Coronavirus: Die Kurve flach machen

Reup: Heute vor einem Jahr, Setzers Masterpiece zum ersten Lockdown.

Gute Nachricht: Drüben bei Facie gilt jeder als Krisenexperte, der The Walking Dead NICHT nach der vierten Staffel abgebrochen hat. Da falle ich elendig durchs Raster, habe irgendwann fast allen Darstellern gewünscht, dass sie doch bitte endlich von Zombies gebissen werden. Besonders dieser schreckliche Polizist.

Das sind keine guten Vorraussetzungen, eine Serie anzugucken. Für den Weltuntergang auch nicht. Jetzt stehe ich da wie der letzte Amateur, keine Ahnung von der Apokalypse. Es ist furchtbar. Das Virus und das Maß an öffentlichem Klugschiss und selbstgerechter Profilschärfung von Idioten bringen jeden anständigen Menschen derzeit zur Verzweiflung. Die einen Deppen kaufen Klopapier, die anderen schreien „Fuck Corona“.

Gestern waren sie noch, jajaja, alle Fußballtrainer, Migrationsexperten und heute ist alles voll von Virologen und Schwacherbsen, die schon ihre fünfte Apokalypse durchmachen und munter ihre Survival-Tipps in The Internets (George W. Bush) hauen. Und sie kaufen Mehl. Schade eigentlich, dass man sich ausgerechnet jetzt nicht mehr ins Gesicht fassen soll. Selten gab’s mehr Gründe zum spontanen Facepalm.

Und natürlich bin ich mir sicher, dass da draußen auch noch Leute herumspazieren, die annehmen, das Coronavirus sei ungefähr so groß wie ein Tennisball, nur nicht so flauschig und eher mit so roten Knubbel dran. Gefahr gebannt. Ich hab nix gesehen, so wie der Beckenbauer damals Sklaven in Katar.

Und außerdem: lieber erst mal bei Xavier Naidoo und Til Schweiger die Meinung einholen, bevor man überreagiert, beim Antifaschismus oder diesem „Corona Hype“ mitmacht.

Frühlingsfest auf dem Wasen ist abgesagt, mir geht’s auch am Arsch vorbei. Ich weiß aber, dass es vielen Leuten nicht am Arsch vorbei geht. Und da denke ich jetzt weniger an Leute, die besoffen im Bierzelt was zum Bumsen suchen, sondern an die, die auf dem Wasen sonst innerhalb von zwei Wochen ihre Miete für Monate verdient haben. Bierkrüge schleppen, Schausteller, Tontechniker, Musiker und so weiter.

Und ich denke auch an die Künstler, die jetzt nicht im Club oder den Hallen spielen. An die Künstler, die fest mit den Einahmen gerechnet haben, um sich und ihre Familien durchzubringen: Gage, Merchandiseverkauf und so weiter.

Und da sind die Leute, die Clubs betreiben und weil von Nichts Nichts kommt, stehen sie jetzt vor dem Nichts. Niemand will da stehen. Das ist ein Scheißort. Mein Lieblingsort, das Goldmarks – auch geschlossen. Natürlich.

Die Politik wird sich ab jetzt daran messen müssen, wie sie diesen Leuten aus der Misere hilft, von einem Tag auf den anderen keine Lebensgrundlage mehr zu beziehen.

Es ist trotzdem gut, dass diese Veranstaltungen nicht stattfinden. Vergangene Woche war ich bei Napalm Death im Wizemann. Man muss mich vor solchen Veranstaltungen schützen. Da waren so viele Leute, die ich gerne treffe. Und weil das in meinem Kopf nunmal so ist, hab ich auch alle umarmt. Ich kann nicht anders, beziehungsweise denke natürlich nicht an Corona, wenn ich mich gerade freue.

Jeden Morgen. Ich werde von einem Einjährigen wachgelabert, wahlweise auch getreten und denke dann „Orr!“, dann „Yeah!“, dann freue ich mich und dann erst fällt mir ein, dass das gerade alles überhaupt nicht so lustig ist da draußen. Sag ich dem Kind natürlich nicht – der soll Spaß haben.

Es gibt vermutlich auch viel Schlimmeres auf der Welt als so eine Pandemie, sich aber maßvoll zwischen Apokalypse, „Scheiss drauf!“ und „Vorsicht!!“ einzupendeln, schadet jetzt gewiss nicht. Corona ist irgendwie wie Neuschnee auf der Bundesstraße. Ich habe nie Angst, dass ich irgendwo gegenschliddere. Eher, dass jemand in mich reinkracht.

Lieber jetzt ein bisschen vorsichtiger sein, damit wir später mal ein paar tolle Geschichten zu erzählen haben. Wie wir zusammengerückt sind, trotzdem Abstand gehalten und uns nicht gegenseitig ins Gesicht gespuckt haben. Geschichten, wie gut wir miteinander umgegangen sind. Wie wir „Gesundheit!“ gesagt haben, wenn jemand geniest hat, anstatt böse zu schauen. Wie wir vorsichtig, aber nicht doof und nicht paranoid waren.

Ich hätte gerne Heaven Shall Burn live gesehen, Kreator auch, hätte gerne Platten im Goldmarks aufgelegt, selbst Konzerte gespielt, im 42er-die Haltegriffe abgeschleckt und eure Armbeugen geküsst. Ist gerade aber nicht drin. Wir verschieben das.

Außerdem: Ich, ich, ich – ich glaube bei Corona geht’s nicht in erster Linie um mich. Flatten the Curve und so. Nicht alle gleichzeitig krank werden. Und es geht darum, das Defizit im katastrophal kaputtgesparten Gesundheits- und Pflegewesen abzufedern. Verantwortungsvoll zu sein. Scheiß Wort, ja. Aber trotzdem geil.

Ziemlich gut: Ich brauche momentan keine doofen Ausreden zu töpfern, weshalb ich nicht zum Sport gehe. Seit Samstag sind auch die Fitnessstudios dicht. Ich: „Orr, menno“ *lol*

Ich sehe Corona jetzt erstmal als Chance: Die Arschlöcher sind leichter zu erkennen. Bis dahin: bitte cool, gesund und Mensch bleiben. Und natürlich: Christian Drosten zuhören. Der ist spitze. Ihr auch.

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13 Comments

  1. says: Akoe

    Micha, es tut mir leid. Ich glaube Gott hat den Virus wegen mir geschickt. Weil ich es seit einem Jahr nicht auf die Kette bekomme meine Messibude aufzuräumen. Ich schwöre die Vorstellungsfreie Zeit zu nutzen, um das zu erledigen!

    War heute drei Stunden (alleine) im Wald. Was soll ich sagen? Die Stadt war leer, der Wald voll.

    Was mich dein Text lehrt? Egal wie es kommt, auch wenn der Arsch schmutzig bleibt, nur nicht den Humor verlieren. Chapeau!

    Liebe Grüße, auch an Martin. Passt auf euch auf.

  2. says: Setzer

    Dankeschön! Hund sagt auch: „Ganz schön was los im Wald!“. Der Einjährige hält Aufräumen derweil für großen Quatsch, hat da ein System entwickelt, das mir imponiert: ALLES schön am Boden ablegen. Alles. Jeden Tag aufs Neue. Oléolé.

  3. says: Akoe

    Micha Setzer, oh Mann. Ich beneide dich, sowohl um Hund, als auch um Kind. Da ist wenigstens was los in der Bude. Mir fällt die Decke auf den Kopf. Jetzt bitte jeden Tag eine Kindskopfkolumne online. Ich lechze nach Texten, die lebensbejahend, witzig und positiv sind. Und sich nicht um Viren, Shutdowns und finanzielle Existenzsorgen drehen.
    Wenn die Scheiße vorbei ist, komme ich zum Headbangen und Mexicaner trinken vorbei. Hug

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