Heute vor 20 Jahren: Massive Töne – Kopfnicker Releaseday

massive_toene_kopfnicker_cover

20 Jahre Climax, 20 Oblomow, 20 Jahre 0711, 20 Jahre Code Red, 20 Jahre wäre das Prag dieses Jahr geworden – 1996 war kein schlechtes Jahr für Stuttgart, die Clubkultur, die Musikszene und wenn ich jetzt noch zwei Minuten länger nachdenken würde, dann kämen mir vielleicht noch mehr 20-jährige Jubiläen in den Sinn.

Und ganz wichtig, meine Damen und Herren, bitte erheben: Heute vor 20 Jahren erschien das Massive Töne Debütalbum „Kopfnicker“, so zumindest auf Wiki und der einen oder anderen Seite dokumentiert. Ich habe aus diesem Anlass ein Feuerwerk gebucht (mit Stevie Wonder!), Achtung, bitte:

Aaaasww. Also, 20 Jahre Kopfnicker, die Phrasen: Meilenstein. Gamechanger. Benchmark. Unerreicht. Deutsch-Rap-Revolution. Glanzleistung. Stimmt alles.

Wir haben vor einigen Jahren, genauer gesagt am 18. August 2009, über im Rahmen unserer 52 Album Serie über Kopfnicker ausführlich geschrieben (der Text wurde am 11. Juni 2014 erneut hoch gepushed, als wir die 52-Albums Serie nochmals auflegten) und ich wüsste nicht, was ich heute zu dieser einzigartigen Scheibe sagen sollte. Außer dass zwischen 2009 und 2016 paar Dinge passiert sind und manche Stellen heutzutage vielleicht obsolet wirken und deswegen der Text von damals punktell kommentiert zum dritten Mal.

Alles Gute, möge die Platte für alle Ewigkeiten in der deutschen HipHop-Geschichte richtig eingeordnet werden. Und jetzt ab damit in die Sammlung des neuen Stadtmuseums.

Es ist hierzulande eine weit verbreitete Meinung, dass „Bambule“ von (Absolute) Beginner das beste deutsche HipHop Album ist – wenn vielleicht auch nur in einem gewissen Zeitfenster. (Wäre gerade jetzt eine Umfrage wert: Was ist für dich das beste deutsche HipHop-Album?)

Deutscher Rap hört für die einen spätestens in den Jahren 2001/2002 auf zu existieren, ausgenommen natürlich solcher Glanzlichter wie „Blast Action Hero“ (wieder Beginner, 2003). (Dieser Satz ist natürlich heutzutage total Banane wie lustig. Hat man halt im Jahr 2009 auch nicht gedacht, dass Deutsch-Rap nochmals so mächtig und stärker als denn je zurückkommt.) 

Für die Jüngeren ist zu diesem Zeitpunkt HipHop in der Muttersprache, Stichwort (Berlin-) Gangsta-Rap, etwas völlig neues. Meine “Generation” hat dieses Genre meist ausgeblendet, auch wenn einiges davon, zumindest was die Produktion angeht – wahrscheinlich – nicht das Schlechteste war/ist.

Ich selbst weiss nicht mehr, wann ich zuletzt überhaupt ein deutschsprachiges Album gekauft habe. Ich denke, es war besagte “Blast Action Hero”. (Die neue Beginner habe ich mir geholt, das Palmen & Freunde Album von Dexter, ein Umse Album, Haftbefehl Instrumentalalbum, Schwester Ewa, haha, die letzte Orsons fand ich stark, Marz ist gut, aber allgemein höre ich auch heute noch relativ wenig Deutsch.)

Aber ich weiß, dass was ich weiß, das weiß ich, um es mit den Stieber Twins zu sagen, dass „Kopfnicker“ von Massive Töne das beste HipHop Album aus diesem Land ist. (Das sehe ich auch heute noch so.)

In dieser Aussage, darauf lege ich sehr großen Wert, schwingt keinesfalls Lokalpatriotismus mit, sondern ist meine feste Überzeugung. Dass diese Band aus dieser Stadt stammt, war lediglich ein logistischer Vorteil, schneller „an die begehrte Ware“ zu kommen.

Massive Töne waren 1996 mehr oder weniger ein lokales Phänomen. Wäre man meinetwegen in Flensburg aufgewachsen, hätte man von den vier Schwaben vermutlich als erstes Lebenszeichen “Chartbreaker” vernommen. Auch wenn “Kopfnicker” unter Heads deutschlandweit relativ schnell die Runde machte, hatte man als Stuttgarter doch frühzeitiger als andere einen Zugang zu diesem Werk.

An einen nationalen „Presserummel“ oder gar „Medien-Hype“ seinerzeit kann ich mich nicht erinnern. Das war eher so: „Massive Töne treten in der Röhre auf und stellen ihr neues Album vor,“ erzählte mir mein guter Kumpel Andi Ludmann eines Tages im Herbst 1996. Er hat sich am selben Abend die CD gekauft. Und der Flash nahm seinen Lauf.

Letztendlich ist es wahrscheinlich nur eine Fußnote, ob diese Platte im Stuttgarter NoSé Studio (von Philippe Kayser/Freundeskreis) und im Münchner Mcon Studio aufgenommen wurde.

Gut, wären Schowi, Wasi, Ju und 5ter Ton in der Einsamkeit der Eifel aufgewachsen, lägen die Dinge höchst wahrscheinlich anders. Eine Großstadt-Sozialisation, auch gerne in Form von Vorstädtertum, namentlich Botnang, Feuerbach und Weilimdorf-Pfaffenäcker, war für solch ein Album schon von Nöten – und ist freilich auch hörbar.

Trotzdem: Es ist nicht wo du bist, es ist was du macht – der Inhalt war ortsunabhängig und schlicht und einfach gut, wenn nicht sogar brillant.

Zum ersten Mal fühlte ich bei einem deutschen HipHop-Album das was ich bei anderen vermisst habe. „Kopfnicker“ konnte in einer Zeit, in der die aktuellen Alben von De La Soul, A Tribe Called Quest, Redman, Wu-Tang oder dann auch Jay-Z das Business beherrschten, klanglich international mithalten. Bildeten wir uns zumindest ein damals. Und das ist die aussergewöhnliche Leistung dieser Platte (Unterschreibe ich heute noch.) 

Dazu kommt die emotionale Komponente: Ich glaube, wenn es jemals ein „Soundtrack of my Life“ gab, dann „Kopfnicker“, der noch Jahre nachhallte und insbesondere im Frühjahr und Sommer 1997 sich als Hit in meinem Freundeskreis etablierte. Die meisten Texte konnte man schnell auswendig. (Mir sind Texte, egal welches Genre, meist völlig egal. Die Musik zählt. War hier anders.)

Das liegt mitunter an der phänomenalen A-Seite (oder den ersten drei Stücken, hat man die CD). Der minimalistische Titeltrack machte sofort klar, dass hier eine Platte vorliegt, die nicht Deutschland als Massstab nimmt, sondern „the great country“.

Auf „Kopfnicker“ folgte „Nichtsnutz“, wie alle Songs feinster Sample-HipHop, und dieser Tune traf völlig unseren Nerv, unser damaliges Lebensgefühl.

Wir waren um die 20 Jahre alt, hingen fest in einer undefinierten Metaphase, zwischen abgeschlossener Schulzeit, Zivi und bevorstehendem Studium oder Ausbildung, und hatten keine Ahnung „wohin die Wege führen, die ich gehe.“ (Ich muss gleich weinen.) 

Wenn wir die Platte nicht am Skatepark hörten, dann im Auto, und immer wenn „Nichtsnutz“ lief, war Ruhe in der Karre. Jeder rappte leise das Lied vor sich hin und man hat es allen angesehen: genau so sieht es aus. Was soll nur aus mir werden?

Der heilige Gral dieses Albums ist selbstverständlich die ultimative und die letztendlich einzig wahre Stuttgart-Hymne „Mutterstadt“, wenn auch die fabelhafte Bildersprache nur Ortskundige verstehen und gerade heutzutage, in den Zeiten des „neuen Stuttgart“, noch mehr Gänsehaut auslöst als damals. (2016 ist Stuttgart noch neuer als 2009. Oder noch stauiger? Oder noch staubiger? Oder noch baustelliger? Gänsehaut immer noch.)

Weitere Klassiker sind Schowis Solo „Dies und Das“ im Mainconcept Remix, wie auch Ju´s Einsatz „Jurastapark“ („hey gemeint bist du / Kopfnicker seid ihr unten mit Ju / willkommen im Park im Paradies / schließ deine Augen und genieß“). Und über „“Trend II“, einen humorvollen Abgesang auf Raver, Landeier, Proleten und verwöhnte Modepüppchen („Wer sich kein Brot kaufen kann der kaufe doch Kuchen“), lacht man sich immer noch scheckig.

Unvergesslich auch der entspannte Homie-Abbinder „Schoss der Kolchose“ feat. Afrob, Max – und ja – meinem Nachbar Emil am Mic. Ein großer Rapper, der Nachbar. Man muss genau hinhören um sein Stimme herauszuhören, wenn man ihn heute kennt.

Der Liedname wurde die Jahre darauf zum geflügelten Begriff und Synonym für die hiesige HipHop-Szene. Heute ist leider nix mehr mit Kolchose und die Massiven geben auch immer weniger, bis eigentlich gar keine Lebenszeichen von sich, sieht man mal von dem Remix für „Picknicker“ auf dem Fanta 4 Tribute Dingens ab.

Man steckt ja selbst nicht drin, aber wenn es irgendwie möglich gewesen wäre, hätte meines Erachtens „Kopfnicker“ 2006 zum 10jährigen eine Würdigung in Form einer kleinen, vielleicht neu gemasterten Sonderedition mit schönem Booklet etc. verdient.

Vielleicht dann zum 20jährigen. Immerhin ist es das beste deutsche HipHop Album. (Tja Jungs, ihr hattet jetzt sieben Jahre Zeit. Und nix ist. Da hätte man doch was machen können, so mit Glücksbox und so. Vielleicht mit einem Stück original Teppichboden vom Cover? Zum 30-jährigen aber dann, gell)

Join the Conversation

6 Comments

  1. says: Digegrdance

    Der beste Club der Mitte 90er, in Sachen Deutsch Hip Hop!.Die Zeit war das beste was uns in Stuttgart damals passiert ist !.Fern vom Möchtegern Gangsta Rap !. Oder Aggro Scheiss aus Berlin !.

Leave a comment
Leave a comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert