Best of 2011: Ausflug nach Paris

(Heißer Flirt: Stuttgarts schönster Platz und Stuttgarts schönstes Fahrrad.)

Vier Tage auflegen, vier Tage Alkohol und vier Tage laufen hintereinander ist definitiv zu viel. Dementsprechend war ich bis gestern ziemlich vermatscht. So wäh. Kein Bock. Auf nichts. Nur auf den Thorsten, der kam abends zu mir. The infamous Ablaufplan vorbereiten. I love Abläufpläne. Aussi lacht mich dafür aus.

In meiner ganzen Matschigkeit war ich gestern gerade noch fähig, mich bei Flinkster zu registrieren. Dann bin ich aus dem Büro gestürmt und zum Bahnhof geradelt, um beim DB Infopoint die Anmeldung abzuschließen. War sehr freundlich die Dame, noch charmanter war der Erste-Hilfe-Koffer (inklusive Gummibärchen), den man feierlich überreicht bekommt. You´re now officially flinkst.

Da ich danach auf keinen Fall zurück ins Büro wollte und so etwas wie einen Anflug von Fernweh hatte, bin ich in Memory of Prellbockanheben auf Beinsteig 1 nach ganz vorne gelaufen und hab in die Ferne geblickt. Hab mich dabei gefühlt wie bei dieser einen Reise-Werbung, „uffz, ich brauch ne Auszeit“, Schnitt, Karibik. Von wem war der Spot nochmals? Ungefähr so war das jedenfalls gestern, ein Moment lang wie in der Karibik, nur halt auf Bahnsteig 1 in Stuttgart an einem Mittwochmittag. Hat gut getan.

Beim Zurücklaufen hätte ich mich fast ein paar Minuten auf eine Bahnsteig-Bank gesetzt, nur um noch mehr Reiseflair aufsaugen zu können. Ist aber nen bisschen schwierig, wenn vor dir der Zug nach Tübingen abfährt.

Aber ey, nebenan liegt doch Paris und das Europaviertel! Also auf mein Airbus gesetzt und durch die monströse Bank geradelt. Schon eine stabile Anlage. Viel Grün.

Die Feierabend machenden Bankerinnen schauten mich ziemlich skeptisch an. Die babyblaue Stoffhose (Trend 2006, jetzt auch bei mir) hat mich wohl enttarnt. Ah schau an, ein arbeitsloser Blogger. Will er gucken was die normalsterbliche Bevölkerung so macht am Mittwoch. Und das muss der dann gleich wieder bloggen!

Vielleicht schauten sie mich auch schräg an, weil sie den Flinkster Erste-Hilfe-Koffer auf meinem Gepäckträger gesehen haben. Püh, der hat ja nicht mal ein Auto, scheiß Partie. Stimmt, dafür Abi, abgebrochenes Physikstudium UND einen Twitter-Account!

(Grüner geht´s fast nemme: Fahrrad und Flinkster Erste-Hilfe-Koffer.)

Am Pariser Platz war ich zuletzt 2007 oder 2008 bei den Jazz Open mit Joy Denalane (eher durchwachsen) und Herbie Hancock (sauber). Hatte nicht mehr in Erinnerung, wie geil es da ist.

Neige ja zu Selbstgesprächen. Schon immer. Also rufe ich: „Was ein geiler Platz!“ Ist ja keiner da, also kann man auch mal rumbrüllende Selbstgespräche führen. Wie das so ist, an einer Metropolen-Plaza, will man innehalten und was trinken. Prompt erspähte ich einen Brunnen, wollte mich an dem köstlichen Wasser erlaben – kam aber nix raus.

Hab drei mal gedrückt. Voll enttäuscht dappte ich vor in Richtung Bauzaun.

Typischer Männerreflex: Sieht Mann einen Bauzaun, muss er sich daran festkrallen. Unklar ist warum: Will er nur rein? Will er gar mitbauen? Oder muss er sich einfach nur abstützen, weil er so ein schweres Leben hat, am Mittwochmittag, um 16:30 Uhr? Mittwochs ist halt immer schwer.

Denken sich sicherlich auch die Bauarbeiter, die gerade Savoir Vivre hochziehen…

…also die Pariser Höfe. Auf einen Stein gestellt und schon wieder Selbstgespräche geführt: „Savoir Vivre Alta!“ Pariser Platz, Pariser Höfe – Wilhelm-Geiger-Platz war schon vergeben. Gibt dann irgendwann mal auch einen Mailänder Platz und einen Budapester Platz.

Während ich meine schreienden Selbstgespräche führe, trat ein Herr mittleren Alters in Anzug und Köfferchen an den Bauzaun. Musste sich seltsamerweise nicht am Bauzaun festhalten. Vielleicht doch nur eine Eigenart von mir.

„Kennen Sie sich hier aus?“, fragte er mich.

„Na ja, so gut wie man sich halt auf einer Baustelle auskennt.“

„Wissen sie wo der Budapester Platz ist?“

„Ähm, der wird dann irgendwann mal da hinten sein“, und fuchtelte mit den Armen herum. (Heute sehe ich, dass ich in die richtige Richtung gezeigt habe.)

„Kann man den noch nicht sehen?“

„Nö, aber wird bestimmt einmal so ein toller Platz wie der Pariser oder der Mailänder.“

Ich führe nicht nur Selbstgespräche, sondern bin auch traditionell neugierig wie ein Erstklässler: „Wollen sie investieren?!“

„Mal schauen. Wollte mir mal ein Bild machen.“

„Tja, schwierig momentan.“

„Sehr.“

„Ha, wenn das alles mal komplett fertig sein sollte, haben wir vielleicht 2026 oder so. Also eher langfristig alles.“

„Ja, das ist langfristig“, stimmte er mir zu. Wow, ich spreche seine Sprache. Werde im nächsten Leben langfristiger Investor mit Herz. Also packte ich meinen neuen Freund an die Hand und sagte: „Kommen sie, wir geiern ein bisschen auf der Baustelle herum.“ Joke. Hab ich nicht gesagt. Er wollte auch nicht mein Freund sein und nicht mit mir die Baustelle abgeiern, sondern schaute beharrlich und ein bisschen traurig weiter auf die Baustelle. Fahr halt nach Budapest, Jonger.

Zum Schluss habe ich sogar noch ein Liebespärchen am Pariser Platz entdeckt, also der kleine schwarze Punkt in der Mitte. Wie in Paris halt.

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26 Comments

  1. says: kollege geiger

    Herrlich. Da wird man ja ganz melancholisch. Midweek-Crisis am Mittwoch, kennt man ja. Am traurigsten ist die Stelle mit dem Dreimaldrücken – und kein Wasser kommt am Sahel-Platz

  2. says: Frau Doktor

    Sehr schöner Text – und die (sich leider als imaginär herausstellende) Szene, wo der Ich-Erzähler und der Investor Hand in Hand am Bauzaun entlanglaufen, hat mir am besten gefallen. Das hat geradezu kaurismäkische Bilder in mir ausgelöst.

  3. says: jaytext

    hab dich wohl knapp verpasst gestern. bin selber über den platz geschlappt und hab trotz kamera in der hand kein bild gemacht. fand’s einfach zu öde. muss mir die ecke sowieso jeden tag vom bürofenster aus anschauen (nein, bin kein banker oder so, es gibt auch andere büros an der heilbronner). für betrachtungen wie deine (sehr lesenswert!) fehlte mir die inspiration …

  4. says: martin

    ich kenne ich ihn ehrlich gesagt gar nicht, hab das nur früher im fern geschaut. und nen buch schreib ich in diesem leben höchstwahrscheinlich sowieso nicht mehr, liegt außerhalb des radius, außer vielleicht die biographie von kutmaster krupa. eher fahr ich mal nach alpe d´huez hoch. oder lauf hoch.

  5. says: martin

    sollten wir jemals fünf werden, könnten wir ja mal mit einer ktv textsammlung anfangen. ich frag mal bei reclam nach ob die bock hätten, gelb ist meine farbe dieses jahr 🙂

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