Restekicken: Der VfB Stuttgart und die Abstiegsangst

Wird das noch was mit dem Fußball? Das mit den Hashtags habe ich beim VfB Stuttgart schon abgehakt. Erst das katastrophale #mirschaffendas und dann #deinbartfuerstuttgart. Funktioniert so: Der Rasierer soll im Schrank bleiben bis der VfB Stuttgart den Verbleib in der ersten Liga gesichert hat.

Bei der innerstädtischen Bartdichte ist das ein bisschen, als fordere man die Mitbürger auf, sich bitte einen zweiten Arm wachsen zu lassen. Aber wahrscheinlich glaubt der VfB Stuttgart bereits jetzt schon, auf einer Welle der Sympathie zu surfen. Am Tatti und Marienplatz wird derweil auch laut gelacht. Bei uns ist immer Bart, Ihr Vollpfosten. Im Stadion wiederum freut sich nur noch der Gegner. Der VfB wurde vergangenes Wochenende von Freiburg in den letzten Minuten rasiert.

Aus reiner Boshaftigkeit wünsche ich mir seit Wochen, dass die Stuttgarter Kickers in die 2. Bundesliga aufsteigen. Auch weil ich dann mal meine coolen Freunde im Stadion sehen würde – einige davon gehen zu den Kickers. Bitte nicht verwechseln mit denen, die zum Jazz gehen. Sie haben nur eines gemein: mehr Spaß als VfB Fans.

Den schlimmsten Fall für den VfB habe ich mir auch schon aufgeschrieben: „Relegationsspiele gegen Karlsruhe verkacken. Auftaktspiel Zweite Bundesliga – 0:3 gegen die Kickers verlieren. Verdient.“

Ich habe das tatsächlich auf einen Zettel geschrieben, zuzüglich der VfB-Begegnungen, die in dieser Saison noch anstehen. Restekicken. Nichts von alledem macht Hoffnung oder Freude.

Auf dem Zettel steht zum Glück auch: „Ficken. Bumsen. Bahlsen“.  Das habe ich mal in einem Titanic-Artikel gelesen, völlig vergessen, dann wieder gefunden und aufgeschrieben, damit ich es nicht schon wieder vergesse. Kekse hab ich sehr gerne und wenn keine zur Hand sind, müssen mich eben derartige Einzeiler aufheitern. Zuversicht ist schließlich wichtig.

Beim VfB klingt das immer so: „Also, der VfB ist eigentlich viel stärker und gehört nicht in den Tabellenkeller.“

Selbst der Abstieg würde daran nichts ändern. Dann ruft man sich künftig eben auf dem Gang zu „Also, der VfB gehört eigentlich nicht in die 2. Bundesliga.“ Und dann gibt der Verein wieder Vollgas und trifft Entscheidungen, die selbst Kreisligisten zu hohl wären.

Alleine das Gegurke um den neuen Trainer ist reif für den Quatsch Comedy Club: irgendeiner reisst die Klappe auf und bestätigt Alexander Zorniger als künftigen Trainer – und noch bevor die Klappe wieder zu ist, brüllt der Rest des Vereins „Stimmt gar nicht, Hansi“.

Das Gerangel um Trainer Thomas Tuchel war noch unwürdiger: „Holt den Besten nach Stuttgart!“, wurde da sogar von Fans petitioniert. Als ob die Besten gerade nix besseres zu tun hätten, als ausgerechnet beim VfB Stuttgart Schlange zu stehen.

Ich befürchte trotzdem, langsam abzustumpfen. Mindestens zehn Niederlagen und drei dämliche Unentschieden gingen annähernd klanglos an mir vorbei, beziehungsweise: ich nahm das hin wie andere Schiffsunglücke vor Mallorca oder die Bayern einen Meistertitel.

Früher hatte ich bei solchen Anlässen wenigstens noch miese Laune und ein beschissenes Restwochenende. Heute bringen mich nicht mal mehr Witze von Fans des 1. FC Köln aus der Ruhe, die fast an Gleichgültigkeit grenzt. Oder Hoffnungslosigkeit – die Übergänge sind da manchmal fließend.

Ich bemühe mich dennoch, nicht einer von denen zu werden, die „Ich hab’s ja immer gesagt“ auf einen Zettel schreiben und hochhalten. Ein Großteil der Leute, die auf diesem Wege ihre Weitsicht unterstreichen, vergessen leider oft, was sie sonst so von sich geben.

Ich habe mir zum Beispiel angewöhnt mit der Hündin im ähnlichen Tonfall zu reden, wie unsere gemeinsame Chefin. Als ich sie, äh, also, die Hündin zum etwas flotteren Geschäft animieren wollte, sagte ich mehrmals und durchaus gut verständlich: „Ja feinifeini. Pippikacka. Ja komm, Pippikacka.“

Erst später wurde mir bewusst, dass wir nicht alleine im Park waren. Zumindest in Köln-Zollstock kennt man mich jetzt als den Pippikacka-Mann –  es ist unfair, alleine daran gemessen zu werden. Dass es trotzdem ein Teil der unbequemen Wahrheit ist, kann ich aber nicht verleugnen.

Der VfB reflektiert nicht so gerne. Das Selbstverständnis, beziehungsweise die Arroganz der Geschäftsführung des Vereins erledigen das und den Verein von ganz alleine. Vor einigen Jahren bezeichneten die ihre Fans als „Kunden“ – und wahrscheinlich waren sie nie ehrlicher.

Unterm Strich können wir aber getrost festhalten: die feilgebotene Dienstleistung ist unter aller Sau und das Produkt auch nicht viel attraktiver –  Kunden, die das kauften, interessieren sich auch für mp3-Player, VHS Rekorder und durchsichtige Hundekackbeutel.

Wenn’s dann wieder dem Abgrund entgegengeht, sind die Kunden allerdings herzlich Willkommen, mit dem Herzen zu bezahlen – da soll dann zusammengestanden werden. Solidarisch, praktisch, gut.  Es riecht wieder nach Ausverkauf in Cannstatt. Dieses Mal an der Resterampe – aber wenigstens mit dem Traditions-Logo.

Neulich hörte ich in der Bahn ein paar Touristen beim Witzereissen zu, Touristen haben ja meistens ein Anrecht auf gute Laune. Einer fragte: „What’s so bad about Cannstatt, anyway?“.  Alle lachten. Lediglich meine gute Erziehung hinderte mich daran, ungefragt ins Gespräch einzusteigen und zu sagen: „The FauEffBeeh“.

Ein bisschen naive Resthoffnung schadet trotzdem nicht. Seinen Club kann man sich schließlich nicht aussuchen. Das passiert oder halt nicht: „Feinifeini, Pippikacka“.

P.S.: Und jetzt bin ich erschrocken. Auf dem Zettel steht auch: „Massenmörder ist attraktiver als Betriebsratschef“ / Matthias Brandt. Zu seiner Ehrenrettung: der Schauspieler redete bei „Sanft und Sorgfältig“ von reizvollen Rollen.

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14 Comments

  1. says: giano

    ich würde ja die wette eingehen, dass ich „blind“ bereits am ersten satz erkennen kann, wer von euch einen text geschrieben hat.

  2. says: MartinTriker

    Vom Setzer lese ich sogar einen Artikel über Fußball gern.

    Nur eine Anmerkung. Bad an Cannstatt ist auch der Wasen. So der Vollständigkeit halber.

  3. says: giano

    @martin
    das war keine kritik. eigentlich nur nett gemeint, da ich seit fast 7 jahren regelmäßig die texte lese. natürlich schau ich dabei nicht erst nach, wer ihn geschrieben hat. beim lesen fallen mir dann bestimmte eigenarten auf und ich ahne wer es gewesen sein könnte. that`s it.

  4. says: martin

    giano, ich habs auch so aufgefasst, ich finds echt stark und freut mich / uns. es ist immer gut zu wissen, wenn uns menschen auch nach 7 jahre noch richtig lesen und nicht nur headlines überfliegen oder bilder durchgucken.

    kam wirklich so an (meine antwort kam wohl etwa lapidar rüber, zugegeben, sorry)

    und danke!

  5. Unter Hundemännern: Der Aufforderung Pipikacka mangelt es irgendwie an Eindeutigkeit. Entweder/oder. Das ist, als ob du beim VfB „stürmenverteidigen“ auf den Platz brüllst. Da bleiben die auch tatenlos stehen und tun weder/noch.

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