52 Albums/23: Massive Töne „Kopfnicker“

Es ist hierzulande eine weit verbreitete Meinung, dass „Bambule“ von (Absolute) Beginner das beste deutsche HipHop Album ist – wenn vielleicht auch nur in einem gewissen Zeitfenster.

Deutscher Rap hört für die einen spätestens in den Jahren 2001/2002 auf zu existieren, ausgenommen natürlich solcher Glanzlichter wie „Blast Action Hero“ (wieder Beginner, 2003).

Für die Jüngeren ist zu diesem Zeitpunkt HipHop in der Muttersprache, Stichwort (Berlin-) Gangsta-Rap, etwas völlig neues. Meine “Generation” hat dieses Genre meist ausgeblendet, auch wenn einiges davon, zumindest was die Produktion angeht – wahrscheinlich – nicht das Schlechteste war/ist.

Ich selbst weiss nicht mehr, wann ich zuletzt überhaupt ein deutschsprachiges Album gekauft habe. Ich denke, es war besagte “Blast Action Hero”. Aber ich weiß, dass was ich weiß, das weiß ich, um es mit den Stieber Twins zu sagen, dass „Kopfnicker“ von Massive Töne das beste HipHop Album aus diesem Land ist.

In dieser Aussage, darauf lege ich sehr großen Wert, schwingt keinesfalls Lokalpatriotismus mit, sondern ist meine feste Überzeugung. Dass diese Band aus dieser Stadt stammt, war lediglich ein logistischer Vorteil schneller „an die begehrte Ware“ zu kommen.

Massive Töne waren 1996 mehr oder weniger ein lokales Phänomen. Wäre man meinetwegen in Flensburg aufgewachsen, hätte man von den vier Schwaben vermutlich als erstes Lebenszeichen “Chartbreaker” vernommen. Auch wenn “Kopfnicker” unter Heads deutschlandweit relativ schnell die Runde machte, hatte man als Stuttgarter doch frühzeitiger als andere einen Zugang zu diesem Werk.

An einen nationalen „Presserummel“ oder gar „Medien-Hype“ seinerzeit kann ich mich nicht erinnern. Das war eher so: „Massive Töne treten in der Röhre auf und stellen ihr neues Album vor,“ erzählte mir mein guter Kumpel Andi Ludmann eines Tages im Herbst 1996. Er hat sich am selben Abend die CD gekauft. Und der Flash nahm seinen Lauf.

Letztendlich ist es wahrscheinlich nur eine Fußnote, ob diese Platte im Stuttgarter No Se Studio (von Philippe Kayser/Freundeskreis) und im Münchner Mcon Studio aufgenommen wurde.

Gut, wären Schowi, Wasi, Ju und 5ter Ton in der Einsamkeit der Eifel aufgewachsen, lägen die Dinge höchst wahrscheinlich anders. Eine Großstadt-Sozialisation, auch gerne in Form von Vorstädtertum, namentlich Botnang, Feuerbach und Weilimdorf-Pfaffenäcker, war für solch ein Album schon von Nöten – und ist freilich auch hörbar.

Trotzdem: Es ist nicht wo du bist, es ist was du macht – der Inhalt war ortsunabhängig und schlicht und einfach gut, wenn nicht sogar brillant.

Zum ersten Mal fühlte ich bei einem deutschen HipHop-Album das was ich bei anderen vermisst habe; „Kopfnicker“ konnte in einer Zeit, in der die aktuellen Alben von De La Soul, A Tribe Called Quest, Redman, Wu-Tang oder dann auch Jay-Z das Business beherrschten, klanglich international mithalten. Bildeten wir uns zumindest ein damals. Und das ist die aussergewöhnliche Leistung dieser Platte, ganz zu schweigen von der emotionalen Komponente.

Ich glaube, wenn es jemals ein „Soundtrack of my Life“ gab, dann „Kopfnicker“, die noch Jahre nachhallte und insbesondere im Frühjahr und Sommer 1997 sich als Hit in meinem Freundeskreis etablierte. Im Prinzip konnte man alle Texte schnell auswendig.

Das liegt mitunter an der phänomenalen A-Seite (oder den ersten drei Stücken, hat man die CD). Der minimalistische Titeltrack machte sofort klar, dass hier eine Platte vorliegt, die nicht Deutschland als Massstab nimmt, sondern „the great country“.

Auf „Kopfnicker“ folgte „Nichtsnutz“, wie alle Songs feinster Sample-HipHop, und dieser Tune traf völlig unseren Nerv, unser damaliges Lebensgefühl. Wir waren um die 20 Jahre alt, hingen allesamt in einer Art Übergangszustand irgendwo zwischen abgeschlossener Schulzeit, Zivi und bevorstehendem Studium oder Ausbildung und hatten keine Ahnung „wohin die Wege führen, die ich gehe.“

Wenn wir die Platte nicht am Skatepark hörten, dann im Auto, und immer wenn „Nichtsnutz“ lief, war Ruhe in der Karre. Jeder rappte leise das Lied vor sich hin und man hat es allen angesehen: genau so sieht es aus. Was soll nur aus mir werden?

Der heilige Gral dieses Albums ist selbstverständlich die ultimative und die letztendlich einzig wahre Stuttgart-Hymne „Mutterstadt“, wenn auch die fabelhafte Bildersprache nur Ortskundige verstehen und gerade heutzutage, in den Zeiten des „neuen Stuttgart“, noch mehr Gänsehaut auslöst als damals.

Weitere Klassiker sind Schowis Solo „Dies und Das“ im Mainconcept Remix, wie auch Ju´s Einsatz „Jurastapark“ („hey gemeint bist du / Kopfnicker seid ihr unten mit Ju / willkommen im Park im Paradies / schließ deine Augen und genieß“). Und über „“Trend II“, einen humorvollen Abgesang auf Raver, Landeier, Proleten und verwöhnte Modepüppchen („Wer sich kein Brot kaufen kann der kaufe doch Kuchen“), lacht man sich immer noch scheckig.

Unvergesslich auch der entspannte Homie-Abbinder „Schoss der Kolchose“ feat. Afrob, Max – und ja – meinem Nachbar Emil am Mic. Ein großer Rapper, der Nachbar. Man muss genau hinhören um sein Stimme herauszuhören, wenn man ihn heute kennt.

Der Liedname wurde die Jahre darauf zum geflügelten Begriff und Synonym für die hiesige HipHop-Szene. Heute ist leider nix mehr mit Kolchose und die Massiven geben auch immer weniger, bis eigentlich gar keine Lebenszeichen von sich, sieht man mal von dem Remix für „Picknicker“ auf dem Fanta 4 Tribute Dingens ab.

Man steckt ja selbst nicht drin, aber wenn es irgendwie möglich gewesen wäre, hätte meines Erachtens „Kopfnicker“ 2006 zum 10jährigen eine Würdigung in Form einer kleinen, vielleicht neu gemasterten Sonderedition mit schönem Booklet etc. verdient.

Vielleicht dann zum 20jährigen. Immerhin ist es das beste deutsche HipHop Album.

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32 Comments

  1. says: Tobi Tobsen

    über-album! weiss noch, dass wir, glaub 1997, von der schule aus mit den massive ein interview hatte… mann mann, wir kamen uns vor wie könige! so als kleine pisser die großen idole, die man sonst immer nur vorm radio barth sah, ausfragen.. ach, waren das noch zeiten 😀

  2. says: K.

    auf jeden fall mit bambule an vorderster front der besten deutschen hiphop-alben. auch noch aus der zeit und sehr sehr gut: „fenster zum hof“ von den stiebers aus heidelberg. das waren die zeiten als man abi machte und sich bei nichtsnutz aus der seele gesprochen fühlte. und mutterstadt höre ich immer noch dreimal hintereinander wenn ich stuttgart vermisse. ich glaub es gibt wenige platten in meinem regal, die so abgenudelt sind, wie das kopfnicker-album. gekauft hatte ich es damals im imports bei milla & co. und das konzert in der röhre im herbst 96 war eine initialzündung. das bo, die krähen und hausmarke waren auch am start. „straight from the heart, represent Stuttgart“ wer hat eigentlich noch eine platte von diesem posse-track für mich über? ich beiß mir bis heute in den arsch, dass ich diese whitelabel-pressung damals bei dem konzert nicht gekauft habe.

  3. says: Busyicer

    auch mein liebstes deutschsprachige hip hop album!
    höre es jetzt noch sehr sehr sehr sehr sehr sehr sehr sehr gerne!

    ich weiss das meine freunde und ich bei fast jedem scheiss konzert im umkreis waren…

    aber der über track von ihnen ist immer noch unterschied!

  4. says: Tobi Tobsen

    „wir sind higher als der himalaya“ <- einfach klassiker

    ach, aus der zeit – also so um die 2000 +/- 2-3 jahre sind einige hammer deutsche hiphop alben raus gekommen..

    bambule, gefährliches halbwissen, deluxe soundsystem… ach – das war einfach brutal damals!

  5. says: Diversion

    DANKE DAFÜR!! Absoluter ALL TIME FAVORITE!!!

    Der Song “Straight from the heart, represent Stuttgart” ist auf der B-Seite von Enfants Terribles vom Freundeskreis. Hat jemand zufällig „Wenn der Kolchmob tourt“? War ein Posse Track auf der B-Seite von „Wenn der Vorhang fällt“.. 😉

  6. says: alex

    Oh Gott, wie ich dir zustimmen muss. Ich sass als kleiner Pisser im Auto von einem grösseren Bruder eines Freundes und wir &&fften, und dann legte er diese Scheibe ein.
    Stimmt nicht, zuerst kam Ahmet Gündüz von Fresh Family und dann Kopfnicker. Ich war förmlich platt 😉 Sprachlos, Bedingungslos kaufte ich diese CD und war nicht mehr aus dem Laden zu kriegen.
    Die Texte kenn ich heute noch alle auswendig und mit Schowi hatte ich schon manche Diskussion die mir danach auch leid tat, was den eigentlich ab geht. Wie kann man so viel Flow auf eine Platte ritzen und danach nur noch unglaublichen Müll produzieren?
    Was läuft da im Herzen und Kopf eines Künstlers ab?

    Wie kann man so was raushauen:

    der joint in unserer runde von lunge zu lunge
    wechselt beweist daß der freundeskreis noch immer zusammenhält wie zur ersten stunde
    und jedermann der annahm die kolchose wär ’ne eintagsfliege war einfach stupide
    wir sind noch immer familie wir sind die kinder sie könnte unsere eltern sein
    schule arbeit und altersheim all das kann kein traum sein ich glaub’s kaum aber es ist wahr (auf jeden fall)
    wie es war wie es ist und morgen sein wird,
    man listen ich hab‘ ’n faible für neue levels texte in meiner bibel verbissen um mein niveau zu verbessern nur so wie wie wir wissen wird was erreicht
    ein dank an den der mir gleicht und mir das wasser reicht
    ich brauchte jemanden der reichlich feuer zeigt bis es raucht
    euch den mob der nie von meiner seite weicht
    seither weiß ich woran ich bin sieh mich an ich represente benzstadt wo und wie ich kann
    kind versuch zu brechen was Brecht ist, geht nicht
    überleg‘ doch totzuschweigen was dich überstimmt
    stimmt die leidenschaft die sich jeder hier zu eigen macht
    zu scheinen und dabei selbst zu sein
    wir bilden in dieser gegend den gegenpol
    eben weil die welt nun mal für neunmalkluge zu klein ist
    erzähl ich aus der seele von den homes nicht von der scene
    leg‘ meine faust in die glut für jeden von ihnen

    ….ich vermisse es sehr, den Freundeskreis, Skills en Masse, Breite Seite, Tony, Torch die ganzen Affen…..

    Wer weiß den überhaupt noch wer Kimsi war?
    Lieblingszeile: ..:Gebt uns die höchste Leiter wir erklimmen sie,
    Wir sehn uns wieder wieder bei Viva ne lieber Kimsi, sind wie Sinties immer auf der Reise….

    Oder: ..Mädchen mit Zöpfen, die zu Pop hüpfen, wir machen Nägel mit Köpfen….

    Sorry für den langen Post, aber der Martin hat hier eine großen Nerv getroffen 😉

  7. says: näna

    kann nur zustimmen, riesen album! aber eben auch die bambule-scheibe der beginner und wie ich finde esperanto vom freundeskreis. auch ganz großer sport, auch wenn weniger rap-lastig. jaja, die guten, alten zeiten…

  8. says: Jan Jansen

    Jetzt les ich hier seit Monaten mit und heute sitz ich da und denk mir: „Hey, der Text hätte von dir sein können!“

    Ich war zwar damals net Anfang zwanzig sondern noch paar Jahre jünger, aber die Zeit und die Musik prägt mich noch heute…Hab mich eben erwischt wie ich beim durchlesen vom Text von „Schoß der Kolchose“ mit dem Kopf genickt hab und mitgerappt hab..

    Ich sags mal mit den Worten von Dende: “ Vom Vintage verweht!“..

  9. says: Rene

    Nach langer Sommerpause mal wieder bei kessel.tv und ich muss sagen: Danke, danke für alle Posts! Mit 26 Kommentaren zurück in die Vergangenheit. Allein wenn die Geschichten, die ich mit Bambule und Kopfnicker erlebt habe….gibt´s hier ne Zeichenbeschränkung! So viele Nächte die Lieder in der Karre gehört, dann ordentlich buntes Blech in Rollen gebracht und dann bei Sonnenaufgang mit aufgedrehter Anlage zurück….
    Muss Kollege alex Recht geben, ich vermisse es auch so sehr. Die unglaubliche Energie, mit der wir damals Gas gegeben haben, egal ob mit braken, malen oder auch rappen. Die Reisen an jedem Wochenende in andere Städte.
    Geiles Gefühle, die Zeit miterlebt zu haben!

  10. says: young Felix

    Weltklasse Album! War leider damals grad erst 5. Das Album ist toll gealtert. Kann man heute noch anhören und macht richtig Sinn. Eine Re-Edition wäre richtig nice. Digital remastered, schönes Booklet, T-Shirt und vielleicht sogar einem neuen Track. Das wäre was!

  11. says: Kev

    Kimsi war eine MTV Moderatorin aus der Stuttgarter Nachtszene die Anfang der Neunziger dort als Sternchen gefeiert wurde. Bin heute 48 Jahre und war mittendrin. Die Beste Zeit meines Lebens und eine andere Welt. Nützt aber nix. Heut ist auch gut, nur anders. “ Es ist nicht wo Du bist, es ist was Du machst “ . ?

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