Auf der Grünen-Wahlparty: „Leiser bitte. Wir wollen uns unterhalten“

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Ich habe den Wahlsonntag direkt bei den Grünen verbracht. Staatsgalerie, Wahlparty – als DJ. Habe ich noch nie gemacht, wollte ich mal machen, also hab‘ ich das gemacht. Dachte auch: „Super! Nach 20 Jahren endlich mal im Schlesinger auflegen.“  War dann aber doch in der Staatsgalerie.

Warum ich mich für sowas hergebe, wurde ich nur einmal gefragt. Hab‘ das beantwortet wie Bundesrichter Thomas Fischer: „Löschtaste gedrückt“. Andererseits: für die CDU, SPD, FDP und AfD würden mir sowohl die Platten, als auch die Lust fehlen.

Was ich unbedingt mal live erleben wollte: die erste Hochrechnung. Denn ich kenne lediglich die Bilder aus dem Fernsehen. Erst Stille, unfassbare Spannung und dann brechen plötzlich Dämme aus Anspannung, Hoffnung, Bauchgefühl und monatelanger harter Arbeit. Bei jeder Partei. Da sind alle gleich, glaube ich. Hier wird das auf zahlreichen Bildschirmen und einer Leinwand im großen Saal übertragen.

Schwarzer Balken: „hihihi, geil“
Grüner Balken: „Yeeeaahhh! Unglaublich! Irre! Oh Gott, ist das schön! Trööt. Yiepie! Whooowww“
Roter Balken: „Ach, du liebe Güte!“
Gelb: „Ach!?“
Magenta: „Oh, irgendwie schade“
… und dann der hellblaue Balken: „Waaasss?!?! Achduscheisse.“

Man kann Hände gegen die Stirn klatschen hören. Und da sind auch Finger, mit denen die Sitze im Landtag gezählt werden.

Ab diesem Moment ist jeder selbst seinem Gewissen überlassen: feiern für das grüne Wahlergebnis oder sich Angst und Sorge hingeben wegen der AfD – die nun stärker ist als der bisherige Koalitionspartner SPD? Spätestens jetzt ist niemand sicher, wieviel da nun gewonnen oder verloren wurde. Wie feiert man eigentlich, wenn alles „toll, aber…“ ist?

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Kurz danach schon erscheint Ministerpräsident Winfried Kretschmann und bahnt sich in einem Pulk aus Menschen, Kameras und Mikrofonen den Weg durchs Foyer zur Bühne, klatschende Menschen machen den Weg frei. Hoffentlich kennt jemand in diesem wirren Menschenknäuel den Weg zur Bühne, nicht dass plötzlich alle gemeinsam zur Toilette laufen. Oh, huch.

Auf seinen Plakaten redete Kretschmann von „Stil“ und er hält das aufrecht: bevor er irgendetwas sagt, bedankt er sich ausufernd für die Unterstützung seiner Parteifreunde. Dann erst redet er von einem „historischen“ Wahlergebnis. Und das ist es auch – allerdings auch auf Ebenen, mit denen die Partei gar nichts zu tun hat.

Erstmal sammeln, überlegen – Kretschmann wirkt bei aller Freude tatsächlich, als ob er die Ruhe erfunden hätte. „Politisches Erdbeben“ sagt einer im Publikum. Auch das stimmt.

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Jetzt gibt’s trotzdem erstmal Sekt für alle und Wahlanalysen in unzähligen Kleingruppen – im schicken Innenhof Raucherbereich ist leider gar nix los. Man raucht vor der Tür am Eingang. Da steht auch ein TV-Gerät.

Der Boden im Foyer der Staatsgalerie strahlt derweil im leuchtenden Grün. Ich versuche mich in Entertainment und witzel ein bisschen rum, wie lange es wohl gedauert habe, den Boden extra anzumalen. Jemand verliert ein Tütchen „Ahoi“-Brause, bedruckt mit Grünen-Wahlwerbung. Ich so: „Ah, Crystal Meth“ und so  – höhö. Ja, voll witzig. Walter Ercolino lächelt, damit ich mit meiner StandUp-Performance nicht ganz so doof dastehe. Sonst bekomm ich noch eine Montagabendshow bei Pro7 – „Studio Setzi“ oder sowas in der Art.

Der frühere SWR-Nachtcafé-Gastgeber Wieland Backes läuft auch an uns vorbei – beinahe hätte ich ihn per Handschlag begrüßt. Aufgrund seiner Fernsehgeschichte erscheint er mir fast persönlich vertraut. Auf der Herrentoilette treffe ich Rezzo Schlauch. Der Mann ist ein Vollprofi. Er schafft es tatsächlich, den Anschein zu erwecken, er würde andere aus einem bestimmten Grund grüßen, nicht nur weil das eben freundlich ist. Toll. Für einen kurzen Moment denke ich tatsächlich, „Schade, dass wir nicht mehr Zeit zum Schnacken hatten.“

Andererseits gibt’s auch tausend bessere Orte für lockeren Smalltalk als einen verkachelten Raum, in dem – teils freimütig – Schorle, Saft, Kartoffelsalat und Saitenwürstle wieder dem Naturkreislauf übergeben werden.

OB Fritz Kuhn war natürlich auch da. Im Saal, meine ich. Er steht da mit verschränkten Armen, in leichter Rücklage und hört den Rednern zu. Als würde er das alles erstmal prüfen müssen, was da auf der Bühne erzählt wird. Auch er erweckt den Eindruck, das alles hier wäre irgendwie „seines“. Stimmt ja auch irgendwie, wenn man Oberbürgermeister ist.

Einmal winkt er zur Bühne, auf der Muhterem Aras sich gerade für die Unterstützung ihrer Parteifreunde bedankt. Aras wiederum klingt so heiser, als hätte sie am Vortag gleichzeitig den VfB und die Kickers quer durch das Stadion gebrüllt.

Ein bärtiger Mann mit langen grauen Haaren sitzt am Fenster, fast regungslos schaut er Löcher in die Luft. Er trägt Birkenstock, keine Socken und alles andere mit einem Rest von Fassung. So habe ich mir „Grüne“ als Kind vorgestellt, als ich zum ersten Mal von der Partei gehört hatte. Der Mann kommt aus einer Zeit, in der es gleichermaßen als naiv, subversiv und irgendwie „gefährlich“ galt, „grün“ zu wählen. Heute ist das längst nicht mehr der Fall. Auf dem politischen Terrain deckt das heute wahrscheinlich Die Linke ab.

Als Cem Özdemir sich den Weg durch die Menge bahnt, fällt mir wieder der alte TV-Spruch ein: „Also, im Fernsehen wirkt der aber irgendwie größer.“ Özdemir funkelt förmlich und multitaskt wie ein Profi. Mit einem Ohr hört er seinen Parteifreunden und Gästen zu, nickt und plaudert. Auf dem anderen Ohr empfängt er Informationen von einem Mitarbeiter. Dann steht er auch schon am Rednerpult.

Richtig zuhören konnte ich aber nicht. Ich war verwirrt. Meine Order hieß: „Also, jetzt kommt noch der Cem und dann machst du bitte etwas Hintergrundmusik.“

Derartige Anweisungen machen mich schnell unsicher. Ich denke da an Bands, die im Studio stehen und sagen: „Lass uns mal einen echten Hit schreiben. So für den Hintergrund“ und natürlich denke ich auch, dass meine Platten viel zu gut sind für irgendeinen Hintergrund, außer Rock’n’Roll und Freiheit.

Özdemirs Rede ging komplett an mir vorbei. Ich überlegte: „Soulcompilation drauf und fertich“ oder doch „was von Slayer, hihi“?  Dazu kam noch die Angst, jemand könnte nach „Wieh ahr se Tschampions“  vom Freddy fragen. Hab’ ich nicht und würde ich auch nicht.

Plötzlich klatschen alle, Özdemir muss etwas gesagt haben, dass diese Reaktionen provozierte. Nur was? Ich klatsche auch, weil es mir irgendwie unhöflich erscheint, das nicht zu tun – zumal ich ja auch auf der Bühne stehe, zwar an der Ecke, aber gut sichtbar für alle ohne Sehschwäche. Trotzdem frage ich mich, weshalb ich applaudiere, obwohl ich überhaupt nicht zugehört habe.

Dann war’s Zeit zu rocken wie ein Wirbelsturm: Little Richard, „A Little Bit Of Something (Beats A Whole Lot Of Nothing)“. Erster Hörerwunsch: „Ja, echt ganz toll. Aber: Leiser bitte, wir wollen uns unterhalten“. Wie ein echter Profi zeige ich mit beiden Fingerpistolen auf die Dame, lächle, nicke und sag’: „Klaro!“ – mit etwas länger gezogenem „oh“ am Schluss. Der Saal ist eh hell erleuchtet, alle stehen schon wieder im Foyer und diskutieren über die ständig aktualisierten farbigen Balken der Hochrechnungen.

Egal, ich mach mein Ding, so wie der Udo Lindenberg. Nur halt ein bisschen leiser. Schubiduyeahkeinepanik. Ich spiele „Suffragette City“ von David Bowie und freue mich wie verrückt, dass ein paar Gäste doch spontan die Tanzfläche anglühen. Dann sehe ich erst: da sind Fotografen, die u.a. Muhterem Aras dazu ermutigen – wahrscheinlich für „Stimmungsbilder“.

Wieder ganz der Profi schaue ich trotzdem zum Himmel, sehe nur die Saaldecke und danke dennoch David Bowie. Ein Fotograf bittet mich, den Kopfhörer aufzusetzen. Es ist das internationale Kennzeichen für „DJ bei der Arbeit“. Mach’ ich. Schaffe, schaffe, Hits raushaue. Wäre der Fotograf etwas früher gekommen, hätte er noch den doofsten DJ der Welt beim Kampf mit der Technik erlebt. Mein Glück.

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Dann werden auch schon die Tagesthemen übertragen und zeitgleich analysiert. Und ich verstehe auch endlich „Matrix“ mit Keanu Reeves: Auf der großen Leinwand neben der Bühne redet Winfried Kretschmann, während er gleichzeitig gerade auf die Bühne zuläuft und offensichtlich gar nichts sagt – wieder umringt von Applaus, Menschen, Kameras und Mikrophonen.

Das Gefühl hatte ich zum letzten Mal als ich in Köln in einer Burgerbude stand, in der lauter gerahmte Bilder von Lukas Podolski hingen und er plötzlich persönlich am Eingang stand. Irre. „Junge! Komm zum VfB“, wollte ich damals sagen. Hab’s nicht gemacht.

Als Kretschmann fertig geredet hat, sagt er: „Jetzt aber wirklich erstmal feiern“. Und ich darf wieder anfangen: „Fortunate Son“ von Creedence Clearwater Revival. Nochmal Bowie – aber dieses Mal „Modern Love“. Stimmung: top –  und ich hoffe, doch irgendwie in der Spätausgabe der Tagesschau erwähnt zu werden: „Setzer – bockstarker DJ. Doch wer ist dieser Teufelskerl eigentlich? Caren Miosga hat ihn für uns getroffen…“ oder sowas in der Art.

Doch je weiter sich der Ministerpräsident von der Bühne entfernt, desto weniger Leute tanzen. Sie laufen ihm einfach in, äh, absoluter Mehrheit hinterher und ich steh’ wieder alleine da mit meinen Hits, Hits, Hits. Wie so ein Heizdeckenverkäufer in der Sauna.

Ein junger Kerl wünscht sich ein paar Lieder – seine Freundin arbeitet bei den Grünen und hat in dem Trubel wenig Zeit für ihn. Als er nach einer Weile wieder kommt, bringt er ein paar Leute mit – alles „junge Grüne“, die jetzt auch endlich mit ihrer Arbeit durch sind. Sie tanzen. Das freut mich.

Auch wegen der Ablenkung, weil ich mich die ganze Zeit trotzdem frage, was diess Wahlergebnis denn jetzt eigentlich bedeutet. Und ganz zu schweigen davon, dass uns Millionen Jahre der Evolution nun so weit gebracht haben, dass die AfD 15,1% Stimmen einfährt und am Montag nach der Wahl im Internet wieder der „Schnitzel & Blowjob“-Tag gefeiert wird. Man kann da leicht zynisch werden.

Zu Hause auf der Couch sehe ich im Fernsehen zehntausende Fußball-Fans, die sich gegenseitig in den Armen halten. Sie singen gemeinsam „You’ll Never Walk Alone“, im Gedenken an einen im Stadion verstorbenen Fan und einen, der im Krankenhaus liegt. Das ist ergreifend.

Alles andere scheint plötzlich piepswurstpupsegal. Wahlprogramme, Taktik, Polemik, Hass, Häme, Zynismus oder diese gefühlte Unsicherheit. Alles egal.

Mensch und menschlich sein ist so viel mehr. Und besser.

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7 Comments

  1. says: martin

    „Ein Fotograf bittet mich, den Kopfhörer aufzusetzen. Es ist das internationale Kennzeichen für „DJ bei der Arbeit“. Mach’ ich.“

    hahhaha, aber echt!

    und ich find den chrystal meth gag super.

  2. says: stegoe

    Ich nehm’ aus dem Artikel vor allem mit, dass „der Grüne an sich“ beim kacken die Tür nicht zu macht (oder wie ist das mit dem „verkachelten Raum, in dem freimütig Schorle, Saft, Kartoffelsalat und Saitenwürstle wieder dem Naturkreislauf übergeben werden“ zu verstehen?)

  3. says: Setzer

    Lügenpresse/Gegendarstellung: Die Kabinen waren abgeschlossen, Pissoirs nicht. Da hat aber keiner reingekackt. „Freimütig“ war die Lautstärke, mit der in denen Kabinen das Geschäft verrichtet wurde. Gekachelt war der komplette Raum.

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