle vom Shackspace voll auf „Big Bang-Theory“ abfahren!? 🙂
    Schönes Interview / Werbekampagne für interessante Dinge und Menschen, hoffe Ihr findet bald euren verdienten Platz!

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