So waldecht wie möglich: Funky Globetrotter

Es gibt Neuigkeiten aus Stuttgart und damit Redebedarf: Demnächst haben wir laut Gastro-Ankündigungen nämlich Ramen und Poke, wir haben Rooftops und einen Strand. Und wahrscheinlich dauert es nicht mehr lange, und wir haben hier ein eigenes Loolapalooza. Oder Bäume mit Bluetooth.

Ach nee, die haben wir ja schon. Stichwort CityTree. Baum 2.0, weil das alte Konzept mit Wurzeln und Stamm und Baumkrone irgendwie nicht mehr zeitgemäß war.

Neulich kam in einer kleinen Gesprächsrunde sogar die Verschwörungstheorie auf, dass man für die 115.000 Euro Anschaffungskosten wahrscheinlich nur den gebrauchten CityTree aus Essen bekommen hat. Versand: du, e-Bay: ich, Fritz Kuhn.

In dem Zusammenhang wäre es nur konsequent, auch die alten Schilder vom Hasenberg-Spieli zu recyceln. Denn „so waldecht, stabil und sicher wie möglich“ – das trifft doch eigentlich auch auf den CityTree zu.

Ramen in Stuttgart kreischt Thorsten girlie-hysterisch. Megageil, endlich Poke, feiere ich das neue Leben in dieser Stadt. Nur DJ Elbe gibt sich emotional verrammelt. Er scheint immun gegen Food Trends.

In den Wirren der Nachkriegszeit groß geworden, ist er schon froh, wenn die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln klappt. Reis, Kartoffeln, Ensinger Sport und Jägermeister. 

Und oben am Himmel begegnen sich ein Rosinenbomber und eine Drohne – unterwegs, um noch mehr stuggiboogieflugi-Aufnahmen zu schießen für den x-ten „Wie geil ist eigentlich Stuttgart-geworden-und-geblieben?“- Film. 

Ein Boutique-Hotel im Truman-Show-Viertel dieser Stadt lädt unterdessen zum „Terrazza Event über den Dächern der Schwabenmetropole“ ein. Wobei das Wort „Boutique“ im Windschatten eines 43.000 Quadratmeter großen Shopping-Komplexes leicht irritierend wirkt. Andererseits klingt aber natürlich „Einkaufszentrum-Hotel“ nicht so knorke.

Auch sonst bin ich nicht sicher, ob man sich nicht leicht im Ton vergriffen hat: „Designhotel in Stuttgart gefällig? Fancy Zimmer für Lifestyle-Rockstars, kreative Querdenker oder funky Globetrotter“ steht da in diesem Interweb.

Geil, wer plötzlich alles Rockstar ist: Online-Marketing-Hörste, Helene Fischer und Hotelgäste von außerhalb. Und irgendwo im Europaviertel fliegt ein Samsung Flachbildschirm aus dem Fenster – und ein Funky Globetrotter verzweifelt an dem Versuch, Kryptowährung zu einem Kokain-Strohhalm zu rollen. Im Hintergrund dreht sich Lemmy ganz langsam im Grabe rum und legt sich auf die andere Seite.

Aber es bleibt kaum Zeit, um den echten Rockstars hinterherzutrauern. Schließlich muss man dringend zur Hotspot-Location #1. Auf eine Dachterrasse im Schatten des höchsten Wohngebäudes der Stuttgarter Innenstadt: Cloud7. Zu deutsch: Wolle7.

Im „prall gefüllten Goodie-Bag“ zum Terrazza-Event entdeckt man unter anderem einen Kuli, ein Schlüsselband und einen Luftballon zum selber prallfüllen. Wir schreiben das Jahr 2018 und vielleicht hat die Zukunft ja auch nicht bei allen gleich laut angeklopft.

Unterdessen hat an diesem Samstag offensichtlich jemand im Milaneo geheiratet. Oder Hochzeitsfotos gemacht. Oder sich eine Braut gekauft. Da drängen sich die drei großen W-Fragen echter Qualitätsjournalisten auf: Warum? What the fuck? Und: Wo soll das alles enden?

Trost und Antwort findet man in den Worten von Herwig Rüdisser: „Life is life. Na na na nanana. Dababab baba Life. Na na nanana.“.  Und auch von Herwig Rüdisser (61, Opus) und seinen Kollegen hat man seinerzeit behauptet, es seien Rockstars. Einer ihrer nächsten Gigs ist beim Autosalon in Brüssel.

Wir lassen uns weitertreiben zum Stadtpalais. Surf City Stuttgart. Konrad-Adenauer-Beach. Die Stimmung ist gut, der Sonnenuntergang später blutmond-gleich. In maritimer Runde werden die großen Seefahrer-Themen besprochen – und man ist sich einig, dass Stand-up-Paddler auch nur die Segways der Meere sind.

Da fährt plötzlich eine Gruppe Stand-up-Paddler der Straße vorbei. Von ihren Segways aus schauen sie den Menschen vor dem Stadtmuseum beim Surfen zu. Wenn jetzt jemand vorbei käme, der jahrelang im Koma lag oder in Kemnat – er müsste denken: Das ist diese sogenannte Future, vor der uns The 5th Element gewarnt hat. Denn Zukunft ist jetzt. Und Zukunftsforscher ist, wer es sich groß genug aufs Plakat schreibt.

Next Stop: Tübinger Straße. Zwei Gruppen junger Frauen prallen fast aufeinander. Die einen tragen Stewardessen Schiffchen auf dem Kopf. Dagmar aus Donzdorf steuert den Flughafen der Ehe an und möchte das Singledasein mit ihren Freundinnen und 600.000 Stuttgartern ordentlich zu Ende bringen.

Auch die andere Gruppe junger Damen ist top motiviert, dieser Stadt an diesem Augustsamstag noch ihren Stempel aufzudrücken: „Wir müssen unbedingt noch ins Fluxus.“ Müsst ihr. Denn Closing Party ist nur einmal im Jahr. Genau wie der 14. Juli.

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