Re.flect-Kolumne von Martin Labacher: Ein Herz für (alte) Pusher

Das neue re.flect ist draußen und mir hat die Plattform-Kolumne von 0711-Martin so gut gefallen, dass wir sie freundlicherweise auch hier posten dürfen. Danke re.flect, danke Martin und Skaters for life und bis zum nächsten Bänderriss.

Skaten war mal Leben. Also so richtig, bei drei Grad Celsius und Regen unter dem Parkplatzdach vom Saturn in Tübingen Pop Shove-it üben. So richtig, den Titus Magalog dermaßen oft durchblättern, dass die Seiten rausfallen. So richtig, bei 36 Grad in der prallen Mittagssonne in Südfrankreich Rock’n’Roll üben. So richtig mit 13 Jahren halt.

Dann kam paar Jahre später parallel die Idee, dass man HipHop ja nicht nur hören und beobachten, sondern auch selber machen könnte. Und Montana-Marker. Und Caps von New Era. Und Breakdance- Versuche im elterlichen Keller. Und Hosen von Rocawear. Und JUICE-CDs. Und Stylefile-Hefte. Und von den freundli- chen Möchtegern-Dorfpunks von neben- an die Belehrung, dass Skatboardfahren und HipHop nicht miteinander zu vereinen sind. Sonst fliegt nämlich die Flasche Berentzen Apfel von der Böhse-Onkelz- bestickerten Halfpipe auf dein Samy- Deluxe-Shirt, du Missg*****!

Gut, dann halt noch eine Hose von Eck? Unlimited kaufen (bzw. ersparen). Und ein Dog-Tag, klar. Es folgten die üblichen zehn Jahre Reise über Jugendhäuser, malen, Schulreferate, selbst Musik machen, Jams, Workshops, das erste „HipHop Open“ erleben, Klamottenmarke mitma- chen, Hausarbeiten, mit der Musik wieder aufhören, veranstalten, Praktika (vom SWR zu Scotty76 zum Popbüro, scurrr scurrrr), irgendwas-mit-Kultur-und- Medien-Studium hin zum Agenturjobirgendwo im HipHop-Zirkus.

Collage von Cutmic

Spitzenmäßig. Aber dann ist man Mitte zwanzig und hat ganz vergessen, wieder anzufangen zu skaten. Ein Jahr nach dem Berentzen-Flaschen-Gate haben die Lieblings-Anarchos vom Dorf nämlich G-Unit entdeckt und schon kurze Zeit später hätte man sogar zu Sound der Looptroop Rockers weiter Heelflips üben können. Dann könnte man den heute auch stehen. Oder man hätte sich das „Mongopushen“ noch abgewöhnen können.

Blöd gelaufen. Dann also schnell festgestellt, dass man jetzt richtig flott oder gar nicht mehr anfangen muss mit den alten Knochen und dem Brettsport. Hurtig zum Skateboard-Handel des (neuen) Vertrauens spaziert und mit dem Nötigsten ausgestattet. Jetzt nur noch schnell Whats-App auf verstecktes und verstaubtes Brett-Potential scannen und mit ein bisschen Zeit und Überredungskunst einen kleinen Verteiler von Gleichgesinnten aufbauen.

So, und jetzt stehen wir da. Die ersten Runden sind wackelig, aber es geht nach einer Stunde schon wieder einigermaßen klar. Diese Stunde und die Kondition mögen sich allerdings inzwischen nicht mehr ganz so gern. Waren wohl doch ein paar Nächte zu viel über die letzten Jahre für den jugendlich-vitalen Körper. Egal, weitermachen.

Aber wohin mit uns? Nuttenpark? – Ist safe voll mit Jungs, die gut fahren. Da fühlt man sich eher mittelwohl. Botnang? – Ist safe voll mit Jungs, die wirklich echt gut fahren. Da fühlt man sich im Flat und im Weg rumtaumelnd in die Cityroller-Kids von früher hineinversetzt. So muss es denen gegangen sein. Stuttpark? – Die Wahrscheinlichkeit, dass gerade der Nachwuchs am Fahren ist und mit seinen 13 Jahre alten 1,20 Metern einen sauberen Varial Heelflip über die Backsteine zieht, ist relativ hoch. Egal, weitermachen. Die Cityroller-Kids haben auch nicht aufgehört, im Weg rumzufahren.

Mit der Zeit hat ein bisschen Recherche und diverse Erkundungstouren auf dem Rücken von Stella-Rollern allerdings einige versteckte und scheinbar vergessene Spots und Skateparks im Stadtgebiet ans Tageslicht gebracht. Klar, einen Besen für die ganzen Scherben sollte man mit sich führen, da hier heut-zutage offensichtlich mehr getrunken als geskatet wird, aber mit der Zeit freundet man sich mit diesen Seniorenheimen
des örtlichen Skate-Kosmos an. Ohne Zuschauer, schön versteckt und aus reinem Spaß an der Sache fährt sich auch der etwas roughere Park ganz gut. Ist halt auch etwas in die Jahre gekommen. Macht doch nix.

Und falls wir in Zukunft tatsächlich noch mal mehr als die alten Skills auffrischen können und einen Varial Heelflip lernen sollten, kommen wir auch wieder raus. Versprochen. Bis dahin wird G-Unit gepumpt.

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Bild Saeed Kakavand

Martin Labacher: Ehemaliger Skater aus Leidenschaft und seit jeher begeisterter HipHop-Fan, hat vor fünf Jahren als Presse- und Projektmanager bei 0711 Entertainment gestartet und ist heute hauptsächlich für das Booking und Marketing der Schräglage verantwortlich.

Cutmic (Collage): Für seine Collagen lässt sich Cutmic durch den Surrealismus, Dada und Punk inspirieren. Intensiv sollen die Arbeiten sein, gerne mal abgerissen und oft reicht ihm schon eine bestimmte Qualität in einem Foto, eine Struktur oder eine Form, um den Herstellungsprozess in Gang zu bringen. 

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