Muss man immer alles kennen und wissen? Über frühe und späte Vögel

Das neue re.flect ist draußen und bietet wie immer viel für kein Geld, darunter ein Interview mit Gentleman, massig Mode, viel Nightlife und anderen Kram. Wir haben auch wieder eine Seite beigesteuert, dieses Mal ein altes Thema, dass mich seit Monaten beschäftigt.

Jetzt ist der Laden komplett. Als letzter Erdenbürger überhaupt ist mein alter Freund Kutmaster „Da-melde-ich-mich-nie-an!“ Krupa bei Facebook eingetreten. Seine unendliche Freundschaft hat er mir somit bewiesen, dass er mich als Erster addete (gibt’s eigentlich das Wort addete?).

Ich bin fast vom Stuhl gefallen, als die Anfrage auf meinem Profil aufblinkte. Musste natürlich gleich eine Statusmeldung verfassen von wegen, Leute, hört, hört, seine Majestät höchstpersönlich kehrt nach langer Schlacht gegen Soziale Netzwerke als geschlagener König in unsere, jetzt auch seine, Burg zurück.

Auf die Frage warum gerade ER, der alte Piratenpartei-Wähler und Überwachungsparanoiker, Mark Zuckerberg seine Daten gab, konnte mir der Krupa nicht so wirklich beantworten.

Ihm wäre wohl langweilig gewesen, außerdem sei es ja doch ganz witzig, so zwischen Farmville und Mafia Wars, aber wer weiß, vielleicht ist er bald wieder raus aus Blau-Weiß. Außerdem meinte er, er habe das Internet bis dahin komplett durchgelesen.

Mal ganz abgesehen davon, dass unser Krupa wirklich viel weiss und noch mehr kann und kennt, hat er den letzten Satz leicht augenzwinkernd in den Chat geworfen.

Der verbirgt aber wiederum mein ganz persönliches, allerliebstes Rumhirn-Thema der letzten Monate: Was muss man alles kennen? Und was nicht? Beziehungsweise die Fragen aller Fragen: Was ist neu, was ist – voll! – alt? Ist es schlimm “Early Adopter” zu sein anstatt “Early Bird” oder andersherum gesehen sogar ein „Late Bird“?

Ab wann ist man heutzutage bei all der Informationsflut überhaupt ein Late Bird? Und ist dieses Thema selbst jetzt alt oder neu? Im Zweifelsfall, klar, alt, älter, am ältesten, aber ey, scheißegal!

Muss ich alles, jeden Clip, jeden Song, jedes Album sofort gesehen, gehört oder wenigstens wahrgenommen haben? Muss ich also geschätzte 300 Milliarden Youtube Videos kennen, wovon 100 Milliarden wahrscheinlich voll luschdig und total berühmt sind? „Das kennt doch jeder!“ Nein, muss ich nicht. Und überhaupt, wie soll das gehen?

Es ist wahrlich – definitiv keine neue Erkenntnis – die Zeit der Reizüberflutung und auch eine gute Zeit für Klugscheißer.

Auf kessel.TV posten wir gerne mal ein vermeintlich lustiges oder  interessantes Video, beziehungsweise ein funny Bildle oder sonstige Internet-Kuriositäten (CDU Filiale Musterstadt etc.). Und da kannste die Uhr nach stellen, dass spätestens nach zwei, drei Comments folgende Bemerkung fällt: „Oh Mann, ihr immer mit euren ollen Kamellen.“

Soll ich euch mal was sagen? Ich bekomme heute noch ab und zu den legendären Dodokay Star Wars auf schwäbisch Clip (Stichwort virales Marketing und so) via Megadatenimanhangmassenrundmail geschickt. „Ey Leute, guckt mal, Anhang, was ich gefunden habe, Star Wars wird schwäbisch, hihihi :)!“

Das ist ne olle Kamelle! Und schon wiederum eine falsche Aussage meinerseits: Es kann einfach sein, dass du einen paar Jahre alten Witz, egal wie gut bzw. bekannt er war, einfach nicht kennst und somit z.B. auch bis heute noch nicht den Oettinger englisch schwätza höra hasch. Das kann ohne Probleme an dir vorbei gehen.

Bezüglich dieser Diskussion heißt meine Lieblingsrubrik Musik. Als Musikliebhaber lechze ich immer nach neuem Material, informiere mich, durchforste Magazine, Webshops, Plattenläden und natürlich auch Ommi Internet.

Von den geschätzten drei Milliarden Musikblogs, wie ich mal geschrieben habe, distanziere mich längst wieder – machen mich wahnsinnig. Zwei, drei reichen, denn du kannst das eh nicht alles aufnehmen, beziehungsweise man kommt null hinterher alles durch zu forsten geschweige denn durchzuhören. Man ist ja schließlich, leider, kein Privatier.

Wie dem auch sei, neulich habe ich auf FB folgende Statusmeldung verfasst: „…hört jetzt endlich mal das neue Pantha Du Prince Album und schaut ob er die Begeisterung teilen kann….“

Mit Begeisterung meinte ich das einstimmige, hymnische Feedback der Spezialpresse, dass dem Herrn bezüglich seines neuen Albums entgegenwehte, wohlwissend also, dass Pantha Du Prince, ein von mir seit langem geschätzter melancholischer Elektroniker, seit ein paar Wochen sein neues Album draußen hat. Ich bin aber wiederum bislang einfach nicht dazukommen mein eigenes Urteil zu fällen, deswegen auch die Betonung auf „endlich mal“.

Daraufhin meinte mein alter FB-Freund Felix aka Maniac, sympathischer Kerle, gerne mal mit einer noch sympathischeren großen Klappe, derweil in Tel Aviv stationiert, Grüße an dieser Stelle: „Ich habe diverse Interviews gelesen. Du lauschst gerade dem einem Berg entrissenen, schwarzen Nachhall vergangener Ereignisse.“

Ja bummsdiekuh und fickdichdochinsknie Alta! Das Album wurde am 8. Februar veröffentlicht. Und ich bin halt „erst“ Mitte März dazu gekommen reinzuhören. Von einem vergangenen Ereignis kann meiner Meinung nach kaum eine Rede sein.

Manchmal wiederum bin auch sehr gerne ein Late Bird: „Sexy Bitch“ von David Guetta, vergewaltigt von Akon, kannte ich aufgrund Radioabstinenz zwei Monate lang überhaupt nicht, bis ich mich, nachdem ich so viel darüber gehört habe, mit diesem unsäglichen Lied für unseren Blog auseinandersetzte. Hätte ich das bloss gelassen, hätte mir einmal kotzen erspart.

Und außerdem, als Late Bird kann man immer noch was lernen, bestes Beispiel: Der Redaktionsleiter des re.flects hostet seit einigen Wochen die feini rausgschaffte Kolumne „Yo! KTV Raps“ auf unserem Blog. Ich kenne davon meist so gut wie nichts – aber entdecke jedes Mal viel tolles für mich.

I like Filterfunktion und so. Kessel das sind wir, tonnenweise Altbier. Lieber ein später Vogel als gar kein Vogel. Let´s get late.

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13 Comments

  1. says: busyasabee

    Da verweise ich doch mal auf das wunderbare Buch „Gefühltes Wissen“ vom noch wunderbareren Horst Evers, da steht in der Einleitung:
    „Die technischen Errungenschaften dieser Zeit ermöglichen uns innerhalb von Sekunden den Zugang zu einer unfassbaren Menge von Information. Tatsächlich ist diese Masse an Information so dermaßen unüberschaubar, daß es gar nicht mehr möglich ist, sich auch nur zu einem einzigen Teilthema wirklich komplett und umfassend zu informieren.
    Es geht immer nur noch darum, sich einen groben Überblick zu verschaffen, eine grundsätzliche Ahnung, eben genau soviel, bis man das Gefühl hat, man würde da jetzt etwas wissen.
    Aber dieses Gefühl etwas zu wissen, ist zumeist nicht von Dauer. In dem Moment, wo doch nochmal weitere Information hinzukommt, kann die schnell verwirren, und plötzlich steht man da hilflos wie zuvor.
    Ein Beispiel aus dem Alltag: Angenommen, man hat ein Auto. Ein Auto, das ganz wunderbar und zuverlässig fährt, man ist sehr glücklich damit. Bis zu dem Moment, wo einmal ein Fachmann draufguckt, ob auch wirklich alles in Ordnung ist. Und dieser Fachmann wird sehr schnell feststellen, daß gar nichts in Ordnung ist.
    Dieses Beispiel läßt sich ohne weiteres aufs Leben übertragen. Man kann also gesund und froh durchs Leben gehen, aber letztendlich nur, weil einem die nötige Fachkenntnis fehlte, um zu wissen, wie furchtbar das alles ist.
    Genau diese Fachkenntnis zu vermeiden ist eine der großen Herausforderungen dieser Zeit. Wissen also nur bis zu dem Punkt anzuhäufen, wo man das Gefühl hat, jetzt wüßte man etwas – und dann aber auch sofort aufzuhören.“ Und DAS ist eben die Kunst 😀

  2. says: Glenn

    „DAS re.flect“. Soso, ich werde weiterhin die re.flect weiblich ansprechen, auch wenn ich wegen DEM „re.flect Magazin“ wahrscheinlich falsch liege :-).

  3. says: derPaddo

    Bei dem ganzen Bullshit was auf den Markt geworfen bzw. geprügelt wird, ist es doch teilweise mehr als vorteilhaft ein „late Bird zu sein“.

    Bei Sachen, über welche man auch noch nach einigen Wochen/Monaten/Jahren spricht, hat man dann zwar auch noch eine 50/50 Chance – „Goil! oder so scheisse dass es keiner vergessen will“ aber der Markt hat sich bis dahin doch meist wieder /grob/ selbstgereinigt.

  4. says: the xx

    DANKE für diesen Artikel. Ich oute mich als Reizüberflutungsopfer. Manchmal hilft den Kasten Laptop einfach mal auszuschalten. Was mich am meisten nervt ist das Battle bei Facebook oder Twitter, wer den neuesten Shice halt zuerst entdeckt hat. Mir doch egal. Aber trotzdem danke ich dem Internet für unendlich geile Musikblogs mit Geheimtipps vom super duper Indie-Indie Künstler aus Hinterdupfingen. Das ist super!
    Und zum neuen (alten) Pantha du Prince Album. Das ist so großartig. Und wird noch viel großartiger wenn man sich ZEIT dafür nimmt. Dann kann man auch das schwarze Rauschen hören!
    Schließe mich meinem Vorredner an: word.

  5. says: Dennis

    Ja wie schön ist das denn? Ich habe so ein Gefühl, dass ich früher immer beim ouk lesen bekommen habe. Man, das ist jetzt auch schon wieder lang her. Und wie oft endeten Abende in Rezension, Annexion oder Fortführung der darin beschriebenen Gedanken, die heute fast schon als singular empfunden werden. Die Konzentration auf die Interaktion Mensch-Musik kommt einem fast schon ignorant vor, aber da regierte auch noch der Teufel, und es interessierte keinen deiwel, ob der devil aussprechen konnte.
    Mehr davon…..wenn ich mal Zeit habe der Informationsmasse, die im google-reader auf mich einprasselt, zu entrinnen werde ich mir auf http://www.ouk.de die alten Ausgaben mal wieder gönnen.

  6. says: chris

    ….fügte mich als erstes hinzu (freundesliste)

    http://de.wikipedia.org/wiki/Anglizismus schrottet andere sprachen. auch deutsch. eigentlich schade.

    deutsch ist ja so eine tolle sprache. versuch mal auf französisch sauerstoffflaschenlager zusagen. schon alleine die tatsache das wir mit unserer deutschen sprache die möglichkeit haben wörter zu bilden, ist der helle wahnsinn.
    ich war in deutsch immer eine niete, grammatik und rechtschreibung hab ich bis heute nicht im griff, aber ich finde deutsch toll. für nen ausländer mögen unsere artikel etwas seltsam sein… warum, wann und wieso der die das eingesetzt wird scheint wohl schwer zu sein aber es ist halt auch ne wunderebare eigenschaft.

    naja dann hab ich jetzt das re.flect mal gedownloadet und adde es mal zu meinen anderen pdf docs.

    voll geil. weiter so…

    //Edit: Fickipedia hat mich gerade aufgeklärt.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Denglisch

    Anglizismus schrottet nicht unsere sprache, sondern Denglisch.

    SRY!

  7. says: Felix die Katz

    LOL man das hast du völlig falsch vestanden ^^ Er hat Nachhall von Erdbeben im Gebirge aufgenommen und diese als Samples verwendet. Das war wortwörtlich gemeint…. alter Hater du 😀

    Quote:
    Von Erdrutsch to: hörbare Antimaterie
    Anfang 19. Jahrhundert, Schweizer Voralpen. Ein Erdrutsch begräbt ein
    ganzes Dorf unter sich. Die Sti…lle nachher ist unheimlich, trügerisch,
    eloquent, schwarz. Fast zweihundert Jahre später spüren Kontaktmikrofone
    dem Hintergrundrauschen der Katastrophe nach, den Klängen des Gesteins,
    des Waldes, der sich auf dem abgerutschten Hang zur Ruhe gesetzt hat.Fotostrecke:Pantha Du
    Prince-Intro-Fotoshooting Es sind die
    Mikrofone von Hendrik Weber, lange Bassist der Hamburger Band Stella,
    heute als Mitbetreiber des House-Labels Dial in Berlin und Paris zu
    Hause.

  8. says: martin

    fett felix, und ich dachte du wolltest mit mit gekonnter wortwahl vermitteln, dass ich alten scheiß höre, super 🙂

    stand das in der intro, wenn ich das richtig sehe? lese ich nicht

  9. says: Cathrin

    Meine Eltern haben mir zu Ostern ein super Buch (Sachbuch) geschenkt, „Der Schwarze Schwan“ von Nassim Nicholas Taleb, da geht’s verkürzt gesagt darum, dass die tollsten Sachen eh immer die sind, die man nicht weißt. Vorne fetter Bestseller-Bebber drauf und Top-Kritiken von FAZ und New York Times -> kennt wahrscheinlich schon wieder jeder außer mir 😉 Aber liest sich super, bin jetzt auf Seite 114 und mag’s kaum aus der Hand legen. Und nicht beirren lassen vom irgendwie komischen Titel.

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