Haus der Musik im Fruchtkasten am Schillerplatz

Breaking News: Wir haben eine neue Gastautorin. Boomin Granny aka Britta, unserer Leserin der ersten Stunde, beste Twitterin, „halbagressive Tastaturheldin“ und schwer engagierte Bürgerin dieser Stadt, die eigentlich nur neidisch auf eure G-Klasse ist, engagiert sich bei uns ein Level intensiver.

Ihr erster Walk: Haus der Musik am Fruchtkasten, Untertitel „Sammlung historischer Musikinstrumente“. Yes, auch sowas gibt es in Stuttgart. Pack die Blockflöte und das Keyboard aus und better listen to Britta.

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Was tun an einem nasskalten Januartag in Stuttgart? Vermutlich ist dieser Tip für Eltern mit Kindern keiner, aber ich bin zum ersten Mal dort: Im „Haus der Musik“, dem Musikinstrumente Museum der Landesmuseen Württemberg im Fruchtkasten am Schillerplatz.

Der Eintritt ist frei, direkt hinter der Eingangstür lauert bereits die erste Aufsichtsperson. Jacken und Rucksäcke bitte an die Garderobe bzw. Schließfächer übergeben! Allerdings stapeln sich davor die besagten Eltern, Kinder, Schneeanzüge, Winterstiefel, Tupper mit Apfelschnitz und Dinkelkekse. Die sind um drei Uhr nachmittags schon wieder auf dem Heimweg, ich bin einfach nur mal wieder spät dran.

Doppelflügel von Pleyel, Wolff & Cie. (1898) feat. Smartphone (2019)

Aber kein Stress! Aus dem Saal im Erdgeschoss klingt beruhigend versiertes Klavierspiel durchs ganze Haus. Leider habe ich es versäumt, die junge Frau am Doppelflügel zu fragen, wer sie ist. Ich kann also nur vermuten, dass sie Studentin der Musikhochschule ist und für die „Musikpause“ immer am Freitagmittag übt (Eintritt 3€). Bei der eigentlichen Aufführung liegt ihr Smartphone dann wahrscheinlich eher nicht oben auf dem Doppelflügel von 1898. Ein netter Kontrast zu dem historischen Instrument: Tasten ohne jegliche Speicherplätze sind ja wirklich aus der Mode gekommen.

Instagram-Architektur-Motiv im Treppenhaus.

Im 1. Stock ist die Ausstellung „Unerhört – Musikinstrumente einmal anders“ mit einigen Kuriositäten. Die Erklärungen zu den Exponaten sind auf kleine Klemmbretter zum Ausleihen geklemmt, was mich sehr freut, denn ich liebe Klemmbretter. Sie verleihen auf magische Weise sofort eine gewisse Autorität – weil eigentlich nur noch Bestimmer oder der WKD sie benutzen.

Zu sehen gibt es hier „ungewöhnliche Instrumente und Klangkörpern jenseits der traditionellen Orchesterbesetzung“. Zum Beispiel das „Phonola“, ein automatisches Klavier mit „Notenrollen“ für den Privathaushalt – also endlich mit Speichermedium, wenn auch etwas unhandlicher als ein Spotify-Abo. Eine Tanzmeistergeige und ein portables Harmonium – quasi die Bluetooth-Boxen des 17. und 18. Jahrhunderts.

Im nächsten Raum kommen dann meine Highlights: Ein „Mellotron“, das unter anderem in „Space Oddity“ von David Bowie zu hören ist.

Mittels eines Spiegels kann man von hinten in einen offenen Leslie-Verstärker spicken. So ein Sound-Wunderwerk sieht man nur noch selten live auf der Bühne (was sicher an den waschmaschinenartigen Dimensionen liegt).

Derweil erkundigt sich ein Junge im Grundschulalter bei Oma und Opa, ob er auf der Hammond-Orgel spielen darf, die neben dem Verstärkermonstrum steht. Der Opa entscheidet sich zögerlich für „Nein“. Schade eigentlich.

Auch auf der Dr. Böhm-Orgel darf man nicht spielen. Allerdings durfte das ja in den 70ern jeder zuhause. Disco-Fox live auf dem schrägen Teil für jedermann.

Heimorgel, gekonnt schräg von mir fotografiert!

„20 Super Orgel-Hits“ mit elektronischer Verfremdung und Rhythmus aus dem Böhmat!

Wahrscheinlich hatte auch Deutschlands berühmtester Orgelspieler so ein Wunderwerk und spielt es noch! Thomas Anders, jetzt ohne Nora-Kettchen und Ballonseide-Jogger, kommt demnächst in die Stadt. „ Ewig mit euch“ – Versprechen oder Fluch? Sein Auftritt in der Liederhalle wird jedenfalls nicht in den euphorischen „2019 Konzertvorschau“-Zeitungsartikeln erwähnt.

Dabei macht Bob Dylan auf seiner „Never Ending Tour“ auch nichts anderes als in die Tasten zu hauen und beflissentlich die alten Hits gar nicht oder wenn nur ganz zum Schluss zu spielen (Ohne Gitarre. Ohne Mundharmonika. Das habe ich 2015 in Tübingen selbst für euch getestet). Okay, für „You‘re my heart, you‘re my soul“ wird es keinen Literatur-Nobelpreis mehr geben, aber so ganz gerecht ist das wirklich nicht.

Foto nicht aus dem Museum sondern von einer zielgruppengerechten Litfaßsäule.

Jetzt hätte ich zu gern noch im „Kuriosen Klanglabor“ im Dachgeschoss auf dem Theremin gespielt. „Es ist das einzige verbreitete Musikinstrument, das berührungslos gespielt wird und dabei direkt Töne erzeugt.“ Aber der Aufsichtsmann hat das Instrument ausgesteckt. Große Enttäuschung meinerseits, große Erleichterung seinerseits, denn es macht bestimmt mehr Lärm, als alle anderen coolen Krachmacher in diesem Raum zusammen!

Ich scheitere grandios an der singenden Säge, nehme mir aber vor, regelmäßig zum Üben her zu kommen. (An dieser Stelle viele Grüße an meinen Ex-Klavierlehrer Udo, Fruchtkasten-Fan und derjenige, der am besten weiß, dass mir dafür das nötige Durchhaltevermögen fehlt.)

Um 17:00 Uhr schließt das Haus der Musik, die Mitarbeiter weisen entschlossen darauf hin. Ein kurzer neugieriger Blick ins Gästebuch verrät, dass Besucher von weiter her jegliche Erklärung auf Englisch vermissen. Als Touristin auf Zeitreise durch die Musikgeschichte in der eigenen Stadt ist mir das gar nicht aufgefallen. Weltmetropole Stuttgart eben! Enjoy!

Haus der Musik – Sammlung historischer Musikinstrumente
Am Fruchtkasten / Schillerplatz
Geöffnet Di bis So, 10 bis 17 Uhr. Mo geschlossen, außer an Feiertagen

Web


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2 Comments

  1. says: Boomin Granny

    Ich habe in diesem Beitrag gleich mal den Relotius gemacht und möchte hiermit berichtigen, dass das Instrument aus „Space Oddity“ kein Mellotron sondern ein Stylophone ist. So wie hier: https://youtu.be/HkTQsOQLEeU Aufgefallen ist es mir, weil ich so eine Zaubermaschine geschenkt bekommen habe. Ich übe erstmal 10 Jahre und dann spiele ich ktv ein Ständchen.

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