Fußball auf der Hollywoodschaukel: Kickers vs. Ravensburg 

Große Fußi-Wochen bei kessel.tv: Jetzt war ich doch tatsächlich drei Samstage hintereinander beim Spitzensport. Wobei! Das stimmt so nicht ganz: die Kickers gegen Pforzheim am 22. Spieltag und jetzt am 24. gegen Ravensburg – das war Fußball. Das im Neckarstadion letzte Woche – VfB gegen Wolfsburg – das war keiner. Da hatten die Einlaufkinder eine aggressivere Körpersprache als die Mannschaften auf dem Rasen.

Früher war das mal andersrum: da wurde in Degerloch gekickt und in Bad Cannstatt gespielt. Heutzutage ist der VfB fast schon ein De-Fluencer.

De-Fluencer sind wohl die neuen Influencer. Leute, die in sozialen Medien Produkte ausführlich kritisieren und explizit vom Kauf abraten. Sie sagen dir z.B. wie schlecht ein Shampoo ist, um über Bande Werbung für das Konkurrenzprodukt zu machen. Von dem das Ganze dann finanziert wird.

So gesehen haben der VfB Stuttgart und der VfL Wolfsburg letzten Samstag beide de-fluenced, und zusammen nachhaltig Werbung für die 5. Liga gemacht. Das Spiel auf der Waldau sollte gut und das Wetter schlecht werden, also gab’s für mich eine Premiere: statt G-Block, Stehplatz, Karte am Kassenhäuschen kaufen – hab ich mir im Vorfeld einen überdachten Tribünenplatz im Online-Ticketshop reserviert.

Ganz liebe Grüße an Verkehrs- und Digitalminister Volker Wissing: wenn man sich eine Eintrittskarte für die Oberliga am Spieltag online kaufen und in seinen Smartphone-Geldbeutel laden kann, dann ist die Digitalisierung in Deutschland erfolgreich abgeschlossen.

Und noch ein Key Learning, wie wir Unternehmensberater sagen: auf der Sitztribüne ist alles ein bisschen anders. Vor dem Spiel steht man zum Beispiel nicht am Bier- und Wurstwohnwagen des Nachbarvereins rum. Man schaut Lacrosse. Das Quidditch der Reichen, das auf dem benachbarten Sportplatz gespielt wird.

Auch sonst gilt: Tribünen-people are different people. So bleiben die meisten bei einem Tor beharrlich sitzen. Kein Wunder eigentlich, wenn man seine komplette Hollywoodschaukel-Sitzgarnitur von daheim dabei hat. 

Und noch einen Unterschied zwischen Haupt- und Nicht-so-Haupttribüne gibt es auf der Waldau: auf den Stehplätzen rechne ich eigentlich nie damit, jemanden zu treffen, den ich kenne. Mein Bekanntenkreis ist entweder so schlau, dass er gar keinen Fußball guckt. Oder so bemitleidenswert, dass sie das immer noch regelmäßig in Cannstatt tun.

Auf der Kickers-Haupttribüne hatte ich dagegen schon ein bissi Hoffnung, vertraute Gesichter zu sehen. In einer Art Promi-Paranoia bildete ich mir sogar ein, Jürgen Kramny zu erkennen, dann Bruno Labbadia und schließlich Neymar.

„Wie heißt eigentlich die Mehrzahl von Fata Morgana?“, dachte ich – und entdeckte dann tatsächlich die Kickers-Legende Porno Enzo Marchese und mein blaues Herz schlug schneller. Pornoenzo ist für mich, was für dich Krassimir Balakov ist.

Wir lagen uns kurz für ein Selfie in den Armen: „Darf ich ein Foto machen?“ „Gerne auch zwei!“ Wieviel Ehrenmann kann ein Mensch sein? Wann eigene Doku-Soap „Marchese?“

Die Investition Haupttribüne hatte sich jetzt schon amortisiert. Auch, weil man von hier vor dem Spiel einen 1a-Blick auf ein echtes Mysterium hatte: Die Spielball-Präsentations-Stehle des Werbepartners Süsse Susi.

WHAT? Während der Spielball beim letzten Heimspiel noch von der Metzgerei Kübler präsentiert wurde, parkte der Uhlsport-Ball jetzt vor dem Anpfiff plakativ also hier. Doofe Frage: Ist Süsse Susi nicht ne Mandarine?

Das Hinspiel in Ravensburg hatten die Kickers mit 0:2 verloren, der Verfolger Großaspach hatte am Vorabend 5:1 gewonnen. Das Stadion war mit 3.705 Zuschauern gut besucht und eine Südfrucht UND ein Metzgereifachgeschäft waren Spielball-Paten – es sollte also ein launiger Fußballnachmittag werden.  

Die Ravensburger hatten außerdem einen dreimeterfünfzig-großen Abwehrspieler dabei, der früh gefällt wurde, aber selbst im Liegen noch größer war als der Schiri. Herrlich. Genau wie das 1:0 durch Kapitän Dicklhuber durch einen verwandelten Foulelfmeter, den die Tribüne im Sitzen bejubelte.

Dazu gab’s wie angekündigt waschechtes Aprilwetter auf der Waldau. Im 15 Minuten-Takt wechselten Haselnuss-Allergie und Kragenhochschlagen. Pro-Tipp: Reihe 5 auf der Tribüne ist nur dann wettergeschützt, wenn das Wetter keine Mischung aus Regen und Wind ist.

Es war aber teilweise windy as fuck. Und alles schwankte: B-Block, Gegner und Fernsehturm. Die Konsequenz war das verdiente 2:0, das ich als Einziger stehend feierte. Passend dazu die Stadion-Bandenwerbung aus dem Pressehaus Möhringen für die Produkte StZ und StN:

„Gerüchte schiessen keine Tore“. (* Anmerkung: Sport-Astrologen aber halt auch net.)

Und „Die Wahrheit steht im Blatt.“ (* Oder in den Sternen) 

Dann war Pause und der Caterer ließ durchsagen, dass es ihm wichtig sei, dass die Qualität stimmt. Eat this, Aramark! Kritik sei willkommen und wenn die Wurst nicht warm und das Bier nicht vollgeschenkt wären, solle man Bescheid sagen.

Nehm ich mir zu Herzen. Ich hätte nämlich einen klitzekleinen Kritikpunkt: ich weiß, der Fachkräftemangel betrifft uns alle – aber wenn man das nächste Mal vielleicht nicht die allergrößte Blockflöte an die Pommes-Ausgabe stellt: einen jungen Mann, der ganz offensichtlich lieber von einer TikTok-Karriere tagträumt als seinen Job zu machen, das wäre fein.

Und wo wir gerade bei Verbesserungsvorschlägen sind: darf ich mir beim DJ ein Lied wünschen? Nicht falsch verstehen: „Siegen kann man nicht befehlen, aber spielen kann man gut. Heya heya Kickers vor, heya Kickers noch ein Tor“ ist großartig. Eine Hymne wie vor 50 Jahren. Aber diese Eurodisco-Bumsmusik nach dem Tor – das muss echt nicht sein.

Da ja inzwischen recht oft recht viele Tore in Degerloch fallen, kommt man sich sonst ein bisschen vor wie im Dancing Club Palazzo in Freiberg. Nur, dass um dich rum alle sitzen.

Und auch die Rausschmeisser-Musik müssen wir bitte nochmal diskutieren: „Ich bin schon wieder blau wie der Enzian. Und ich glaub, dass ich fliegen kann wie Peter Pan.“ Leute, checkt bitte nochmal Eure Spotify-Playlist da oben auf der Waldau. Man geht sonst nach einem sehr unterhaltsamen Nachmittag mit so einem flauen Speigefühl nach Hause.

Für einen Augenblick war übrigens der Tickerrechner verwaist. Eigentlich der perfekte Moment, um ihn zu kapern und zu tickern: „kessel.tv is in da house. Und ihr Aspacher könnt noch so viel Blinker links setzen und Lichthupe machen – Auffahren sieht anders aus. Die Kickers haben nach wie vor 10 Punkte Vorsprung.“

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