Der Hamburger Fischmarkt auf dem Karlsplatz

Ich schreib wie es ist: Dies sollte ein Hass-Beitrag werden. Der „Hamburger Fischmarkt“ war auf meiner „10 Dinge, die ich an Stuttgart hasse“-Liste mindestens in den Top 5. Das kam teilweise von meiner generellen Abneigung gegen erzwungene Fröhlichkeit, zum anderen von sehr betrunkenen Besucherinnen in der Stadtbahn, die auf dem Heimweg von eben dieser Veranstaltung waren (… Fasnet, Weindorf, Wasen, Weihnachtsmarkt, same same).

Nun war/ist aber Pandemie, logischerweise gar kein Fischmarkt und vor zwei Jahren hat mir jemand so von diesem Event vorgeschwärmt, dass sich mein Herz von einem Stein in ein Fischbrötchen verwandelte.

So geläutert, habe ich mich getreu meinem 2022er Motto „Ich mach alles mit“ mit kompetenter Begleitung von Twitter-User Merzy dann am Dienstagabend in den Schwarm (maritime Bezüge sind in diesem Kontext sehr wichtig!) gestürzt und hier ist der Bericht zu einem erstaunlichen Abend auf dem Karlsplatz.

Gleich hinter diesem Schild erklang eine launige Version von „An der Nordseeküste“ von Klaus & Klaus (übrigens zerstritten!) von einem Alleinunterhalter. Ich lerne, dass das gute alte vorprogrammierte Keyboard bei dieser Art der musikalischen Unterhaltung ausgedient hat und zu Sound direkt aus dem Laptop gesungen wird. Und es gibt nicht nur einen Sänger auf dem Gelände, auf der gegenüberliegenden Seite vom Platz singt eine weitere Dame für die Gäste, die das mit Schunkeln und Applaus honorieren.

… große Elbe(!)ststraße hätte mich mehr abgeholt, aber gut.

Die Verkaufsstände mit fast ausschließlich frittierten Speisen (was nicht frittiert ist, wird geräuchert oder ist eingelegt) sind außen um den Platz rum gruppiert, so dass die Party hier wirklich unter sich bleibt. Der Kaiser Wilhelm I. auf seinem hohen Kolonialherren-Ross hat zum 33. Mal in Folge eine Cocktailbar zu seinen Füßen hingestellt bekommen.

Die Gäste sitzen an Biertischen mit Biertisch-Tischdecken und es sind auch halbhohe Kneipentrennwände mit Lampen drauf aufgestellt um die nordische Hyggeligkeit zu fördern. Auf der Karte steht unter anderem Bacardi-Cola und die Jever-Halbe (oder Alsterwasser) kostet aufrichtige 5,50 Euro plus Pfand.

Die Tüten auf dem Foto beinhalten das Beste, was es auf dem Fischmarkt zu kaufen gibt: Gewürzgurken! Knobi-, Pfeffer-, Zwiebel-, Salz-Gurke! You gotta try them all! Senfgurke kostet mehr, ist aber haptisch und geschmacklich jeden Cent wert.

Da der echte Fischmarkt in Hamburg tatsächlich nicht nur ein Feschtle, sondern immer noch ein Markt ist, gibt es auch in Stuttgart ein Teekontor und Verkaufsstände für Marktwaren.

Und Marktschreier sind dabei: Der Top-Star ist Aale-Dieter, der aber wohl dienstags schreifrei hat. Vor Ort ist er aber! Ein beeindruckender Typ mit 83 Jahren auf seinem Marktschreierrücken, eigenem Wikipedia-Eintrag, roten Hosenträgern und Fotos mit Heidi Kabel und Jan Fedder (RIP) hinten in seinem kleinen Aal-Stand. Und einer Engelsgeduld wenn Gerd aus Gerlingen ihm freudestrahlend „Mir kennet uns doch schon seit 30 Johr“ entgegen ruft.

Die Firma Moritz-Hamburg, deren Auslage hier zu sehen ist, hat für ihr Sortiment und die Gastronomie übrigens mit einer farbigen Printanzeige geworben, in der mir der Zander arg gefehlt hat.

Top-Bauwerk unter den Karlsplatz-Kastanien ist die Backfisch-Rutsche. Wir warten geduldig auf das „Hallo!“ und „Bim! Bim!“ von der Glocke im zweiten Stock, wo ununterbrochen frittiert wird und die Ware dann über die Rutsche zur Essensausgabe im Erdgeschoss gleitet. Unter den Gästen, die 13 Euro für eine Portion mit Remoulade und Kartoffelsalat investieren, ist an diesem Abend zu meiner großen Freude auch eine bekannte Stuttgarter TikTokerin. Sehr top!

Und wenn ich schon bei Social Media bin: Hamburg Tourismus hat die beiden Plastik-Matrosen John und Hinnerk mitgebracht und wer nicht mit mindestens einem von den beiden ein Foto macht, hat echt keinen Funken maritimes Gefühl in sich.

Wir essen noch was Ausgebackenes, trinken Erdbeerbowle und stellen fest, dass sich der Fischmarkt-Outfit-Trend klar zum weißen Oberteil, weg von der weißen Stoffhose, verschoben hat. „Bunt oben und bunt unten“ könnte das aber in der nächsten Saison ablösen. Ach, jede*r kann so kommen, wie man mag! Ob mit faultierförmiger oder Leoprint-Handtasche, alles darf, nichts muss.

Filmmusik von Klaus Doldinger erklingt, bei diesem Anblick:

Mir persönlich ist das linksradikale Hamburg etwas unterrepräsentiert, aber es gibt Lichtblicke!

Ein aufrichtiges „Moin!“ gebe ich für sehr viel Mehrweg-Geschirr und Gläser statt Plastikbecher. Da können sich einige Veranstaltungen in der Stadt noch ein ordentliches Stück Flammlachs abschneiden! (Beim Mülltonnen-Design ebenfalls!)

Nach drei Stunden voller Hanse-Dröhnung ziehe ich als Fazit, dass „Wat de Buer nich kennt, dat frät hei nich.“ für mich im Fall Fischmarkt voll zutraf. Bin bekehrt und komme so in drei bis fünf Jahren bestimmt nochmal wieder.

Hamburger Fischmarkt, noch bis 17. Juli, täglich ab 10 Uhr (sonntags ab 11 Uhr)

Alle guten Fotos sind von Merzy. Vielen Dank!

Auch der Tourismusbeauftragte von Albanien war im Herzen dabei! Grüße!

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