Wegen Brandschutz: Stuttgarter Fernsehturm geschlossen – eine Hommage

Neulich habe ich es billigend in Kauf genommen, dass man mich für einen angehenden Bio-Hipster hält. Nur um nicht sagen zu müssen: „Jongr, ich hab‘ einen stattlichen Pickel an der Backe, wenn ich mich rasiere, wird das in einem verfluchten Blutbad enden.“

Am Marienplatz hat man deshalb aber keine groß angelegten Konsequenzen zu befürchten. Fast-Vollbärtchen geht da klar. Die Gefahr, über den nachlässig geparkten Kinderwagen einer nachhaltigen Kleinfamilie zu stolpern, ist dort weit größer. Hab’s auch gleich gemacht, weil ich halt doof zum Fernsehturm hochgeschaut habe. Runtergucken geht da ja gerade nicht mehr. hihi.

Joe Bauer sagte zwar mal, es sei durchaus wichtig, auch mal nach oben zu schauen, aber letztendlich war die gute, alte „Hansguckindieluft“-Geschichte auch irgendwie nicht aus selbiger gegriffen. „Klong“ hat’s gemacht und eine Übermutter schaute mich derart vorwurfsvoll an, dass ich tatsächlich mit dem Schlimmsten rechnen musste: Hausarrest und keinen Nachtisch, zum Beispiel. „Yolo“ geht anders.

Dabei ist mir der Fernsehturm ziemlich einerlei. Ich hab’s nicht so mit der Aussicht. Mir wird schnell langweilig. Das ist wie ans Meer fahren: Ich schaue auf die Wellen, sage „Hach!“ und ungefähr zwei Minuten später starre ich schon wieder meine Schuhe an und denke: „Ja, voll schön. Das war jetzt also der Blick aufs Meer. Und jetzt?“ Reinspringen und Schwimmen ist da die einzige Option, den Spaß wenigstens noch zu Fun auszubauen.

Wenn ich vom Fernsehturm springe, hört der Spaß wiederum recht schnell auf. Das vermute ich zumindest. Ich kenne nämlich niemanden, der je vom Fernsehturm gesprungen ist und danach noch irgendetwas sagte. Und ich meine nicht einmal so was wie: „Voll gut. Mach‘ ich jetzt jeden Mittwoch.“ Die meisten Leute, die von hohen Türmen springen, sind längst durch mit allem. Besonders mit dem Reden.

Dass der Fernsehturm wegen nachlässigem Brandschutz geschlossen wurde, bereitet mir da wenig Kopfschmerzen. Ich finde das lediglich schade für die Leute, die dort viel Zeit und auch Geld in die Gastronomie investiert haben. Die stehen jetzt da wie einer, der zwar eine Badehose hat, aber halt weit und breit kein Wasser sieht. Die ebenerdige Gastronomie ist dort übrigens auch weiterhin geöffnet.

Wegen der Schließung Fernsehturms jetzt aber ein „Offen bleiben“-Fass auf zu machen, halte ich für etwas überstürzt. Auch die Bestürzung. Und das Getue, als müsste da nun ganz schnell eine internationale Taskforce her, um weiteren Schaden von Gott, der Welt und Stuttgart abzuwenden auch.

Ich glaube auch, dass Fritz Kuhn tatsächlich Wichtigeres zu tun haben sollte. Ebenso CDU-Fraktionsvorsitzende wie Alexander Kotz, die versuchen, Fritz Kuhn da jetzt einen Strick aus gar nix zu drehen. Zumal das genau die Leute sind, die im Normalfall medienwirksam Konsequenzen fordern, wenn da oben tatsächlich mal Menschen im Feuer zu schaden kommen sollten und der OB tatsächlich über etwaige Brandschutzmängel Bescheid gewusst hätte.

Sagen wir’s wie der Bruno Labbadia damals: das darf man alles nicht so hochsterilisieren. Der Turm steht doch noch, scheint auch in naher Zukunft nicht umzufallen und bringt somit fast alles mit, was Wahrzeichen gemeinhin so drauf haben sollten: Sie sind halt da. Das ist das gute an Wahrzeichen, die müssen eigentlich gar nix machen. Nur da sein. Einfach mal Franz Beckenbauer fragen. Der kennt das.

Etwas irritiert bin ich höchstens, dass jetzt nach über 50 Jahren auffällt, dass das Thema Brandschutz da oben, eher so mittelspitze behandelt wurde. Rein rechnerisch ändert das für mich trotzdem nichts. Außer, dass ich nun in mein Poesiealbum reinschreiben kann: „Schöne Scheiße, eben aufgefallen: ich war fünf mal mehr in Lebensgefahr als ich bislang dachte.“ So oft war ich ungefähr da oben.

Die Kosten für den Fernsehturm (4,2 Millionen Mark) amortisierten sich übrigens bereits nach fünf Jahren, besonders wegen des Besucherverkehrs. Eintritt zahlen, hoch, Kaffee trinken, runter und weg.

Ohne jetzt nachträglich spitzfindig werden zu wollen, können wir da nun durchaus festhalten: Die Stadt Stuttgart und der SDR haben es stillschweigend in Kauf genommen, dass ich da oben eine Stunde auf die Feuerwehr warten oder sogar verbrennen muss, nur damit sie die Piepen für den Turm wieder reinholen. Derartiges Geschäftspraktiken kenne ich eigentlich nur von der Deutschen Bank, Al Capone oder Crowdfunding.

Leid tut es mir ein bisschen um die Stuttgarter Kickers-Fans. Sie wurden schon wieder einer Option beraubt, da oben irgendetwas sehen zu können. Und sei es nur die Aussicht auf irgendwas, das mehr verspricht als Degerloch hält. Andererseits: Wieso wollen eigentlich alle immer irgendetwas anderes sehen? Voll toll: „Guck mal, da hinten ist Pforzheim“. Ich hoffe, es wird nie einem Menschen so schlecht gehen, dass ihn der vage Blick auf Karlsruhe oder Pforzheim aufmuntern muss.

Und dann fiel mir wieder ein, dass ich vor Jahrhunderten mal in Seattle mit dem Finger auf eine Infotafel am Fuße der Space Needle schnippte, dann mit dem Daumen auf mich selbst zeigte und sagte: „Däd’s währ ei kamm fromm!“.

Applaus gab’s trotzdem nicht, obwohl da in aufdringlich großen Lettern stand, das Wahrzeichen der Stadt Seattle, sei dem Vorbild des Fernsehturms in Stuttgart (Germany) nachempfunden – hier gibt es übrigens die Beweisfotos. Hab gleich eine eMail geschrieben: „Yo, better check your Brandschutz!“. Ich will mir schließlich nicht nachsagen lassen, Menschen mutwillig in Gefahr zu bringen.

Kuhn auch nicht: Heute und Donnerstag gibt’s jetzt erstmal Rauchzeichen. So wie Konklave nur halt mit weniger Gott und mehr „Jesses!“ – eine Brandschutzübung, beziehungsweise Tests, wie der Rauch sich dort verhält, wenn’s dann halt mal wirklich brennen sollte. 

Der wiederum soll dann sehr sichtbar sein. Aber bitte nicht bei der Feuerwehr sturmklingeln. Die sind bereits informiert. Wahrscheinlich laufe ich dann trotzdem vor lauter Aufregung wieder gegen einen Kinderwagen.

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11 Comments

  1. says: 0711er

    Schöner Artikel. In einem Punkt aber leider inhaltlich falsch:

    „Ich kenne nämlich niemanden, der je vom Fernsehturm gesprungen ist und danach noch irgendetwas sagte. Und ich meine nicht einmal so was wie: “Voll gut. Mach’ ich jetzt jeden Mittwoch.” Die meisten Leute, die von hohen Türmen springen, sind längst durch mit allem. Besonders mit dem Reden.“

    –> http://kessel.tv/fernsehturm-basejumper/

    😉

  2. says: martin

    jetzte, neues vom turm

    Gemeinsame Presseerklärung der Landeshauptstadt Stuttgart und des Südwestrundfunks
    Brandschutzgutachten an Landeshauptstadt Stuttgart übergeben

    SWR-Intendant Peter Boudgoust hat am Freitag, 21. Juni, im Rathaus das Sachverständigengutachten zum Brandschutz beim Fernsehturm an Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn übergeben.

    Das von der SWR Media Services beauftragte Büro Halfkann und Kirchner hat darin konkrete Maßnahmen vorgeschlagen, wie der Brandschutz weiter verbessert werden kann. Diese, so der SWR, zielen darauf ab, die Möglichkeit der Entstehung eines Brandes weiter zu reduzieren, eine mögliche Gefahr noch schneller zu erkennen und den Rauchabzug zu optimieren. Nach intensiven Prüfungen und Untersuchungen hat der Gutachter aus insgesamt zwölf möglichen und als Vorschläge eingereichten Maßnahmen vier als geeignet beurteilt, den Brandschutz zu erhöhen. Dies sind im Einzelnen:

    1. Kapselung der Kabelbrandlasten durch Einblasdämmung
    2. Optimierung der Rauchableitung durch gezielte Anlagensteuerung
    3. Kontinuierliche Trendmessung und Überwachung der Hochfrequenzkabel
    4. Identifizierung und Eliminierung etwaiger Zündgefahren.

    SWR-Intendant Peter Boudgoust sagte: „Der SWR hat bereits in der Vergangenheit alles Erdenkliche unternommen, um die Sicherheit der Besucher auf dem Fernsehturm zu gewährleisten. Die Expertise des renommierten Sachverständigenbüros zeigt nun ein Maßnahmenbündel auf, wie der Brandschutz nochmals verbessert werden kann.“

    Oberbürgermeister Kuhn dankte dem Intendanten für das Gutachten. Kuhn erklärte: „Die Vorschläge kann ich heute natürlich noch nicht kommentieren. Ich lasse das Gutachten nun mit dem Sachverstand der städtischen Fachämter prüfen und bewerten, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen geeignet sind und ausreichen, um den Anforderungen der Stadt beim Brandschutz zu genügen.“ Da es sich um komplexe Sachverhalte handele, könne die Prüfung einige Zeit in Anspruch nehmen. Danach, so Kuhn, werde es ein Fachgespräch zwischen Stadt und SWR geben.

    Bereits bei einem ersten Spitzengespräch Anfang April hatten Oberbürgermeister Kuhn und Intendant Boudgoust das gemeinsame Interesse an einer Wiedereröffnung des Fernsehturms für Besucher herausgestellt. Der SWR-Intendant hatte dabei betont, dass Investitionen des SWR und seiner Tochtergesellschaft nur in dem Maße vertretbar seien, wie sie auch refinanzierbar erscheinen.

    Der Fernsehturm ist aufgrund einer Anordnung der Stadt Stuttgart seit 27. März 2013 für Besucher geschlossen.

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