Reise durch mehrere Bundesländer: Radwandern am Limes

Nach einem grandiosen Sommer in Vaihingen 2019 war ich dieses Jahr durchaus gewillt, mal wieder weiter weg zu fahren. Aber es ist Pandemie, wir bleiben (fast) zuhause und sowieso kann man aktuell mit dem VVS Abo umsonst durch ganz Baden-Württemberg fahren, so dass der Radius schnell gesteckt ist.

Es sollte aber keine Bahnfahrt werden, sondern eine Radwanderung. Nun ist aber für den Bodensee und alle wirklich touristischen Radwege die Menschen-Massen-Apokalypse ausgerufen worden, der ADFC – Allgemeiner Deutscher Fahrrad Club – rät zum #abseitsradeln. Also was tun?

Der Spiegel gibt mit diesem Artikel den entscheidenden Hinweis: Die Römer haben vor 2000 Jahren mal ein L auf eine Landkarte von Rheinland-Pfalz, nach Hessen, durch BW und Bayern gemalt und damit den Deutschen Limes-Radweg erfunden.

„Die Route durch Baden-Württemberg führt über Höhenzüge und Hochebenen, kreuzt die tief eingeschnittenen Täler der Zwillingsflüsse Jagst und Kocher und führt durch Remstal und Kochertal. Anspruchsvolle Strecken wechseln sich ab mit eher flachen Abschnitten.“

Wir entscheiden uns für Abfahrt ab Osterburken (das ist im Odenwald), schaffen uns im Römermuseum erstmal die historischen Basics ran und einen Zwetschgenkuchen drauf, ohne zu ahnen, dass direkt im Anschluss der erste anspruchsvolle Anstieg ansteht – weil die Römer eben ohne Rücksicht auf unsere Radlerwaden eine gerade Linie durchs Land gezogen haben.

Marienplatz-Dutt, aber 100 und den Römern war die Frisur nicht ganz geheuer

Ich bin Pedelec-Fahrerin und schalte einfach auf Turbo, mein Freund strampelt unermüdlich. Bei echt italienischen Temperaturen passieren wir die erste Wachturm-Replique (es gibt entlang der Strecke alle Versionen von wiederaufgebaut bis „Steinhaufen“) und kurz nach dem ersten Frisch-Milch-Automaten platzt ziemlich spektakulär ein Hinterreifen.

Wachtposten WP 08/32 „Förstlein“

Mitten auf der Streuobstwiese wird geflickt und dann reicht es an dem Tag nur noch bis Jagsthausen – Home of Götz von Berlichingen, der mit der eisernen Faust und dem „Arsche“.

Jagst am Abend

Über die Gewitter-Nacht sind wir in der Vorburg verschanzt, am nächsten Tag geht’s wieder gefühlt die glatten Radweg-Wände hoch und wir schummeln lieber ein bisschen und nehmen den Weg durchs Ohrntal nach Öhringen.

Die Ausschilderung ist überall gut, ein paar von den Limes-Radweg-Schildern könnten mal wieder erneuert werden, zur Sicherheit bleibt die Karte auf dem Smartphone am Lenker immer offen. Es gibt ständig was Neues zu sehen,

Der nächste „Sight“ Öhringen ist ein charmanter Hohenlohe-Kracher. Beim Mittagessen auf dem Marktplatz werden am Nebentisch Interna aus dem Leben des Landrats besprochen und dass Wohnungen ohne offene Küchen inakzeptabel sind. Unternehmergattinen (ich behaupte es gibt hier mehr als am Killesberg) lassen sich vom Kellner jeden Wunsch von den Augen ablesen.

Marktplatz Öhringen mit Ritter statt Römer

Das zeigt sich ohnehin auf der ganzen Tour: Hier ist „White Trash, aber mit viel Geld“-Country. Die Vorgärten, an denen wir vorbeiradeln – der größte Teil der Strecke ist aber außerhalb der Ortschaften – sprechen ihre eigene Sprache.

Gärten des Grauens, vollgestopft mit abertausenden Dekoartikeln, riesige geschnitzte Eulen und Braunbären, ganze Blockhäuser fürs Kanada-Feeling, „Irgendwas zu verkaufen“-Theken, monströse Garagen mit diesen Industrie-Lamellen-Toren. Davor Pick-up-Trucks, so groß, dass man wirklich keinen Parkplatz mehr dafür findet. Fünfjährige, die Moto-Cross-Motorräder abkärchern. Die Typen sehen alle aus, wie Fred Durst als er noch Britney „gedatet“ hat und die Frauen gehen zu „Sabines permanente Haarentfernung“ [Im Logo irgendwas mit Herzen].

Es ist alles ein bisschen befremdlich und ich bete heimlich, dass vielleicht die Ausstrahlung von DMAX für dieses Gebiet vorübergehend eingestellt wird und Insta mal zwei, drei Jahre down sein könnte?

Symbolbild ÖPNV

Dafür kommt aber garantiert den ganzen Tag außer dem Schulbus kein öffentliches Verkehrsmittel vorbei, mit dem man mal in den vermeintlich von materiellen Wünschen befreiten Stuttgarter-Westen fahren könnte, um sich dort zu Fragen, was man mit dem ganzen Zeug eigentlich will?

Ja, stimmt schon, ich habe dafür meinen kompletten Hausstand auf dem Rad dabei. Abends wird – nach dem Schwimmen im Buchhorner See bei Pfedelbach – gezeltet. Die Mädchen neben uns auf der Zeltwiese kommen aus Esslingen und sagen „Wir müssen auch mal an den Atlantik fahren, das sah alles so schön aus, was die da gepostet haben.“

Und was soll ich sagen, ich poste (und blogge) jetzt eben vom Limes-Radweg und dann müsst ihr da auch mal hin.

Was man auf den Bildern nicht sieht: Das Limes-Bier schmeckt, der Sternenhimmel ist so beeindruckend, dass man ihn mit dem Smartphone nicht fotografieren kann.

Authentische Nachbildung des schnurgeraden Limesverlaufs mit regionalen Getränken

Am nächsten Tag geht es durch den Welzheimer Wald. Zwischen Mainhardt und Murrhardt liegen Flyer fürs Belinda aus: Das coronakonforme Sommerprogramm heißt „Kultur im Kessel“. Sensationell!

Die Autoposer-Szene rund um den Aichstruter See ist leider sehr „Theo“, die Hitze an dem Tag macht es nicht besser, kurz vorm Nervenzusammenbruch gibt eine freundliche Joggerin den rettenden Hinweis auf das „Lamm“ an der übernächsten Kreuzung und der Tag endet doch noch unter der Dusche.

Leider haben ganz viele Gasthöfe an der Route die vielen Jahre in denen Pauschaltourismus im Ausland wichtiger war, als Reisen im Ländle, nicht gut überstanden und fallen langsam auseinander. Vielleicht gibt es jetzt mit Corona wieder mehr Menschen, die hier Urlaub machen werden? Zu wünschen wäre es den ganzen schönen Dörfern (aber so ein Hotel-Restaurant ist eben auch eine Lebensaufgabe und ich tät’s auch nicht machen wollen).

Auch ein Knochenjob: Pommes machen an einem der Badeseen da oben. Nur kurz schwimmen ist einfacher und schön erfrischend, wir nutzen das aus und biegen dann – wegen der Berge – auf den Leintalradweg ab. Hier ist definitiv unter der Woche niemand unterwegs und die Räder rollen quasi von alleine immer weiter Richtung Aalen (Sorry, Lorch und Schwäbisch Gmünd).

New York, Rio, Aalen

Bei der Ankunft ist die AA-Altstadt abends proppenvoll (…und autofrei! Frag mich, wo ich da parken soll? Ich glaube, ich kauf da nix mehr!!!). Das Dolce Vita unterm Spionle ist in vollem Gange. In den Cafés gibt es wieder ganz urbane Bowls und Smoothies, Butterbrezel und Spaghettieis steht aber auch noch auf der Karte.

Das ganz hervorragende Limesmuseum fasst am letzten Ferientag die bewältigte Strecke nochmal hervorragend zusammen. Schöne Szene aus der Ausstellung:

Mit einem lauten „Des isch eine Fußgänger-Zone dahande“ schickt uns der missmutige Metal-Mike dann später aus der Stadt. Aber weißt du was, Mike, es war so schön bis hier hin, ich habe über dich gelacht, als du es nicht mehr gehört hast! So!

Der Regionalzug braucht eine knappe Stunde zurück nach Stuttgart. Der Limesradweg hat insgesamt eine Länge von 818 Kilometern.

Join the Conversation

4 Comments

Leave a comment
Leave a comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert