Er kam mit dem Bollerwagen

Einmal im Jahr wird der Kräherwald gerodet und Stuttgart bekommt neue Gelbe Seiten/Telefonbücher. So sah das dann gestern Abend auf der Ghetto-Briefkasten-Anlage meines Ghetto-Hochhauses aus. Meine Fresse, dachte ich mir, die Runde Tetris kann man sich langsam echt sparen.

Mit dem Bollerwagen sei der Herr gekommen und hat überall durch geklingelt, meinte meine Freundin, und wollte seine heißbegehrten Schwarten direkt in die Wohnungen ablegen, die zugebenermaßen etwas dünner geworden sind als noch vor einigen Jahren.

Ich kann mich noch an eine Wette in Wetten dass…? erinnern, als ein Typ mehrere von den Dingern im Akkord und in einem Ruck quer auseinander gerissen hat. War ich ganz schön beeindruckt damals. Ist aber auch schon wieder ganz schön lange her. 1993 war das um genau zu sein. 50 Telefonbücher a 1000 Seiten. Hab nen Bild gefunden.

Franz Bierbaum hat es geschafft.

Außerdem fällt mir gerade ein, in meiner Grundschulklasse war der Sohn der Gelbe-Seiten-Drucker. Die Windhagens. So hießen die. Windhagen klingt doch schon irgendwie total nach Familiendynastie und Reichtum oder etwa nicht?

Wir dachten zumindest damals, dass die Windhagens reich sein müssen, zumindest den vielen Spielsachen vom Markus (so hieß mein Klassenkamerad) und dem Anwesen nach zu urteilen. War aber nicht so groß wie die Villa der NANZ-Tochter, die ebenfalls in meiner Grundschulklasse war (Sandra, klein, goldig, blond, waren alle scharf drauf, gute Partie und so). Und immerhin druckten die Windhagens ja die Gelben Seiten!

Was Markus heute wohl so macht? Hatte es nicht immer leicht, stand glaub früh unter Druck seitens seiner Eltern, auf jeden Fall aufs Gymi, später vielleicht Firma übernehmen und so weiter, war aber schon ein guter Kerl.

Auf Facebook oder Xing ist er nicht, such ihn gerade, hätte ihn jetzt gerne geaddet. Huhu, kennsch mich noch?! Hast mich zwar nie auf deinen Kindergeburtstag eingeladen, aber können wir trotzdem Freunde sein? Und was machste so? Druckste noch die Gelben Seiten? Grad heute wieder welche bekommen! Voll toll, muss jedes mal dabei an unsere gemeinsame Grundschulzeit denken.

Wie man also sieht, sind die Gelben Seiten und ich dicke Kumpels. Zwischen uns gibt eine Verbindung. Eine Brücke fürs Leben. Wir ziehen uns an wie ein Plus- und Minuspol. Wir sind immer füreinander da. Wir sind eins. Wir sind gelb.

Trotzdem schau ich nie rein. Vielleicht liege ich einfach außerhalb der Zielgruppe. Soweit ich mich erinnern kann, habe ich einmal die Gelben Seiten nach einen Klempner durchforstet.

Und ganz ehrlich: Falls man mal überhaupt eine private Nummer ausfindig machen will, wer schaut da bitte in ein Telefonbuch voller klein gedruckten Seiten aus Mikrogrammpapier? Ich bevorzuge da nicht mal das Internet, sondern schon immer die gute alte grundsolide Auskunft.

Du bekommst also die Dinger, legst sie in einen davor vorgesehenen Platz, also z.B. unter dein Telefon. In irgend so ein Schränkchen. Meinetwegen vom Opi geerbt, für 19 Euro beim Ikea gekauft oder aufm Sperrmüll gefunden.

Da liegen die Bücher dann das ganze Jahr, eventuell benötigst du sie mal als Türstopper, Fliegenklatsche, Schnitzelklopfer, für SM-Spiele oder im Herbst gar als Blätterpresse, also falls man Blätter pressen tut (macht doch tatsächlich meine Mutter, hat sie mir mal ganz stolz gezeigt, beim heiligen Töpferkurs!) und wenn die Neuen kommen, dann schmeißte die Alten weg, obwohl sich wahrscheinlich so gut wie nix geändert hat und du nicht einmal im verdammten letzten Jahr reingeschaut hast.

Vielleicht haben es sich manche Mitbürger zur Jahresaufgabe gemacht, Seite für Seite zu analysieren wer dazugekommen/weggezogen/gelöscht werden wollte, aber ich behaupte ein Großteil ist direkt für die Tonne produziert und das schon seit vielen Jahren. Man nennt so was auch Verschwendung.

Die Gelben Seiten wie auch das örtliche Telefonbuch druckt heute übrigens der Württemberger Telefonbuch Verlag, der Name Windhagen ist nirgendwo vermerkt. Die machen sich bestimmt frisch. Im nächsten Leben werde ich Telefonbuch-Drucker.

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19 Comments

  1. says: julia

    ne halskrause hatte der bücher-im-bollerwagen-austeiler übrigens auch. wahrscheinlich vom vielen bücken, bücher hochheben und auf briefkästen legen 😉

  2. says: Thorsten W.

    Ich hab mich echt heute auch gefragt, ob man wirklich noch jedem Haushalt den Schinken unbestellt bringen muss – oder ob die paar Omas, die das noch brauchen, den nicht selber bei der Post abholen können. Was man da Geld sparen sollte.

    Ne Zeit lang hab ich noch den Stadtplan in den Gelben Seiten genutzt, wenn ich ne Adresse gesucht hab, aber seit Google Maps landet das Teil immer direkte im Müll.

  3. says: Jana

    Danke! Danke! Danke!

    Ich hab mich gestern auch gefragt, ob ich eigentlich verpflichtet bin, mir eines der Dinger mit in die Wohnung zu nehmen oder ob die entsorgt werden, wenn die übrig sind.
    Ich hab ja keins haben wollen.

    Ich hab meins jetzt einfach liegen lassen.

  4. says: Joris

    Also ich hab mich auch ewige Zeiten gewundert wer das Teil noch braucht, hab es dann aber doch genutzt um einen Elektriker zu suchen, als keine Saft in der Wohnung war (also auch kein Internet). Da will man dann auch nicht die Auskunft anrufen und sich zehn Nummern geben lassen.

  5. says: b.ernd

    was ich ja noch viel geiler finde is das bild von dem typ der die bücher zerreisst, ich erinner mich noch dran an die „wetten dass… – folge“, man das nun auch bestimmt schon 15 jahre her oder so, aber goldlöckchen sitzt immernoch tapfer auf seiner couch 🙂

  6. says: julia

    aber ne zeitlang hat man die sich doch bei bedarf auf der post geholt oder? wundert mich, dass die jetzt wieder oder noch ausgetragen werden. mal sehen, wieviele von dem stapel oben in einer woche noch da liegen 😉

    ob der nachbar sich wohl schon ein exemplar geholt hat? 😛

  7. says: MethodMan

    meine Infos sind leider auch nicht mehr die neusten aber mein letzter Kenntnistand ist folgender. Er hat es bis zum Berufssohn geschafft und hat damals so etwas mit Music gemacht – ich glaub Tonstudio oder soo. Auf jeden haben seine Eltern gegenüber der alten Villa eine schnuckliges Haus gebaut (wirklich sehenswert und nicht zu übersehen) und er durfte mit Oma (sie lebte damals noch) das alte Häusle bewohnen. Ach so und versuch es mal nicht mit hagen sondern mit hager ;-). Und wenn ich richtig informiert bin haben die damals noch bevor das mit dem Internet losging den Verlag verkauft.

  8. says: Jana

    Es ist unglaublich. Irgendeine Nachbarin hat mir das Ding jetzt direkt vor die Tür gelegt, weil ich’s als einzige meinen Schmöcker nicht eingesammelt habe.

    Der Rest in unserem Haus ist von den Dingern also noch überzeugt.

  9. says: Sonja Sonnenschein

    Haha! Ich hatte mal mit meinem Nachbarn eine Art Telefonbuch-Battle. Ich hab die Tüte mit dem Telefonbuch und den Gelben Seiten nämlich einfach vor meiner Tür im Hausflur liegen lassen. (So dreist waren die bei uns – nix mit unten bei den Briefkästen deponieren, nein! Die wussten, dass die sonst kein Schwein mitnimmt und haben die Dinger deswegen direkt vor die Türen gelegt!) Irgendwann hat er mir die Tüte einfach an die Haustürklinke gehängt. Ich hab sie an seine Klinke zurückgehängt, zusätzlich hab ich noch mein restliches Altpapier dazugepackt. Die Antwort erfolgte am nächsten Tag mit einer Tüte an meiner Klinke, in der der ganze Schund plus sein Telefonbuch/Gelbe Seiten drin waren. Das ging ne Weile täglich hin und her, hab ihm die Bücher als Variante auch mal in den Briefkasten gesteckt, hinter seinen Autowischer geklemmt und ich hatte die Bücher mal mit Klebeband an meine Tür befestigt hängen. Besonders witzig war, dass er die Aktion in ner Samstagnacht durchführte und auch mein Schlüsselloch verklebte (durchsichtiges Klebeband wohlgemerkt) in dem sicheren Wissen, dass ich unterwegs bin und Sonntagmorgens in nicht mehr wirklich frischem Zustand wieder auftauche. Und seine Rechnung ging auch auf. Ich habe ewig gebraucht bis ich’s geblickt habe und in meiner Wohnung war. Das Ganze endete damit, dass er die Bücher schön eingepackt in Geschenkpapier zu seinem Geburtstag wieder bekam. Seither ist Ruhe und ich warte auf die Rache. Ihr seht, man kann mit dem vermeidlichen Altpapier viel Spaß haben und die nachbarschaftlichen Verhältnisse auffrischen.

  10. says: Anja

    Ich bin seit 2 ganzen, verdammt langen Monaten ohne Rechner und würde gelbe Seiten mit Kußhand nehmen. Aber bei mir im Haus sind die noch nicht angekommen.
    Habe mich aber neulich erst gefragt wer zur Hölle sich noch in Telefonbücher eintragen lässt.

  11. says: JoJo

    Habe gerade im Text was von Bollerwagen gelesen. Also in unserem Bollerwagen Test kann man prüfen, ob denn der gewünschte Bollerwagen überhaupt einem Transport von „gelben Seiten“ oder Zeitungen aushält;-) Die Höchstzuladung ist oftmals gar nicht so hoch und bevor die Kiste in die Kniee geht, sollte man sich was vernünftiges anschaffen. Auf dem Markt ist leider viel minderwertige Asienware. Der Eckla Bollerwagen aus Holz wäre z.B. eine gute Alternative: http://www.mein-bollerwagen.com/eckla-ecklatrak-long-trailer-test Der Wagen ist Made in Germany und schafft mindestens 150 kg(!). Viele Grüße Jojo

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