Leck mich, VfB Stuttgart. Echt.

Ich habe kein Kabelfernsehen, bin vor einiger Zeit trotzdem zehn Minuten in den Genuss gekommen, da ein bisschen reinzuschauen. Im Dschungeldingens sagte ein mürrischer Schweizer, der scheinbar zaubern kann und Vincent Raven heißt: „Ich habe die Fresse voll, echt. Ich bin auf dreihundert oben. Das stinkt abgöttisch.“ Das Irre daran: er hat nicht mal vom VfB Stuttgart gesprochen.

Der VfB Stuttgart und ich führen nun seit einiger Zeit eine seltsame Beziehung. In der Zeitschrift Gala wird so was „On/Off-Relationship“ genannt. Haut halt nie richtig hin, obwohl sich beide im Rahmen ihrer begrenzten Fähigkeiten bemühen. Hab‘ auch schon drüber nachgedacht, mich zu trennen. Respektvoll, gute Freunde bleiben und all‘ das Zeug, das keiner so meint, aber trotzdem ständig gesagt wird.

Manchmal rede ich mir auch ein, dass alles eh irgendwie egal ist („ist ja nur ein Spiel“), aber schaue trotzdem ständig im Telefon oder Internet, ob sie sich gemeldet hat, was passiert ist.

Dass der nötige Respekt für eine würdevolle Trennung derzeit kaum aufzubringen ist, hat wahrscheinlich mit meiner verletzten Eitelkeit zu tun: Mir fiel nämlich auf, dass es dem VfB wesentlich besser geht, wenn ich nicht da oder überhaupt nicht in der Nähe bin. Schlampe.

Ich kann machen, was ich will – bin ich da und schau zu: geht gar nix. Fahr ich weg und hab keine Zeit, ins Stadion oder in die Fußballkneipe zu gehen: sichere drei Punkte.

Nix als Tragödie: Ich muss zusehen, wie Schalke den VfB zerlegt und Kevin Kuranyi nur nicht trifft, weil er seit Ewigkeiten gar nicht mehr bei Schalke ist. Mönchengladbach lässt sich auch nicht lumpen: nulldrei. Wolfsburg: einsnull, auch verloren. Leverkusen: mit ach und Krach ein Unentschieden. Wenn’s nicht so weh tun würde, könnte ich den Kopf gegen die Tischkante hauen.

Dann der absolute Tiefpunkt: Pokalspiel gegen Bayern im Februar. Ich friere mir im Stadion die Zöpfe an den Kopf und trotz brandneuer Winterjacke: nullzwei gegen Bayern. Der Pokal hat seine eigenen Gesetze und ich die Schnauze endgültig voll:

„Fauuuehhfffbeeehhh, Wir steeehhhnn zu Diiehhr“, mir reicht’s langsam mit der Steherei und den Durchhalteparolen. Zwei Stunden in der Eiseskälte gegen die Bayern sind genug. Ich sehe auch nicht ein, schon wieder aufzustehen, nur weil ich „Schwaaahhhbbbeee“ bin, aber VfB hat harte Fans, die reissen sich notfalls selbst vom Hocker.

Ich war ursprünglich wegen Fußball gekommen. Gesehen hab ich leider nichts davon. Doch, einmal kurz: dann stand’s auch schon 0:1 für Bayern und Ribery freute sich sehr. Neben mir brüllt einer: „Herrgottscheissdrecknochmal, was??“. Antworten gab’s keine. Dafür geht man aber auch nicht zum Fußball. Ausrufezeichen gibt’s auf dem Sportplatz nur ungefragt oder gar nicht. Der Rest sind Fragen, wie bei allen Dingen, die mit den Gesetzen des Verstands kaum zu ergründen sind.

Der Einpeitscher im A-Block ermutigt derweil dazu, die Mütter und weiblichen Familienangehörige von Bayern kritisch zu hinterfragen. Kann man schon mal machen, „Effzehh Bayern Hurensöhne“ brüllen, wenn sonst nix anfällt. Den restlich verfügbaren Bayern soll ich die Lederhosen ausziehen, miese Nummer bei Minus acht Grad. Ich überlege trotzdem, wem ich gerne die Lederhosen ausziehen würde. Niemand davon kommt aus Bayern.

Die Bayern-Fans wiederum sind sehr freundlich. Da mischt sich Häme mit Mitleid. Ein niederschmetternder Cocktail. Sie wünschen Bruno Labbadia lautstark alles Gute zum Geburtstag – der Trainer des VfB-Stuttgarts wurde da gerade 46 Jahre alt. Das erste Geschenk überreichte gerade Ribery.

Bei 0:2 dann die Erleuchtung. Der Einpeitscher im A-Block, der schon sehr viele bemerkenswerte Zweizeiler ins Mikro krächzte, lässt endgültig die Bombe platzen: „Entweder wir packen es … oder nicht“. Er sieht dabei aus wie der Sänger einer Hardcoreband – breitbeinig, Arme seitlich hochgeklappt, brüllt er ins Mikro – nur halt ohne Band hinter sich. Da war nur das Spiel. Und das war nix. Gar nix.

Der Blick auf die Anzeigentafel macht mich trotzdem glücklich: „86. Minute, 0:2“. Verlängerung oder Elfmeterschiessen wird’s nicht geben und die Gefahr war nie geringer, dass irgendein gut betuchter Club uns die geilen Kicker wegkauft. Es sei denn, der Ulreich fängt jetzt auch noch mit Toreschießen an. Der Typ ist Hardcore – hält wie ein junger Gott und steht auch bei Minusgraden im Kurzamtrikot im Tor.

Ein paar Tage später laufe ich mit einem befreundeten Hund durch die Eifel. Nette Gegend, tolle Menschen. Da wird in Ortschaften noch mit Straßenschildern für Apotheken geworben. Und obwohl ich Hunden, Spaziergängen und der Natur bisher wenig abgewinnen konnte – ich tu’s und pfeiffe auf Fußball. Kann mich mal. Gut, ab und an versuche ich, heimlich auf den Liveticker im Telefon zu spechten. Das Ende vom Lied: der VfB gewinnt fünfnull gegen Hertha. Einfach so, souverän den Blinker gesetzt und auf die Siegerstraße abgebogen, während ich mich frage, weshalb der Hund seinen Namen nur kennt, wenn ihn andere rufen. Rufe ich – passiert nix.

Die Woche drauf, völlig angefixt, weil’s jetzt ja endlich bergauf geht, wieder ins Stadtbadstadion zu Heslach gedribbelt, Stammplatz bei Schorsch eingenommen und „Schalalalala“ gedacht. Wahrscheinlich auch gesagt. Ich neige zu derartigen Schrullen.

Das Stadtbadstadion hat mir gefehlt: immer Topstimmung auch in der Krise. Den Fernsehsender SKY und die Zeitlupenwiederholungen habe ich auch vermisst. Ich mag das. Da kann ich ungefragt „Da! Siehste! Eyy! Mannmannmann!“ durch die Kneipe rufen, als ob ich’s beim ersten Mal in Echtzeit schon gesehen hätte. Fernsehen ist toll und die Leute von SKY kümmern sich.

Zur Halbzeit fragt mich deren Reklameabteilung sogar, ob ich heute schon geschweppt hätte. Klar, können die nicht wissen. Nächstes Mal weise ich sie trotzdem darauf hin, dass ich schweppen kann, wann immer ich will. Auch toll: da stöckelt in der Halbzeitpause immer eine blonde Frau über den Bildschirm, die von Fußball erzählt. Ich würde ihr gerne zuhören, vergesse es aber meistens. Ich denke, dass sie genau deshalb da rumstöckelt.

Egal, Hannover steht auf dem Programm. Ich bin aufgeregt, wie es sich das für Leute auf der Siegerstraße gehört. Machen wir’s kurz: zweivier auf den Sack bekommen. Einziges Highlight: die Frau am Tisch. Sie klopft fassungslos auf den Tisch, schaut ratlos und meint „Sag mal, hat der Pogrebnyak seine Schuhe in Stuttgart vergessen?“ als Harnik ein todsicheres Ding freistehend vor dem Torwart versemmelt. Der Hund aus der Eifel, die Frau und sogar ich hätten den barfuß versenkt. Pogrebnyak übrigens spieltmittlerweile in England. Trifft nach Belieben. Publikumsliebling.

Dann wieder der Hund im Eifelgrenzgebiet, der eigentlich Luna heißt und eine heiße Doberfrau ist: während ich Stöckchen durch die Eifel werfe, die Luna nie mir, sondern ihrer Cheffin oder gar nicht wieder bringt, gewinnt der VfB viereins und fast mühelos gegen Freiburg. Luna schaut mich treudoof an und nickt mehrmals mit dem Kopf.

Eine Woche später-Berlin, Kreuzberg. Soundcheck im Lido. Wir sind auf Tour mit unserer Popgruppe end of green. Soundchecks sind wichtig, machen auch Spaß, liegt daran, dass wir dufte Typen sind – in die Kneipe gehen und Fußball schauen ist da nicht drin. Zumal sich die Hipster in der Nachbarschaft wahrscheinlich nur ManU, Real oder Barcelona anschauen.

Beim VfB steht aber der HSV auf dem Programm. Nix Glamour, das ist Not gegen Elend und der Geruch von nassem Rasen, Blut, Mobilat und frisch aufgerissenen Erste-Hilfe-Kisten.

Kollegin Diana, hält mich livetickermäßig auf dem Laufenden – sitzt im Stadtbadstadion. Machen wir‘ kurz: viernull. Der VfB Stuttgart fegt den HSV vom Platz und ich seh weder eines der vier Tore, noch das Foul von Guerrero, der nicht nur wie eine sehr alte Frau aussieht, sondern auch ein Arschgeweih (österreichisch: Arschvignette) trägt. Als ob das nicht reichen würde grätscht der Trottel auch noch  ziemlich aggro den Sven Ulreich über den Haufen. Als hätte der ihm absichtlich die „Burt Ward Law“ Single von Nick Royale zerkratzt. Ich hab’s erst Sonntagnacht auf Youtube gesehen. Amtlich, mein lieber Herr Gesangsverein.

Heute spielt der VfB gegen Kaiserslautern. Ich werde weder beim Soundcheck, noch bei Luna oder ihrer Cheffin sein. Aber Fußball gibt’s für mich heute nicht. Leck mich. Sonst bekommt der VfB am Ende ausgerechnet von der Mannschaft auf den Sack, die ich noch schlimmer als den FC Bayern, Schalke, Otto Rehagel, The Killers und Timo Rost zusammen finde. Das kann ich nicht verantworten. Möge der Aberglaube gewinnen, aber bitte nicht Kaiserslautern. Tut mir Leid,  VfB. Ich komme erst wieder, wenn Du verloren hast. Will Dir nicht zur Last fallen, dich stören. Sag bitte „Danke“, falls Du einen UEFA-Cup Platz holt. Wir wollten schließlich gute Freunde bleiben. Schlampe.

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25 Comments

  1. says: Romeo

    Punkt getroffen, dein Frier- und Frust Machbar meint: „Wehe ich seh dich noch mal vor den Europa Plätzen, in der Nähe, des Neckarstadions oder eines Skyfähigen Fernsehers. Dann ist der Bart, aber ab, des sag i Diiiiiiiir“

  2. says: Kären

    Dachte auch an Aberglaube, weil ich beim 5:0 Sieg nicht geschaut hab. Aber letztes WE geschaut, diesmal war aber auch ein lange weggebliebener Kumpel dabei und was war – Sieg! Also war ER schuld. Vielleicht musst Du auch einfach nur den Hund nach Stuttgart holen 😉

  3. says: martin

    kleine anmerkung: die überschriften in diesem blog sind permanent groß (sollte es man noch nicht gemerkt haben). nicht, dass sich jemand wegen dem VFB in der headline aufregt.

    ansonsten freu ich mich auf den comment von fck joe joe 🙂

  4. says: 3PunktOmatic

    Die Hipster in Kreuzberg schauen leider so Schwachsinn wie Bayern vs Leverkusen und outen sich dadurch als so unhip, daß sie sogar von meiner Tante locker in die Umhänge-Tasche gesteckt werden – und die hat in ihrem ganzen Leben noch kein Fussi-Match gesehen. Sagt einer, der gerne mal eine komplette Halbzeit lang durch den Kiez hetzt, um voller Verzweiflung zumindest eine Kneipe mit Konferenzschaltung zu finden.
    Tip-top Text Baby…Du machst heute abend mal bitteschön was anderes als ins Stadtbad gehen, Okay?

  5. says: TG

    Ich halte mich in letzter Zeit immer schön fern von Stadien, in denen der VfB spielt – wenn ich da bin, haben die in den letzten 2 Jahren immer verloren. Letztes WE in HH konnte ich mich zurückhalten und bin nicht zum Spiel gegangen – beim Hinspiel war ich da, als wir dem HSV den ersten Dreier der Saison geschenkt haben…heute wollte ich eigentlich ins Stadion, lass es aber wohl besser. Ich will nicht zwischen dem VfB und einem Euroleague-Platz stehen.

  6. says: TG

    ich gebs zu, ich war am Freitag spontan beim Spiel, verspreche aber, diese Saison nicht mehr zu gehen. An mir solls nicht liegen, wenn die die EL-Plätze verpassen.

  7. says: derPaddo

    Wenn schon abstinken, dann bitte richtig informiert: den A-Block gibt es seit Abriss der CK nicht mehr. Und auch damals waren die Capos vom CC schon unten um 32er.

    Aber hauptsache gegen die Bayern im Stadion und pöpeln – das stinkt ja schon fast pervers nach Klischee-Fan. 😀

  8. says: MCBuhl

    Von den Golanhöhen aus ist das immer so schwer zu erkennen, aber die Transparente „Cannstatter Kurve“ gibt’s noch? Also, mich würde interessieren, ob man das noch sagt, auch wenn’s jetzt mehr so grad ist.

    Für Leute wie mich ist „A-Block“ nicht der Block an sich, sondern Synonym für die Stimmungsmacher im Stadion, die, soweit ich als uneingeweihter es beurteilen kann, auch früher schon nicht nur im A-Block allein, sondern z.B. auch im B-Block gestanden sind.

    Aber, hey, ich sage ja auch noch Neckarstadion…

  9. says: Daniel

    Läuft im Stadtbadstadion eigentlich noch Sky? Nachdem es das Libero nicht mehr gibt, bin ich auf der Suche nach einer ehrlichen Fußballkneipe mit weiß-rot angehauchter Atmosphäre.

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