Mein erstes Mal: Büchle selber machen

Wenn man nix Gescheites gelernt hat, wie ich, muss man irgendwann einsehen, dass die Wunsch-Statusmeldung fürs eigene Leben – Haus am See und Haus am Meer – auf die nächsten drei Leben vertagt werden muss.

Da man sich die Zeit bis dahin aber irgendwie vertreiben muss, hab ich in den vergangenen Monaten was ganz Neues ausprobiert: Büchle (mit-)gemacht.

Beim Thema Buch wird jeder, der mit Buchstaben seinen Lebensunterhalt verdient, irgendwie wuschig. Die Hierarchie der angesehenen Medien in der Text-Branche ist, um es mit der deutschen Nationalmannschaft zu sagen, etwa so: Blog/Internet ist Khedira, auf dem Sprung, zu Höherem berufen.

Magazin ist derzeit irgendwie Lahm, wenn man eine Nische besetzt: Anzeigen kommen wieder, die Wertschätzung steigt, es kann schon wieder richtig kicken, zur Sicherheit verteilt man aber besser etwas Verantwortung auf weitere Schultern wie Schweinsteiger, Mertesacker und Co. Tageszeitung ist dagegen total Ballack, Champions League und so, hat ihre beste Zeit aber wohl hinter sich.

Ein Buch ist aber voll Jogi Löw: Sieht gut aus, hat Ahnung und dürfte auf Jahre hinaus unbesiegt bleiben – wenn man die höggschte Disziplin nicht verliert.

Die Idee zum Buch lag in dieser Stadt auf der Hand. Ein Bahnhof spaltet die Schwaben, die einen wollen das Ding unbedingt erhalten und sprechen von Vetterles-Wirtschaft, Monster-Bau-Chaos und sonstigen Katastrophen.

Die anderen finden den alten Bonatz hässlich und versuchen seit 20 Jahren total erfolgreich, Werbung für das Ende des bisherigen BHFs zu machen. Stuttgart 21 = Schnappatmung auf allen Seiten. Also könnte man doch mal die Stimmung kurz vor S21 einfangen.

Der Stuttgarter Fotograf Lutz Schelhorn hat ein Jahr lang fette Fotos vom Hauptbahnhof geschossen, mit einer Kamera, die ähnlich alt ist wie die Spielweise von Otto Rehakles, eine Plaubel Mittelformat aus den 60ern. Die Bilder sind ziemlich spannend geworden, ganz untypisch für den hiesigen Bahnhof, Lutz spielt sehr schön mit Licht und den Menschen, die sich im BHF begegnen.

Irgendwann meinte Lutz zu mir, dass er keinen Verlag findet für seine Bilder, weil Taschen lieber Ärsche publiziert und Hatje Cantz sich nicht mit regionalen Themen aufhält. Zu der Zeit hatte mein Kumpel Uli Schwinge gerade sein erstes Buch über den Stuttgarter Sprüher Aurèle Mechler herausgebracht.

Uli ist ein super Typ, hat früher Veranstaltungen im Rocker gemacht wie „180 bei Nässe“ oder das legendäre Reisebüro Hool Tours während der WM 2006, bei dem er Trips für Hooligans zu den deutschen WM-Standorten angeboten hatte. Gab fett Ärger damals.

Wenn also einer ein Büchle über den HBF stemmen kann, bei dem Ärger zwischen Befürwortern und Gegner vorprogrammiert ist, dann Uli, der nebenbei auch noch ein supi Grafiker ist.

Nachdem es dann zwischen den Herren Schelhorn und Schwinge gepasst hatte, konnte es also los gehen. Zumindest fast, da alle Beteiligten natürlich null Kohle für so ein Projekt hatten. Blöderweise kostet so ein Buch mehr als ein Blog – das hätte man uns aber auch echt früher sagen können. Damit sich niemand verschuldet für ein Werk, das anschließend keiner kauft, bin ich für die Jungs auf Tingeltangel-Tour gegangen.

Kultursponsoring ist mein neues Hobby, da lernt man eine Menge fürs Leben. Viele haben uns direkt abgesagt, weil ihnen der HBF wohl zu heiß war, sie nichts mit Bombenlegern zu tun haben wollten oder selber schon pleite sind wie alle Banken, die wir freundlich gefragt haben.

Die einzigen, bei denen es schnell ging, waren Ritter Sport und die VPV Versicherung, die hatten Bock auf das Projekt. Am geilsten war ein lokaler Bauträger, auf den ich alle Hoffnung gesetzt hatte. Bauträger haben Geld, sind schlecht beleumundet, weil sie Häuser platt machen, sanieren und zu teuer weiter verkaufen. Dachte also, ich tue eine gute Tat, wenn ich so jemanden in Kultur machen lasse. Pustekuchen, selten hat mich jemand so geil Scheiße behandelt.

Der Typ hat mich eine Stunde zugelabert, wie dämlich Kultursponsoring sei, dass das gar nichts bringen würde und er nur was macht, wenn wir in dem Buch was über eines seiner Objekte in BHF-Nähe berichten würden. Ich so „hä?“, er so „also gut, ich gebe Ihnen Geld, aber nur weil Sie es eine Stunde mit mir ausgehalten haben.“ Ich so „Doppel-hä?!“ – selten so was Komisches erlebt. Im Endeffekt war die Stunde Selbsterniedrigung dann aber ganz gut bezahlt.

Dienstag kamen die Trümmer endlich aus der Druckerei, Uli hat ein Überformat gelayoutet, das aufgeschlagen ein halber Meter Buch ist. Der geheime Plan dahinter: Wenn es keiner kauft, kann man mit den Büchern immer noch eine Terrasse fliesen.

Heute Abend ist es endlich so weit, da präsentieren wir das Buch bei der Vernissage zu Schelhorns Bildern in der Kunststiftung Baden-Württemberg. Wer sich als kessel.tv-Leser outet, bekommt heimlich einen Schnaps von mir. Ich fände es nämlich ganz dufte, wenn nicht nur alte Sammler und Kunst-Nasen kämen, sondern auch ein paar nette Menschen.

Wer den schönsten Rechtschreibfehler im Buch findet, bekommt sogar einen Doppelten. Das ist nämlich der einzige Mist an so einer Buch-Produktion: Ein Blog verzeiht Teilzeit-Legasthenie schneller, so ein dämliches Buch ist dagegen irgendwie geduldiger.

Buchpräsentation und Vernissage „Stuttgart Hauptbahnhof – Eins vor 21“, Donnerstag, 24.6. 19:30 Uhr, Kunststiftung Baden-Württemberg, Gerokstr. 37, Gänsheide, Haltstelle Bubenbad

www.edition-randgruppe.org www.kunststiftung.de www.lutz-schelhorn.de

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28 Comments

  1. says: JMO2

    Der Außenreporter hat wohl gerade einen Lauf, mal wieder einen schönen Text ausgepackt. Und ein auf den ersten Blick ganz interessantes Buch

  2. says: Aussenreporter

    @ JMO2: Dank RAMs Coaching bin ich in WM-Form.
    @ Glückskind: Wer heute Abend nicht kann, kann sich die Ausstellung noch vier Wochen lang anschauen. Wen sich genügend Kesselianer finden, können wir auch so etwas wie eine kessel.tv-Führung durch die Ausstellung organisieren.

  3. says: Aussenreporter

    Am besten unter Woche in einer Mittagspause, falls das ginge… Und, äh, Sonntag 17 Uhr liege ich tatsächlich mit Schnappatmung vor dem Fernseher.

  4. says: Jana

    Eine ganze Woche Termine – wie wenn Königs heiraten. Finde ich sehr angebracht 😉

    Ritter Sport Fan bin ich übrigens schon immer. Freut mich immer wieder, nette Geschichten über die zu hören. Und bei der Sponsoren-Suche sind nette Geschichten ja ne Seltenheit. Wenn ich da mal an dieses Frauen-Fitness-Studio denke, das der Meinung ist, ein Mädchenflohmarkt sei nicht ihre Zielgruppe.

  5. says: Aussenreporter

    Ha wäre doch nett zum Einläuten der Jubiläums-Woche. Und Jana, für das nächste Buchprojekt frag ich auf jeden Fall Fitness-Studios an, klingt spannend.

  6. says: abiszet

    glückwunsch. ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst. das gefühl, wenn man so ein päckchen aufmacht und „sein“ produkt zum ersten mal in der hand hält. gänsehaut. einmalig.

  7. says: Aussenreporter

    @Skully: Kannsch astrein bestellen im Internet unter edition-randgruppe.org oder in jedem Buchladen oder du gibst mir Bescheid und wir gehen zusammen in die Kunststiftung, da kannste den Trümmer auch kaufen.

  8. says: Aussenreporter

    Dankeschön, liebe NIC, Vernissage war tatsächlich super nice, alle Kessel-Leser den 19.7. 19 Uhr vormerken, da gibt es eine exklusive Führung durch die Ausstellung mit dem Entertainer, Fahrradfahrer und Sonnenschein Lutz Schelhorn.

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