Eishockey-Szene Bietigheim: Steht auf wenn Ihr Steelers seid

Meine HipHop-betäubten Freunde sind ja der festen Überzeugung, die coolsten Typen in Bietigheim wären Leute, die so heissen wie sonst nur HYUNDAI-Modelle: Rin, Bausa oder Shindy. Dabei ist die coolste Wurst von Bietigheim in Wirklichkeit ein Typ namens Shawn Weller.

Der Mann ist Amerikaner, 8 Meter 20 groß, Eishockeyspieler und – so wie ich das sehe – DER Publikumsliebling bei den Bietigheim Steelers. Die wiederum sind Tabellenführer der zweiten Liga und mussten am Sonntag gegen die Löwen Frankfurt antreten. Spoiler: Das war ganz großer Sport.

Ich sag das jetzt nicht aus VfB-Opportunismus, aber ich fand Eishockey schon immer cool. Früher schon, auf dem zugefrorenen Riedsee als „Aktiver“, wo wir aus zwei Anoraks ein Tor gebaut haben, aber immerhin echte Schläger und einen Puck hatten – und vor allem: gescheite Schlittschuhe.

Eishockey-Schlittschuhe nämlich, während die Klassenstreber mit diesen schwulen, schwarzen Eiskunstlaufschuhen uncoole Figuren gefahren sind. Ich weiß, schwul sagt man nicht. Aber wir schreiben das Jahr 1981, da war das noch erlaubt, weil niemand außer Willy Brandt damals politisch korrekt sein musste.

Die Winter in Möhringen waren hart und die Saison kurz und am Ende gewannen natürlich die Typen zwei Klassen über dir. Dann gingst du verfroren nach Hause, warst froh, dass jemand anders an dem Tag ins Eis eingebrochen war und schautest zuhause den Eishockey El Classico UDSSR:Kanada.

Später war ich auch bei Eishockeyspielen der Stuttgart Rebels als die noch EHC hiessen. Nur: die spielen leider – wie offensichtlich alle in Degerloch – inzwischen in der Regionalliga.

Eishockey schauen hatte ich so abgespeichert, dass die Fangesänge und Rituale ganz anders als beim Fußball sind – und dass man live nicht sieht, wo der Puck ist. Und beides stimmt gar nicht.

Das drumherum ist dem Fussi nicht unähnlich. Angefangen bei einer Schweigeminute on Ice, weil ein alter Wegbegleiter der Steelers verstorben war.

Dann ging’s los und gleich zur Sache. Wer Eishockey live nicht kennt: bitte geht da unbedingt hin. Bevor man in einer muffigen Handballhalle im Neckarpark muffigen Handball schaut, nimmt man bitte die S5 nach Bietigheim und schaut was Gescheites.

Denn das Spiel ist schnell und dynamisch und kraftvoll und ohne dumme Pausen und bis auf ein paar Feinheiten eigentlich auch selbsterklärend. Auf dem Videowürfel über dem Spielfeld wird z.B. die gesamte Partie gezeigt, so dass man alles von überall ziemlich gut mitkriegt.

Die Geschwindigkeit, die schnellen Wechsel, die Energie – alles, was da auf dem Eis passiert, überträgt sich auf die Ränge: die Stimmung unter den 3400 Zuschauern in Bietigheim war 3 x 20 Minuten super.

„Steht auf, wenn Ihr Steelers seid“. Die Frankfurter Antwort: „Löwen geben niemals auf“ – bitte auf die Melodie von „Ja, mir san mi’m Radl da“ im Kopf bis zum Ohrwurm durchsingen. Gefolgt vom nächsten großen Chart-Hit aus Bietigheim: Brown girl in the ring mit dem schönen Text „Tor in Unterzahl…shalalalala“. Sowas möchte ich die unsäglichen Cloud-Rapper bitte mal mit Autotune singen hören.

Dazu gab’s free WIFI. Hotspot EgeTrans Arena – und zwar im doppelten Sinne. Feel the steel – so das Motto der Bietigheimer, das ein bisschen an ein Manowar-Albumtitel erinnert, aber auch wirklich zutreffend ist.

Dazu möchte ich bitte auch den Helm vor den saunetten Mitarbeitern ziehen. Die Hospitality ist erstligareif – alle, von der PR-Dame über die Ordner waren saufreundlich und total hilfsbereit. Die Fans eingeschlossen, die uns bereitwillig erklärten, warum die Transparente an dem Tag denn bitteschön kopfüber hingen: aus Protest.

Irgendwo am grünen Tisch wurde entschieden, dass die Bietigheim Steelers keine Möglichkeit haben, aus der zweiten in die erste Eishockey-Liga aufzusteigen. Was das Tabellenführen ein bisschen ad absurdum führt. Bis mindestens 2019 wird es wohl keinen Auf- und Absteiger zwischen DEL und DEL 2 geben.

Das ist, als würde man Fortuna Düsseldorf sagen: Ihr seid Erster. Schön für euch. Und das bleibt ihr auch. Aber nicht bei uns in der Bundesliga – die haben wir jetzt dicht gemacht.

Am Ende gewannen leider die Löwen aus Frankfurt das Spiel mit 3:4 nach Penalty-Schiessen. Und das obwohl Bietigheims einzig wahrer Popstar, Shawn Weller, noch kurz vor der Tröte das 3:3 erzielt hatte.

Ich fand’s trotzdem geil, bin sofort fb-Freund geworden und hätte mir glaube ich sogar Merch gekauft wenn a) die Pantonefarbe der Steelers nicht flaschengrün wäre. Und b) diese XXL-Trikots nicht so fürchterlich auftragen würden.

Aber vielleicht beim nächsten Mal. Wir kommen nämlich wieder. Und bis dahin haben wir die Bilder.

Der gegnerische Fanblock. Du bist erst dann ein Traditionsverein, wenn deine Fans einen Heinz Schenk Gedächtnis-Bembel im Banner und im Herzen tragen.

Geilster Job: der des Zeugwarts, der beim Eishockey mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht Zeugwart heißt und der in den Pausen was mit Funken machen darf und mit seiner selbstgebauten Föhn-Gaffatape-Eisenrohr-Konstruktion die Handschuhe warm halten muss.

Feel the steel and the Tinitus. Das Pendant zur Cannstatter Kurve heißt hier draußen übrigens Enztal-Kurve.

Wie cool ist es eigentlich, wenn man nicht nur einen Ärmelpartner hat, der keinen Schafskäse herstellt, sondern Menschen nach Vancouver fliegt? Die Frankfurter haben Air Canada auf dem Trikot. Und wie noch viel cooler ist es eigentlich, wenn du einen Schläger-Sponsor hast?

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6 Comments

  1. says: Ostfildern

    Sehr schön beschrieben, meine Frau und ich sind auch erst seit 4 Jahren dabei und sind über einen Kollegen auf das Eishokey angefixt worden. Mittlerweile haben wir hier in Bietigheim viele tolle Leute bei den Spielen der Steelers kennengelernt.
    Wir können es auch jedem empfehlen sich mal ein Eishockey Spiel live anzusehen, die Stimmung ist zum Teil wirklich einzigartig und nicht mit Fussball zu vergleichen.

  2. says: Volker Joost

    Super toller Bericht, der von mir als Steelers Fan natürlich nur bestätigt werden kann. Wir würden uns freuen wenn das „Fan Einzugsgebiet“ sich vergrößern würde und die Halle so oft wie möglich voll wäre. Also auf ihr Stuttgarter, Esslinger, Ludwigsburger, Waiblinger, Filderstädter, Böblinger……. kommt tollen Sport schauen. Auf zu den Steelers nach Bietigheim!

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